Camino Frances #34: Von O Cebreiro nach Triacastela

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Etappe 30 auf dem Jakobsweg weckt Gott sei Dank keine schlafenden Hunde, lässt Kätzchen auf Schwedisch jammern, findet einen Riesen im Nebel und sucht den Gin des Lebens (30. Mai 2016, 22 km)

Dafür, dass ich Wange an Wange bzw. Stockbett an Stockbett mit 79 anderen Leuten geschlafen habe, war die Nacht erstaunlich gut. Um 5:50 Uhr ist der Frieden allerdings vorbei. Die zehn Italiener in den Betten um mich herum haben beschlossen, dass es Zeit sei, aufzubrechen. Im Kollektiv wird mit Plastiktüten geraschelt, was das Zeug hält. Hier blitzt eine Taschenlampe auf, dort wird lautstark im Dunkeln geflucht. Da es aber fast sechs ist, stört es mich nicht weiter. Ich wollte eh früh los.

Verschluckt vor der Welt

Um viertel vor sieben bin ich startklar – wie jeden Tag verwundert, wie lange man dann doch jedes Mal braucht, bis man selbst fertig und alles eingepackt ist. Ich kann mein Glück nicht fassen. Eines der Cafés im Örtchen hat um diese Zeit tatsächlich bereits geöffnet, und so ist die morgendliche Kaffeezufuhr nicht in Gefahr. Draußen ist es ganz schön neblig. Ich füge rauchend noch ein wenig Dunst hinzu und bin um sieben tatsächlich auf dem Weg.

img_4131Ich nehme die empfohlene Alternative durch den Wald, statt über die Landstraße zu laufen. Es hat etwas völlig Verwunschenes, auf erdigen Wegen durch den Wald zu stiefeln, der so ruhig daliegt. Der Nebel schluckt die wenigen Geräusche, die es gibt. Ich bin komplett allein, oder zumindest kann ich im Nebel niemanden ausmachen, und es zieht sich immer weiter zu. Irgendwann bin ich verschluckt. img_4132

Man sieht vielleicht fünf Meter weit, links und rechts vom Weg lässt sich die Umgebung nur hinter Schleiern erahnen. Vermutlich versteckt sich gerade ein grandioses Bergpanorama im grauen Dunst. In O Cebreiro konnte ich gestern ja sehen, wie wundervoll die Umgebung ist.

Riese im Nebel

Nachdem es eine Weile bergab gegangen ist, steigt der Weg nun wieder an. Ich nähere mich laut Reiseführer-Übersicht Alto do San Roque. So viel zum Thema „Heute geht es abwärts“. Hätte ich mir das Höhenprofil mal ordentlich zu Gemüte geführt, wäre ich jetzt nicht so überrascht. Ich muss heute nämlich noch zweimal aufwärts, bevor es dann später unter großem Karacho nach unten geht. Zwanzig Minuten später taucht im Nebel vor mir plötzlich ein Riese auf. Ich nähere mich langsam. Es ist ein Pilger. Klassisch mit Hut und Stab unterwegs. Sonderlich beweglich scheint mir der Gute nicht zu sein. Er verharrt stoisch in gebeugter Haltung. img_4133Je näher ich komme, desto deutlicher kristallisieren sich die Details heraus. Eine überdimensionale Statue steht auf einem Hügel und wartet auf menschliche Mitstreiter.

Ich bewundere ihn gerade von allen Seiten, wie er sich dem Nebel entgegenstellt, als aus dem Nichts ein lautes, fröhliches „Ciao, Buongiorno!“ gleich neben mir ertönt. Ich fahre zusammen. Gerade noch war hier keine Menschenseele. Nun taucht plötzlich mein begeisterter Italiener von gestern aus den Nebelschwaden auf. Antonio freut sich, mich wieder zu sehen und gestikuliert, dass wir unbedingt ein Foto voneinander machen sollen. img_4135Die Momente, wo man mal selbst aufs Bild kommt, muss man schließlich ausnutzen, und so schießen wir ambitioniert Quatschfotos voneinander. Auf den Aufnahmen anderer Pilger habe ich später gesehen, dass auch hinter dieser Pilgerstatue ein graondioses Bergpanorama geboten wird, das sich aber heute vor uns versteckt.

