Albsteig, Etappe 6: Von Weißenstein zum Wasserberghaus

Tag sechs auf dem Albsteig von Weißenstein zum Wasserberghaus begeistert mit Lurchi und den sieben Weltwundern, märchenhaftem Moos und mörderischem Matsch, mit Bild der Frau und Frau von Welt, scheitert aber kläglich am Linsenzufriedenheitsgesicht (25.9.2020, 24,5km)

Als ich nach einer erholsamen Nacht aufwache, hat sich das Wetter gedreht. Die Sonne pausiert, und der Regen der letzten Stunden hat für beachtliche Abkühlung gesorgt. Gerade einmal zwölf Grad hat der neue Tag im Angebot. Hoffentlich sind die Wege nicht allzu rutschig, schießt es mir durch den Kopf. Schließlich laufe ich heute alleine und kann es mir noch weniger leisten auszurutschen als sonst.

Mit Lurchi und den 3 Weltbildern als Frau von Welt zum Linsenzufriedenheitsgesicht auf dem Albsteig von Weißenstein zum Wasserberghaus #albsteig #hw1 #schwäbischealbnordrandweg #badenwürttemberg #deutschland #wanderung #fernwanderung #wandern #fernwandern #rucksack #läuftbeiihr"

Morgendliche Weltwunder-Parade

Als ich den Frühstücksraum um halb acht betrete, lerne ich den freundlichen Inhaber der Silberdistel kennen, der bereits den Tisch für mich gedeckt hat. Alle anderen Gäste sind längst weg, und so setzt er sich mit einem Kaffee zu mir und wir reden über die Auswirkungen der Pandemie.

Die Monteure hätten ihm während Corona die Existenz gerettet, erzählt er mir. Während touristische Übernachtungen nicht erlaubt waren, seien diese berufsbedingten Unterbringungen weiterhin möglich gewesen und hätten das nötige Geld eingebracht.

Auch im privaten Bereich waren die Nebenwirkungen der Pandemie für ihn spürbar. Seine über 80-jährige Mutter im Kosovo hat er ewig nicht sehen können. Erst waren die Grenzen komplett dicht. Nun sind sie zwar wieder geöffnet, jedoch kann sich der Hotelier keine Quarantäne auf dem Rückweg erlauben, denn wer soll sich dann „um ’s G’schäft“ kümmern?

Ich denke an meine Eltern im Kreis Heinsberg, denen es Gott sei Dank gut geht und die ich vor wenigen Wochen nach langer Zeit besuchen konnte. Auch im Job darf ich nicht meckern. Zwar vermisse ich meine Kollegen sehr, aber immerhin kann ich problemlos aus dem Home Office arbeiten. Ich klage also auf vergleichsweise hohem Niveau.

Um kurz nach neun mache ich mich auf den Weg zurück nach Weißenstein und wähle die Seitenstraße. Ich staune nicht schlecht, als in einem Vorgarten eine meterlange Nachbildung der Golden Gate Bridge auf sich aufmerksam macht. 

Sieben Weltwunder auf dem Weg zum Wasserberghaus
Die Golden Gate Bridge hatte ich hier irgendwie nicht erwartet

Damit sich das Weltwunder nicht so einsam fühlt, stehen dort übrigens auch noch das Brüsseler Atomium und der Eiffelturm. Schön, wenn Menschen Hobbys haben.

Schlossherr Lurchi 

Schon bald erhebt sich am Ende der um diese Uhrzeit noch verlassenen Straße das Schloss. Gestern bei Sonnenschein von oben betrachtet, sah es deutlich hübscher aus. Dafür säumen die menschenleere Straße zur Kirche schmucke Fachwerkhäuschen. 

Auftakt Albsteig Etappe 6
Hier hat die Welt noch die Ordentlichkeit einer Postkarte

Gleich hinter dem Gotteshaus führt der HW1 hinauf. 15 Kilometer liegen zwischen mir und Gingen, verrät der hübscheste Wegweiser des gesamten Albsteigs. Gingen ist in meinem Fall nur Zwischenziel. Weitere zehn Kilometer von dort erwartet mich dann meine heutige Unterkunft, das Wasserberghaus.

Kunstvoller Wegweiser, Albsteig Etappe 6 Weißenstein - Wasserberghaus
Links Heubach, rechts Gingen: Der hübsche Wegweiser erinnert mich an eine kunstvolle Ritterlanze

Ich habe erst wenige Stufen hinauf genommen, als mein Morgenkaffee mit aller Gewalt aus mir heraus möchte. Das Timing ist denkbar ungünstig, schließlich befinde ich mich auf bebautem Gelände. 

Schloss Weissenstein, Albsteig Etappe 6
Romantisch zugewuchert begrüßt mich das Schloss, das in Privatbesitz ist

Was sein muss, muss sein. Eine Hecke bietet den nötigsten Sichtschutz, befinde ich. Als ich aus meiner hockenden Position auf Augenhöhe zwischen Ästen und Laub eine Bewegung wahrnehme, kann ich mein Glück kaum fassen. Vor mir sitzt der erste Feuersalamander meines Lebens. 

Feuersalamander im Unterholz
Den Kollegen hätte ich ohne meinen unfreiwilligen Stopp niemals entdeckt

Was für ein wunderschönes Tier! Und wie froh bin ich um meinen ungeplanten Zwischenstopp – Lurchi hätte ich sonst mit Sicherheit übersehen.

Erfolgreiche Schatzsuche 

Hinter dem Schloss geht es einen knappen Kilometer teils steil nach oben. Das kenne ich bereits von den Vortagen. Der Auftakt zum Albsteig besteht in der Regel aus einem steilen Aufstieg seinerseits und lauten Flüchen meinerseits. Immerhin geht es heute im Anschluss entspannt weiter. Flache Waldwege, die den Regen komplett aufgesogen haben, federn meine Schritte.

Schnecke am Wegesrand
Der eine im Schneckentempo, die andere mit weit ausholenden Schritten

Gute anderthalb Stunden nach Wanderstart nähere ich mich meinem Schatz. Wanderkumpane Oliver hat mir gestern drei Hinweisbilder geschickt, die es aufzuspüren gilt. Ein Feldstück samt Hochsitz erkenne ich eindeutig wieder. Goldgräberfieber packt mich.

Wenig später finde ich unter einem Steinstapel meinen „Schatz“, eine Botschaft mit guten Wünschen für den Tag und als Hörtipp für den Abend Ulrich Tukurs „Hörst du das Meer.“ Dieses Spiel ist ganz nach meinem Geschmack. Hoffentlich hält Oli das ein paar Tage durch.

Steinsplitter, manche mit Fossilien
Irgendwo hier finde ich gleich meine Botschaft

Der bemooste Wald verzaubert mich in der darauffolgenden, halben Stunde mit seinen grau-silbrig-braunen Facetten. Gerade wenn ich alleine unterwegs bin, habe ich ein Auge für derlei Details, warte aber vergeblich auf Elfen, Zwerge und Gnome.

Märchenhafte Mooslandschaft
Herr der Ringe ist auch nur ein paar Schritte entfernt

Auch die Aussichten sind heute nicht von schlechten Eltern, denn vor mir liegen gleich drei Erhebungen, die um den schönsten Ausblick wetteifern. Aktuell habe ich jedoch mehr Blick für die Wetteraussichten. Die Wolkentürme bereiten mir ernsthafte Sorgen, dass es mich so richtig schön erwischen könnte. 

Bedrohliche Wolkengebilde
Da braut sich einiges zusammen, ich hoffe, ich bleibe trocken

Nach zwei Stunden bin ich an Olis gestrigem Etappenziel. Es ist mir schleierhaft, wie der Berliner diesen Teil noch gestern an unsere Tour anhängen konnte. Ich wäre stehend k.o. gewesen und bin froh, über Nacht pausiert zu haben.

PanoramOma

Der Messelstein ist mit 748 Metern höchster Punkt meiner heutigen Wanderung. Seine hübsche Bank eignet sich perfekt für meine erste Pause. Klamottentechnisch muss ich um eine Zusatzlage aufrüsten, denn es ist kalt und windig, sobald man still sitzt.