Der Nebel bleibt mir weiter treu, während es nun fürs Erste wieder abwärts geht, dem nächsten Ort entgegen. Auf einem Balkon kurz vor Hospital de Condesa beobachte ich zwei Leute, die offensichtlich gerade im Aufbruch sind. Ich meine, einen Rucksack zu erspähen. Es ist inzwischen halb neun. Wenn das wirklich Peregrinos sind, dann sind die aber ganz schön ausgeschlafen!

Schlafende Hunde wecken

Kaum habe ich den Ortsausgang hinter mir gelassen, liegen wenige Meter vor mir zwei riesige Hunde mitten auf der Straße. Weit und breit ist keine Menschenseele auszumachen. Die beiden beäugen mich mindestens so argwöhnisch wie ich sie. Sieht nicht unbedingt aus, als hätten sie große Lust, mich vorbeizulassen. Mir geht ordentlich die Düse. Ich mag Hunde, die ich kenne. Unbekannte sind mir hingegen meist nicht geheuer. Und in Spanien, wo Hunde weniger Haustiere als Security Guys sind, verbessert sich meine Skepsis nicht gerade. Vielleicht sind das ja direkte Nachkommen der wilden Hunde von Foncebadon?

Ich entscheide mich für ein Zigarettenpäuschen. Alleine gehe ich hier mit Sicherheit nicht vorbei. Und wenn ich ewig warte. Entweder das Rudel geht, oder ich gehe im Rudel an ihnen vorbei. Andere Optionen gibt es nicht. Ich versuche Antonio per Gedankenübertragung her zu lotsen. Er kann nicht weit hinter mir sein, es sei denn, er macht irgendwo gerade Frühstückspause. Ich setze mich auf einen großen Stein, der in sicherer Entfernung meiner vierbeinigen Feinde ist und sondiere die Lage. Will ich hier wirklich sitzen bleiben? Kann ich nicht einfach vorbeigehen? Nein, kann ich nicht. Herrgott, normalerweise ist der Camino Frances komplett überlaufen, aber wenn man dann mal einen braucht kommt keiner! Unverschämtheit, so etwas.

Endlich werden meine Stoßgebete erhört, denn in der Ferne sehe ich, wie sich zwei Leute nähern. Na also. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Mein Puls schraubt sich wieder auf ein Normalmaß runter. Rettung naht. Als die beiden näher kommen, erkenne ich sie. Was für ein Glücksfall. Das sind nicht irgendwelche Leute, sondern der Schwede Ben und seine Begleitung. Damit sind wir einer mehr als die Vierbeiner. Ben wäre aber sicher auch alleine mit den beiden fertig geworden. Ich werde mit strahlendem Lächeln begrüßt, zumindest von ihm. Sie schaut eher sparsam.

Ich schildere meine Hundeproblematik und dass ich auf Rettung gehofft habe. Ben lacht. Er habe vorhin vom Balkon seiner Unterkunft eine Pilgerin gesehen. Er sei sich zu der Zeit nicht sicher gewesen, ob ich das wäre, habe dann aber mal prophylaktisch Gas gegeben, falls es so sei. Ich muss schmunzeln. Wir mögen uns offensichtlich gegenseitig. Wir gehen zu dritt an den Hunden vorbei, die sich nicht weniger für uns interessieren könnten und inzwischen genüsslich schlummern. Ich balanciere auf Zehenspitzen, um bloß keine schlafenden Wauzis zu wecken. Es klappt. Der Weg ist frei. Ich bedanke mich für die moralische Unterstützung und will die beiden ziehen lassen, als Ben vorschlägt, dass wir doch genauso gut zusammen weiterlaufen könnten. Ich bin einverstanden. Tina, seine Begleitung ebenso. Ich versuche, ein wenig Konversation mit ihr zu betreiben, komme aber nicht so ganz an sie ran.

Gipfelglück

Es geht ein letztes Mal aufwärts, nach Alto do Poio, mit 1.337 Metern der höchste Punkt auf dem galicischen Stück des Jakobsweges. Triacastela, auserkorenes Ziel meines heutigen Tages liegt übrigens auf 665 Metern, um schon mal einen kleinen Ausblick auf das, was mir an Abstieg noch bevor steht, zu geben. Beim Aufstieg zerstreut sich unsere kleine Gruppe. Bergauf scheine ich die Fitteste zu sein.