Auf dem Messelstein, Albsteig in Richtung Wasserberghaus
Idyllisches Pausenplätzchen auf 750m, zumindest mit dem richtigen Equipement

Gut, dass ich zudem nicht nur meine Oma-Unterlage dabei habe, deren Alu mich wärmt. Auch mein Laubsack kommt wie gerufen, denn die Bank ist feucht vom Nebel. Derart professionell aufbereitet, genieße ich im Anschluss den Blick in die Weite und auf die Kaiserberge.

Panoramablick auf die Kaiserberge vom Albsteig
Ein Moment, für den sich der Tag schon wieder gelohnt hat

Nur zwei Kilometer weiter erwarten mich die Rötelsteine. Der Windsack belegt eindrucksvoll, was ich die ganze Zeit schon am eigenen Leib spüre: es weht ordentlich von der Seite. Das Panorama genieße ich dennoch. Erneut buhlen der Hohenstaufen, Rechberg und Stuifen um Bewunderung, und die kriegen sie.

Ausblick von den Rötelsteinen, Albsteig Etappe 6, Weissenstein - Wasserberghaus
Der Wind kommt gnadenlos von der Seite. Wenigstens hält er mir den Regen vom Leib.

Bevor ich auch noch den Hohenstein erklimmen kann, gilt es, mit ein paar Kilometern auf Beton in Richtung Kuchalb fertig zu werden. Neben mir Felder, Stromtrassen und Windräder. Hätte ich nicht eben noch in die Ferne geschaut, könnte man glatt denken, man sei auf dem platten Land.

Abkürzung über die Straße nach Kuchalb
Es muss nicht immer nur naturbelassen und pittoresk sein, auch Beton hat seinen Charme, wenn er um einen Kilometer verkürzt

Da besagter Asphaltweg nun wahrlich keine großen Abenteuer verspricht, schenke ich mir kurzerhand einen Bogen von knapp einem Kilometer und laufe um 13 Uhr in Kuchalb ein. Auf einer Bank am Ortsausgang raste ich kurz und übersehe im Anschluss fast den HW1, der unauffällig an einer Wiese entlang führt.

Versteckter Wanderweg am Apfelbaum
Fast wäre der Wanderweg an mir vorbeigerauscht

Bild der Frau 

20 Minuten später befinde ich mich plötzlich auf dem Hohenstein. Da ich bereits oben war, musste ich offensichtlich nicht mehr groß hinauf und bin latent verwundert, als sich hinter einer Biegung plötzlich eine mega Aussicht öffnet. Hatte ich bisher noch keine Menschenseele getroffen, tummeln sich hier vier andere Wanderer.

Kein Wunder. Der Hohenstein liegt gleich oberhalb von Gingen. Da bietet sich eine kleine Tageswanderung an. Gut für mich, denn so erhasche ich endlich mal ein Bild von mir.

Ausblick Hohenstein oberhalb von Gingen
Bild der Frau – es hat also doch etwas Gutes, wenn mal andere Wanderer da sind

So unanstrengend das Erreichen des Hohensteins war, so schweißtreibend ist sein Abstieg. Auf schmalen, matschigen Pfaden setze ich vorsichtig Fuß vor Fuß. Der Weg wirkt so verlassen, dass ich mich stellenweise frage, ob ich überhaupt noch richtig bin. 

Abstieg vom Hohenstein nach Gingen, Albsteig, Etappe 6
Wie so häufig sieht man auf dem Foto nicht, wie steil es hier heruntergeht. Dass die Serpentinen matschig sind, lässt sich hingegen erahnen. Aber ist das überhaupt noch der Weg?

Immer wieder rutscht mein Fuß auf dem schlammigen Untergrund, während es neben mir steil abfällt. Derlei unfreiwillige Abkürzung würde ich mir gerne ersparen und laufe hochkonzentriert die Serpentinen entlang. Auch wenn das wirklich steile Stück nur etwa 600 Meter dauert, verlangt es mir einiges ab und mich durchspült eine Hitzewallung, als es überstanden ist.

Eine Frau von Welt

Nach weiteren anderthalb Kilometer eher gemütlichen Abstiegs stehe ich um halb drei vor den Toren Gingens. Der Albsteig verläuft quer durch den Ort, was mich in die Luxussituation bringt, im Vorbeigehen Verpflegung kaufen zu können. 