Ich kämpfe mich das letzte, wirklich sehr steile Stück unter Zuhilfenahme meiner Stöcke durch den Nebel nach oben und stehe dann vor der Bar Puerto, die gleichzeitig auch Herberge ist. Es ist ziemlich kalt hier draußen, so dass es aussieht, als käme Rauch aus der nur angelehnten Eingangstür. Ich freue mich wie ein Schnitzel, denn natürlich gibt es hier einen Kaffee für mich. Drinnen mümmeln einige Pilger Marmeladen-Toasts. Mein Magen knurrt. Da mache ich gleich auf jeden Fall mit. Aber eins nach dem anderen. Mein Kaffee und ich haben draußen erst mal ein Date mit der Zigarette.

Als ich aus dem Raum nach draußen trete, erklimmt Ben gerade die letzten steilen Meter. Er ist völlig verschwitzt, die nassen Haare kleben an seiner Stirn, der Kopf ist rot. Der wuchtige Kerl sieht geradezu gefährlich aus, wäre da nicht das breite Lächeln, als er es geschafft hat. Wissender Blick auf meine Kaffee- und Ziesen-Kombi. Er komme gleich. Kaum betritt er die Bar, höre ich, wie zwei andere Pilger laut „Aconcagua“ brüllen und ihm auf die Schulter klopfen. Es ist immer wieder spannend, dass man zwischendrin auf ganze Gruppen von Menschen trifft, die sich untereinander offensichtlich alle kennen, während man selbst sie noch nie gesehen hat. So hat eben jeder sein Tempo. Vermutlich ist diese Truppe hier eher von der weiter laufenden Sorte, und ich kenne sie deswegen nicht.

img_4137Kurz darauf sitzen Ben und ich einträchtig rauchend auf einer Bank vor der Hütte. Zehn Minuten später ist auch Tina da. Ebenfalls mit rotem Gesicht. Ich verkneife mir die Retourkutsche von gestern und weise sie nicht daraufhin, dass heute sie diejenige ist, die wie die große Schwester von Schweinchen Babe aussieht. Kurz darauf erreicht der nächste Pilger den Gipfel. Buongiorno – breites Grinsen. Klare Sache, Antonio ist da. Ben kennt ihn ebenfalls und schwärmt, dass der Italiener etwas herrlich Begeistertes an sich habe, so dass man ihn einfach mögen müsse und immer gute Laune bekäme, wenn er auftauche.

Blick hinter schwedische Gardinen

Nachdem der Kaffee leer ist, und ich meinen Marmeladentoast verspeist habe, machen wir uns erneut auf den Weg. Fünf Kilometer lang geht es noch halbwegs entspannt geradeaus, so dass Ben und ich ein wenig reden können. Wie vermutet sind wir im gleichen Alter, er 37 ich 36. Ich will wissen, wie es kommt, dass er mit Tina unterwegs sei. Sie hätten ja durchaus unterschiedliches Lauftempi.

Ben pflichtet mir bei. Die beiden haben sich zufällig beim Umsteigen in London am Flughafen kennengelernt und seien aufgrund der Rucksäcke miteinander ins Gespräch gekommen. Tina habe sich viele Gedanken gemacht, ob das Abenteuer Jakobsweg für sie das Richtige sei und hätte sich bereitwillig an Ben geheftet. Ihm sei das egal gewesen, so lange er keine Kompromisse beim Laufen eingehen müsse.

Sie sind seit dem ersten Tag zusammen geblieben. Teilweise ging das nur mit ein paar Tricks. Tina habe ein paar Mal den Bus genommen, wenn ihr seine Etappen zu lang waren. Die Angst, ihn zu verlieren, war zu groß. Ich erinnere mich, dass er, als wir uns zum ersten Mal am Tag der nassen Füße auf der Außenterrasse der Bar getroffen haben, erzählte, dass er noch weiter müsse, weil jemand vorausgefahren sei.