Brücke über die Fils in Gingen, auf dem Weg zum Wasserberghaus, Albsteig
Sie gingen durch Gingen. Ob es hier Fils-Läuse gibt?

Der Bäcker in der Nähe der Brücke über die Fils wirbt mit Zwiebelkuchen, und ich schlage zu. Wieder draußen spricht mich eine ältere Dame an. Ob ich von der Zeitung sei? Als ich verneine, geht sie darüber hinweg und erzählt mir, wie sehr sie sich freue, wenn sie die große Welt treffe. Ich schaue etwas verdutzt.

Frauen mit Rucksack verkörperten für sie die große Welt, erklärt sie mir, als hätte ich da auch selbst drauf kommen können. Es sollte viel mehr Frauen geben, die so etwas alleine machen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Dame wirklich so begeistert ist, oder ob sie ein wenig verwirrt ist, nicke jedenfalls freundlich und verabschiede mich in besagte, weite Welt.

An der Sparkasse muss ich wirklich lachen. Ein Plakat klärt über den richtigen Gebrauch des Mund-Nasen-Schutzes auf. Mit Oliver hatte ich in Unterkochen an Tag Vier noch Witze über meinen versuchten Bankraub gemacht, als ich mit einem Messer in der Hand und der Maske vor dem Gesicht verkündete, Geld holen zu gehen. Das Bild habe ich für Oli gemacht, es ihm aber nie geschickt, was ich hiermit nachhole.

Mit den besten Grüße nach Berlin

Die schöne Heide und kein Schäferhund namens Dackel

In Begleitung erster Tropfen verlasse ich den Ort durch eine Unterführung und bin schnell wieder in der Natur. Erneut führt der Albsteig gemächlich aufwärts und in Richtung einer Wacholderheide.

Ein schmaler Trampelpfad schlängelt sich durch die karge, verlassene Landschaft und führt mich in eine wunderbare Senke, die in alle Richtungen herrliche Ausblicke auf die herbstlichen Hügel bietet.

Herbstliche Heidelandschaft am Albsteig
Bei diesem Farbspiel geht mir mal wieder das Herz auf. Ein paar Schafe hätten sich super auf dem Bild gemacht

Nur von einem Schäfer mit 400 Schafen fehlt jede Spur. Den hatte Oliver heute Mittag samt Hütehund getroffen und sich doch sehr gewundert, als der Schäfer rief: „Komm zurück, du Dackel.“ Auf Olis Frage, dass es sich doch offensichtlich um keinen Dackel handle, habe der Schäfer nur lachend geantwortet: „Des isch der Erste aus seiner Familie, der alle Leut‘ kennen lernen will. Wie a Dackel halt.“

Schuppen im Abendlicht
Kein Dackel, kein Schäfer, aber der Romantik tut es keinen Abbruch

Adrenalinschub für die letzten Meter

Damit ich nicht zu sehr ins Genusswandern verfalle, nimmt der Albsteig nun einen letzten Anlauf und führt höher und höher. Während sich das auf Teer und Schotter noch gut machen lässt, schaltet der HW1 anderthalb Kilometer vor meinem Ziel einen Gang hoch und biegt auf einen schmalen Forstweg ab, auf dem es noch mal heikel wird.

Der Pfad ist nicht nur abschüssig, er besteht auch am Rande aus loser Erde, auf der man keinen Halt findet und besser keinen Fuß setzen sollte, wenn man nicht wegrutschen möchte. Meine Strategie lautet daher von Wurzel zu Wurzel und von Stein zu Stein, auch wenn es mühsam ist.

Holprige Schlusskilometer auf dem Albsteig
Wurzelwerk, lose Steine und ein abschüssiger Weg. Der Albsteig gibt sich kurz vor dem Wasserberghaus noch mal richtig Mühe, damit keine Langeweile aufkommt

Oli hatte mich bereits vorhin vor diesem Stück gewarnt. Das sei aber harmlos im Vergleich zum Abstieg vom Wasserberghaus, schrieb er. Hier solle ich morgen nach Möglichkeit den Georg-Köpf-Weg meiden. Er sei erst voller Bucheckern und dann bedeckt mit rutschigem, nassem Laub.