Ich erzähle von meinen wechselnden Camino-Begleitern. Von Rob und Maria, von Kati und den beiden Jungs und von Marco und Thijs. Ben hört begeistert zu. Tina ist ein Stückchen hinter uns. Ja, manchmal würde er sich auch wünschen, mehr Leute kennenzulernen. Die Tatsache, dass Tinas Englisch nicht sonderlich gut sei, erleichtere es nicht gerade, mit anderen ins Gespräch zu kommen, ohne sich dabei schlecht zu fühlen. Sie wären sogar stellenweise schon für ein Paar gehalten worden, erzählt er entrüstet, dabei sei Tina locker 15 Jahre älter. Ich mache große Augen. Mir ist zwar inzwischen aufgefallen, dass sie älter ist, als ich ursprünglich dachte, aber irgendetwas jenseits der Fünfzig hätte ich ihr nicht gegeben. Das sei auch einer der Gründe, weswegen er inständig gehofft habe, mich wiederzusehen. So viele Gleichaltrige treffe man nicht. Und dann erst recht nicht solche, die gut Englisch sprechen würden.

Von nun an geht’s bergab

Dann kommt der Abstieg, und unsere kleine Reisegruppe zerlegt es erneut. Diesmal ist Ben derjenige, der am Schnellsten unterwegs ist, ich bin in der Mitte und Tina bildet mit Abstand das Schlusslicht. In den Raucherpausen finden wir dann alle wieder zusammen. Tina taut auch endlich ein bisschen auf. Das Hauptproblem für sie ist tatsächlich die Sprachbarriere. Immer wieder spricht sie mit Ben auf Schwedisch und wird dann von ihm ermahnt, es auf Englisch zu versuchen. Ich verstehe ja wahrlich viele Sprachen, aber bei Schwedisch bin ich raus.

img_4138Die Abstiegspassagen sind steil, aber nicht so schlimm wie befürchtet. Dennoch bin ich froh, sie großteils alleine zu gehen, denn eine gewisse Konzentration schadet nicht, wenn man Fuß vor Fuß setzt. Der Nebel ist inzwischen verschwunden und immer wieder bieten sich schöne Ausblicke, die mich pausieren lassen.

Das letzte Stück nach Triacastela führt noch einmal durch den Wald. Ich genieße jeden Schritt, während der Weg sich neckisch abwärts schlängelt. Kurz vor Triacastela findet sich ein riesiger Baumstumpf, vor dem eine Frauengruppe posiert und Fotos macht. Der Stamm ist so beeindruckend, dass ich die Damen frage, ob sie ein Bild von mir machen können. Machen sie natürlich gern.IMG_4143

Schneller als erwartet, komme ich in Triacastela an. Ben sitzt bereits in der ersten Bar. Ich sinke neben ihn und bestelle mir meine Kas Limon. Herrlich. Für heute ist das Ziel erreicht. Es ging deutlich besser als gedacht, aber ich merke die Anstrengung der letzten Tage dennoch. Meine Beine sind ein bisschen zittrig.

Die beiden Schweden wollen noch weiter nach Samos. Es gibt die Möglichkeit, einen lohnenden Umweg zu machen und an dem alten Kloster von Samos vorbei zu gehen, das sich etwa zehn Kilometer von hier befindet. Ich finde es schade, dass wir uns dann schon wieder trennen werden, und sage das auch. Für mich kommt dieser Umweg heute aber definitiv nicht mehr in Frage. Mein Körper braucht ein bisschen Rekreation. Ich habe seit Leon keinen Pausentag mehr gemacht, da muss ich es nicht übertreiben.

Ben wirkt nachdenklich. Er räumt ein, dass auch er die Vorstellung, weiter gemeinsam Zeit zu verbringen, ziemlich verlockend finde. Dann kommt auch Tina ins Ziel. Sie ist ziemlich fertig, aber auch stolz, dass sie es geschafft hat. Als sie mitbekommt, dass Ben in Erwägung zieht, hier zu bleiben, strahlt sie. Das wäre doch eine prima Idee.

Ein Hoch auf die Bauchentscheidungen

Wir bestellen uns etwas zu Essen. Danach kann man ja immer noch entscheiden, wer wie wo weitergeht oder auch nicht. Ich kann Ben verstehen. Ich selbst gebe auch nur sehr ungern bereits gemachte Pläne auf. Andererseits zeigt der Camino mir immer wieder, wie wichtig es ist, auf den Bauch zu hören und den Moment genau so mitzunehmen, wie er sich ergibt. Je mehr in seinem Bauch landet, desto mehr hört Ben auf ihn. Am Ende des Essens ist es beschlossene Sache: wir werden den Tag gemeinsam verbringen.

Mein Reiseführer empfiehlt eine private Unterkunft, die sogar über eine Außenterrasse verfügt. Wir malen uns aus, den Nachmittag dort bei Wein, Schinken und Käse ausklingen zu lassen. Man muss schließlich auch mal Glück haben. Zielstrebig marschieren wir durch den Ort und in die Straße, die zur Herberge Berce do Camino führt. Glaube versetzt Berge, einfach selbstbewusst auftreten und die Situation visualisieren – dann tritt sie auch ein.

Und siehe da, wir haben Glück. Es gibt tatsächlich noch Plätze. Doch nicht nur das. Was dem Ganzen das Krönchen aufsetzt, ist unser Zimmer, denn wir bekommen unser ganz eigenes Viererzimmer, das wir zu dritt bewohnen dürfen. Welch Luxus. Ich schlafe heute Nacht also in einem Einzelbett. Niemand, der über mir liegt und mit seinem Drehen das Bett in ein Boot verwandelt, niemand der mitten in der Nacht aufstehen wird, um mit Plastiktüten zu knistern. Herrlich.

Nach der üblichen Waschaktion machen wir uns auf den Weg zum Supermarkt, um die auserkorenen Leckereien zu besorgen. Wir werden Opfer der Siesta und machen notgedrungen Zwischenstation in einer Bar, die uns mit Wein und Bocadillos verköstigt. Auf dem Rückweg hat der Supermarkt geöffnet, und wir besorgen Wein, Käse und Chips, mit denen wir uns auf der Terrasse gemütlich einrichten.

Die Unterhaltung bestreiten hauptsächlich Ben und ich. Tina kommt mit ihrem Englisch nicht so ganz hinterher, befürchte ich. Zwischendurch fühle ich mich stellenweise ein bisschen schlecht, weil ich ihr die Gesellschaft wegnehme, aber andererseits habe ich viel zu viel Spaß, als dass ich darauf Rücksicht nehmen könnte. Wir sind seit einer Dreiviertelstunde draußen, als es zu regnen beginnt. Es sieht nicht nach einem kurzen Schauer aus, und wir reißen schnell unsere Klamotten von der Wäscheleine, packen unsere Siebensachen und flüchten in den Aufenthaltsraum.

Schwedischer Katzenjammer

Mir fällt ein, dass ich seit Burgos und der Zeit mit Kati und den Jungs immer noch ein Kartenspiel mit mir herumschleppe. Da kann ich doch gleich einem kleinen Bildungsauftrag nachkommen, denn die beiden Schweden kennen Mau Mau nicht. Die Regeln sind schnell erklärt, und schon bald zocken wir mit verschärften Regeln. Das absolute Highlight ist Tina, die, wenn sie ihre vorletzte Karte spielt, die Nase kräuselt und ein sehr langgezogenes, nasales Maaa—-ooooo—-wwww von sich gibt, das mich jedes Mal in schallendes Gelächter ausbrechen lässt.

Wir sind mittendrin, als ein weiterer Pilger dazu stößt. Francisco ist Halbspanier, aber in Unna aufgewachsen und kennt die Mau Mau Regeln im Schlaf. Ab sofort spielen wir zu viert, und die Zeit vergeht wie im Flug. Um acht Uhr reicht es uns. Tina ist müde und will ins Bett. Das viele Englisch strengt sie an. Ben und ich wollen noch mal auf einen Drink  in den Ort. Ich habe ihm von meinem neuen Lieblings-Gin, dem galicischen Nordes, erzählt, und wir wollen schauen, ob wir den irgendwo auftreiben können.