Manchmal weiß ich nicht, ob es gut oder schlecht ist, jemanden vor sich zu haben, der Tipps geben kann. Einerseits bin ich froh über jede Warnung. Gleichzeitig stelle ich fest, dass ich mir dann viel zu viele Gedanken mache, die ich niemals gehabt hätte, wenn ich einfach drauf losgelaufen wäre.   

Hütten-Feeling vom Feinsten

Auch dieses Stück meistere ich und stehe um viertel nach fünf auf einer menschenleeren Biergartenwiese, an deren Ende das Wasserberghaus auf mich wartet. Diese Unterkunft war eine derjenigen, um die ich meine Wanderung geplant habe.

Ich liebe Wanderunterkünfte, und so wollte ich hier unbedingt bleiben, denn das Wasserberghaus ist dank seiner Doppelzimmer eine der wenigen Hütten, die auch während der Pandemie Gäste beherbergen kann.

Wanderunterkunft Wasserberghaus
Endlich am Ziel. So verlassen ist der Biergarten bei gutem Wetter sicher nicht

Im Gastraum ist ordentlich zu tun. Eine achtköpfige Gruppe Jungs in meinem Alter sitzt beim Bier und lärmt fröhlich vor sich hin, während mir die Wirtin den Schlüssel aushändigt.

Bevor ich den Schlaftrakt im Nebengebäude betrete, heißt es Schuhe aus, im Zimmer muss das Bett überzogen werden. Nostalgie steigt in mir auf, denn das Prozedere erinnert mich an die Herbergen am Jakobsweg, nur dass es dort nicht so hübsche, rot-weiß karierte Bettwäsche gab. Glücklich und zufrieden hüpfe ich wenig später im Waschraum unter die Dusche.

Gemütliche Atmosphäre mit karierter Bettwäsche
Ist das nicht gemütlich? Ich freu mich jetzt schon auf die Nacht

Die Welt ist klein

Wie eigentlich bei jeder Wanderung regeneriert mich die Dusche sofort. Via Facebook meldet sich Bloggerkollege Björn von Bergparadiese. Er hat meine Wanderung verfolgt und bittet mich, Grüße an die Inhaber des Wasserberghauses zu übermitteln, das seien Freunde von ihm. Wie klein die Welt doch ist!

Kaum hat man mich im Gastraum platziert, wandert der erste Schnaps an meinen Tisch. Er kommt mit freundlichen Grüße von der Achterrunde, die inzwischen so richtig die Lampen an hat. Und da ich im wahrsten Sinne des Wortes zwischen den Stühlen sitze, während ich am Tischende hocke, um den Mindestabstand zu den anderen Gästen einzuhalten, dauert es nicht lange, bis der Erste aus der Runde zu mir rüber rutscht und mich mit Fragen bombardiert.

Er habe meinen großen Rucksack gesehen. Da wäre ich schon die zweite heute. Ihnen sei vorhin ein Typ mit Rucksack und blauer Hose begegnet. Er staunt nicht schlecht, als ich verrate, dass ich die blaue Hose bestens kenne. Darin steckt Oli.

Bereitwillig erzähle ich von meinem Wanderabenteuer auf der Alb und dem Fernwandern an sich. Meinem Gesprächspartner verwundert meine Begeisterung. Sie wären heute acht Kilometer gelaufen, das habe ihnen wirklich gereicht, denn eigentlich sei ja Männertag und das Laufen zweitranging. Hauptsächlich gehe es ums Zusammensein.

…und ums Trinken, vervollständige ich innerlich den Satz mit Blick auf denjenigen von ihnen, der bereits sein Haupt auf die Tischplatte gebettet hat und sich im Powernap übt. Nur zur besseren Einordnung: es ist nicht mal 19 Uhr.

Das Linsenzufriedenheitsgesicht

Mein neuer Freund führt mich derweil durch die Speisekarte und bestellt mir auch gleich den zweiten Schnaps, während ich auf sein Geheiß ein typisch schwäbisches Gericht ordere: Spätzle mit Linsen und Saiten. Letzteres sind Wiener Würstchen hat er mir erklärt. Die Kombination dieser drei Zutaten finde ich recht abenteuerlich. Aber gut – des ischt man halt hier, und mein ortskundiger Begleiter hat versichert, die Linsen seien richtig gut. 

Klassiker der Schwäbischen Küche: Linsen mit Saiten
So isst man hier – Linsen, Saiten und Spätzle. Um ausreichend Kohlenhydrate muss ich mich im Wasserberghaus wohl kaum sorgen

Spätzle mit Linsen waren sein Lieblingsgericht aus Kindertagen. Und wären Linsen gut gemacht, würde sich immer das Linsengesicht tiefster Zufriedenheit einstellen. Und das habe er hier vorhin gemacht, ich könne also nur gewinnen.

Ich enttäusche ihn. Zwar schmeckt es mir, aber von ekstatische Verzückung bin ich weit entfernt. „Des isch net d’s Linse G’sicht“, befindet meine Begleitung traurig und lädt mich zum Trost auf ein Bier an seinen Tisch ein.

Ich lasse mich nicht länger bitten. Solche Abende sind in der Regel unterhaltsam – so auch dieser. Der Spaß nimmt allerdings ein jähes Ende, als Linsen-Boy einsehen muss, dass aus uns beiden heute Nacht kein Paar mehr wird. Das hätte er sich anders vorgestellt, sagt er beleidigt und rauscht von dannen, als ich sein verlockendes Angebot ausschlage.   

Morgen ist ein neuer Tag

Für mich wird es ebenfalls Zeit, ins Bett zu verschwinden, wenn auch allein. Die Wirtin erkundigt sich besorgt, ob alles okay sei, als ich zahle. Sie sei sich nicht sicher gewesen, ob sie mir hätte beistehen müssen. Lachend erkläre ich, dass ein Herz gebrochen wurde, aber nicht meins und richte ihr dann die Grüße von Björn aus. Kurz herrscht Verwirrung, dann fällt der Groschen. Sie hat früher im Allgäu gelebt und kennt seine Freundin.  

Da meine Gedanken immer noch um den morgigen Abstieg und bessere und schlechtere Wegalternativen bei Regen kreisen, bitte ich die Wirtin um ihre Einschätzung. Sie verspricht mir erstklassige Beratung von ihrem Mann beim Frühstück morgen. Bis dahin wissen wir auch, wie Wetter und Wegbeschaffenheit tatsächlich sein werden.

Halbwegs beruhigt mümmele ich mich unter meiner rot-weiß-karierten Bettdecke ein und träume von Linsen.

 

Kommentare und Feedback

Ich habe mich während der heutigen Tour ein paar Mal gefragt, was besser ist: gut informiert zu sein und viel vorab in Erfahrung zu bringen, oder sich nicht so einen Kopf zu machen und Dinge einfach auf sich zukommen zu lassen? Ich gebe zu, ich schwanke.

Einerseits finde ich es gut, einen groben Plan zu haben, um beispielsweise Ausrüstung und Proviant darauf abzustimmen. Das Wissen um den Streckenverlauf ist zudem sinnvoll, um seine Kräfte gut einzuteilen. Gleichzeitig stelle ich im Rückblick immer wieder fest, dass Stücke, vor denen ich vorab den größten Respekt hatte, weil ich über etwaige Schwierigkeiten gelesen hatte, meist nur halb so problematisch waren.
Retrospektiv waren sie sogar oft die Highlights der Tour. Das gilt für die Pyrenäen-Etappe beim Camino genauso wie für die Schrammsteine auf dem Malerweg. Und was für das Wandern gilt, gilt streng genommen wohl für das gesamte Leben.

Wie handhabst du das? Bist du Typ Planen oder eher Typ Überraschung?
Wie immer freue ich mich auf deine Meinung in den Kommentaren – sei es zu der Frage oder zum Beitrag insgesamt.

Verfolgungswahn

Möchtest du die Wanderung von Weißenstein zum Wasserberghaus selbst laufen und willst dich nicht nur auf die Markierung verlassen? Dann kannst du dich auch gern auf meine Spuren machen. Ich habe die Tour für dich aufgezeichnet.