Auf der Suche nach dem Gin des Lebens

Wir ziehen von Bar zu Bar, schauen von außen durch Fenster, beäugen Tresen und fragen zum Schluss sogar direkt die Barkeeper. Dafür ernten wir zwar bewundernde Blicke – die Spanier sind erstaunt, dass zwei Ausländer ihren galicischen Gin kennen – gehen aber leider leer aus. Der Gin sei zu teuer, um hier ausgeschenkt zu werden, erklärt uns einer der Barkeeper. Triacastela scheint eher auf die Klassiker spezialisiert zu sein. Wir geben auf und bestellen Hendricks mit Tonic. Schmeckt ja auch.

Mit zunehmend gelöster Zunge weiht mich Ben in die Motive seines Caminos ein. Er will endlich für sich herausfinden, wie sein Leben weitergehen soll. Beruflich wie auch privat sei er in Situationen gelandet, die zwar per se nicht schlecht seien, die er aber nicht gezielt herbeigeführt hätte und von denen er eigentlich gar nicht mehr wisse, ob er sie wirklich wolle. Der Jakobsweg soll nun vor allem Klarheit in seine 14-jährige Beziehung bringen, die inzwischen wohl nur noch als gute Freundschaft vor sich hin dümpelt.

Ich wundere mich, dass man so lange zusammen ist, ohne verlobt oder verheiratet zu sein und frage, ob sie Kinder hätten. Autsch, wunder Punkt. Es klappt nicht, erfahre ich, und da Bens Freundin älter ist als er, sei das ein Thema, das die Beziehung enorm belastet. Ich entschuldige mich, für mein Fettnäpfchen. Ben zuckt mit den Schultern. Das könne ich ja nicht wissen. Wie das Thema denn bei mir aussähe? Ich erzähle von meinem Freund zuhause, davon, dass wir zusammen wohnen, von unserem Garten, der gerade blüht und den ich nur auf seinen Fotos bewundern kann und schlussendlich auch davon, dass wir darüber nachdenken, das Thema Kinder nach meiner Rückkehr sehr konkret anzugehen.

Einzelschicksal

Ben will wissen, wieso ich denn alleine laufe und nicht zusammen mit meinem Freund. Ich muss lachen. Das bin ich in letzter Zeit häufiger gefragt worden. Und so verrate ich ihm, dass der Jakobsweg seit 20 Jahren mein Traum war und für mich immer klar war, dass ich ihn alleine machen würde. Das Eine hing irgendwie immer mit dem Anderen zusammen, ohne dass ich das erklären könnte.

Das könne er sich bei seiner Freundin absolut nicht vorstellen, sagt Ben wehmütig. Sie liege am liebsten auf der Couch und schaue fern. Als Urlaub bevorzuge sie Strandurlaub in schönen Hotels mit gutem Essen. Tag ein Tag aus zu Fuß zu laufen und in primitiven Unterkünften zu nächtigen, wäre definitiv nichts für sie. Das sei schade, weil er selbst so gern unterwegs sei und immer feststelle, wie gut es ihm tue, draußen zu sein und sich zu bewegen. Er würde sich wünschen, dass sie diese Leidenschaften teilte, das würde sie vielleicht auch wieder näher zueinander bringen. Ich runzle innerlich die Stirn. Das ist nicht gerade das schmeichelhafteste Bild, das er da von seiner Partnerin zeichnet. Wieso bleibt man zusammen, wenn man offensichtlich so unterschiedlich ist?

Ich überlege kurz. Mein Freund könnte Reisen dieser Art mit Sicherheit etwas abgewinnen. Vielleicht hätte er sogar Lust gehabt, mich auf dem Camino zu begleiten, aber ehrlich gesagt habe ich ihn nie gefragt. In meiner Vorstellung war auf meinem Jakobsweg kein Platz für Begleitung. Klingt ziemlich hart, merke ich, jetzt wo ich es ausspreche, aber manche Dinge muss man einfach allein tun.