Zeitreise 

Vorwärts: Du bist gespannt, wie es weitergeht? Dann folge mir doch zu Tag Sieben auf dem Albsteig (HW1) vom Wasserberghaus zum Boßler mit einem Nebenjob als Produkttester, der längsten Abkürzung aller Zeiten und der Erkenntnis, dass Pläne zum Ändern da sind

Rückwärts: Möchtest du noch mal nachlesen, was auf Etappe 5 so los war? Dann komm mit mir von Heubach nach Weißenstein zu Dates am Dorfbrunnen, Mittagsüberraschungen am Morgen und Rotkäppchen im Wald.

Gesamtüberblick: Du brauchst die komplette Übersicht mit der Streckeneinteilung, allen Unterkünften und meiner Packliste? Dann schau doch mal hier

Ich muss das weitersagen

12 Gedanken zu „Albsteig, Etappe 6: Von Weißenstein zum Wasserberghaus&8220;

    1. Das heißt, dir fehlte auch das Linsenzufriedenheitsgesicht? Ich fand es okay. Aber als Rheinländerin aus Hamburg fehlt mir da die Beurteilungskompetenz 😉

  1. I hab widder amol an Bericht von dir glesa. 😉
    Und wieder bin ich so begeistert von deinen Erlebnissen. Deinen Stil finde ich immer wieder toll und würde mir auch ein Buch von dir so wünschen. Hast du schon eines geschrieben?

    1. Gerhard, mach mich nicht so verlegen 😂 Danke für die Blumen und nein, das Buch ist nach wie vor nicht am Start. Aber es wäre ja wenn auch einfach ein Aufguss der Blogbeiträge 😉
      Aber irgendwann – wenn ich in Rente bin oder diese lähmende Pandemie vorbei ist, wer weiß 🙃

    1. Hey Inga, der Albsteig ist wirklich eine lohnenswerte Wanderung. Knie-technisch kann ich das schwer abschätzen. Vermutlich steht und fällt es mit dem Rucksackgewicht. Wenn man von den Morgen-Aufstiegen absieht, finde ich dass er (im Rückblick) eigentlich gut machbar war. Das fühlte sich im Moment desjeweiligen Aufstiegs natürlich noch mal anders an 😉 Gute Besserung dir auf jeden Fall

  2. Liebe Audrey,
    vielen Dank für die Schilderung der Etappe rund um unsere alte Heimat. Jeden Meter davon habe ich wiedererkannt! 😄
    Wir sind vorletzte Woche übrigens endgültig in das Harzhaus gezogen. Da alte Haus in Geislingen ist fast verkauft. Nun heißt es Hexenstieg statt Albrandweg!
    Viele Grüße aus Südniedersachsen
    Steffi

    1. Liebe Steffi,
      ich dachte mir schon, dass du da jetzt endlich Ex-Home-Turf betrittst. Schön, wenn du es wiedererkennen konntest. Und für den Harz wünsche ich euch ein gutes Ankommen! Der Hexenstieg ist auch schon wieder einige Jahre her. Aber der hatte tolle Ecken.
      Liebe Grüße
      Audrey

  3. Liebe Audrey

    Ich bin begeistert von den spannenden und persönlichen Beschreibungen deiner Wanderung😃
    Ich habe vor mich dieses Jahr an meine erste Fernwanderung zu wagen und habe mir dazu den Albsteig ausgesucht. Obwohl ich schon viele Jahre am Alpenrand lebe möchte ich meine erste Fernwanderung in der Nähe meiner alten Heimat machen 😊
    Deine Etappeneinteilung finde ich übrigens sehr viel sympathischer als die offizielle Einteilung und ich denke dass ich mich daran orientieren werde 😁
    Von daher würde es mich überaus freuen, wenn es bei deinen Berichten weitergeht 😉😉
    Wann kann man denn mit einer Fortsetzung rechnen?

    Hab mich übrigens schon durch deine beiden Camino Berichte durchgelesen und fand sie wunderbar und sehr inspirierend 😊😊

    Viele Grüße aus Oberbayern
    Sabine

    1. Liebe Sabine,
      Wie schön, dass du dir den Albsteig ausgesucht hast! Das wird ganz bestimmt super.
      Ich wünsch dir viel Freude und ja, ich versuche, bald mal wieder weiter zu schreiben 😊
      Lieben Gruß
      Audrey

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