Nach zwei Gin, die auf dem Rotwein eine gute Basis finden, wird es Zeit, nach Hause zu gehen, bevor die Herberge schließt. Ben hakt mich unter, denn ich schwanke leicht. Gott sei Dank haben wir es nicht allzu weit. Zurück in unserem Zimmer begrüßt uns ein kleines Schnarchkonzert. Wir müssen lachen. Tina und Ben hatten sich im Aufenthaltsraum noch gegenseitig vorgeworfen zu schnarchen. Ich hatte eher damit gerechnet, dass der Riesenkerl an meiner Seite Täter wäre, aber die kleine Schwedin kann gut mithalten. Schicksalsergeben pule ich meine Ohrstöpsel aus der Schlafsacktasche. Ob irgendwann noch mal eine Nacht kommt, in der ich sie weglassen kann und morgens nicht mit schmerzenden Ohrmuscheln erwache?

Morgen werde ich mit Sarria den Ort erreichen, in dem viele Pilger – „Pussygrinos“, wie Marco und ich sie genannt haben – ihren Jakobsweg beginnen. Von Sarria sind es noch etwas mehr als 100 Kilometer nach Santiago, also genug, um eine Compostela zu bekommen. Ab dann wird es voraussichtlich wieder richtig voll auf den Wegen, und das tägliche Wettrennen um die Unterkünfte beginnt von vorn. Während diese Pilger überhaupt erst anfangen, muss ich mich manchmal selbst kneifen, um zu verstehen, dass ich wirklich schon über 650 Kilometer in den Beinen habe.

Zeitreise:

Vorwärts:  Jetzt möchtest du wissen, wie voll es in Sarria wirklich ist und was uns auf dem Weg dorthin sonst noch erwartet? Dann komm mit mir von Triacastela nach Barbadelo und triff Fatdog, entdecke die Schweizer Langsamkeit und beende den Tag mit mir und einer Sangria am Pool als 5 Sterne Deluxe Tourigrino.

Rückwärts: Du hast verpasst, wie ich gestern im galicischen Dauerregen gen O Cebreiro gekraxelt bin und im Hobbit-Dorf cineastische Impressionen geboten bekam, während mich putzige Pulpos zu den Klängen von Riverdance lotsten, und ich schließlich mit den 77 Zwergen gemeinsam übernachtete? Dann komm noch mal mit mir von Trabadelo nach O Cebreiro.

Du bist hier heute durch Zufall gelandet und möchtest das Abenteuer von Anfang an erleben? Dann geht es hier entlang.

Kommentare und Ergänzungen

Bist du selbst den Jakobsweg gelaufen? Hast du es allein durchgezogen oder bist du mit jemandem gemeinsam in das Abenteuer gestartet? Kannst du dir beide Weisen vorstellen? Hast du unterwegs auch schon mal deine Pläne über den Haufen geworfen, um mit neuen Bekanntschaften zusammen zu bleiben? Ich freue mich wie immer über deinen Kommentar.

Ich muss das weitersagen

7 Gedanken zu „Camino Frances #34: Von O Cebreiro nach Triacastela&8220;

  1. Ich bin zufällig auf deine Seite gestossen.
    Ich bin den Francés diesen Herbst alleine gelaufen. Beim Lesen deiner Erlebnisse kamen viele gute Erinnerungen hoch. Danke, dass ich virtuell mit dir auf der Reise sein darf

    1. Hallo Erika, das freut mich zu hören, zumal deine Erinnerungen ja durchaus frischer sind als meine 😊
      Was war denn dein Camino-Highlight? Und war es sehr voll? Liebe Grüße,
      Audrey

  2. Welch Unterschiede man allein wettertechnisch auf gleicher Strecke erleben kann… Bin heute Mittag in Triacastella angekommen, weiter geht nicht bei über 30°.
    Dein Blog war ein schöner Wiedereinstieg in den Camino in diesem Jahr – Danke dafür.
    Wenn Du an Schönwetterimpressionen aktuell vom Camino interessiert bist, lass es mich wissen.
    VG
    Hartmut

    1. Hallo Hartmut, es ist total unterschiedlich, das habe ich gerade selbst erlebt.
      Ich bin momentan auf dem
      Camino del Norte unterwegs – ein Camino-Freund ebenfalls, allerdings ein wenig vor mir. Er hatte übelsten Regen, ich viel Sonne. Die Fotos sehen aus wie von einem anderen Ort 🙂
      Schön, dass ich dich wieder reingebracht habe. Genieße es, Audrey

Und was sagst Du?