Camino Frances #6: Von Villava nach Pamplona

Etappe 4 auf dem Jakobsweg. Es wird offiziell pausiert und dazu gibt es Frühstück ohne alles, Haare föhnen am Händetrockner, Schlangestehen vor Paderborn, Liebelei mit Limonenlimo, sinnieren mit Hemingway und Treibenlassen statt Stiertreiben (2. Mai 2016, 4 + 12 km).

Heute ist ein Tag wie kein anderer, denn es ist Pausentag. Vor uns liegen läppische vier Kilometer (mein Muskelkater fürchtet an Appetitlosigkeit zu sterben), ein Besuch im Schwimmbad und viel Sightseeing. Hätten wir nicht diesen großen Rucksack dabei, wir würden glatt als Nullachtfünfzehn-Touristen durchgehen. Das Verrückte: Rob und ich schlafen aus (bis sieben, um genau zu sein), weil wir heute ja alle Zeit der Welt haben. Herrlich ausgeruht nach der störungsfreien, komfortablen Nacht in unserem breiten Bett samt Bettdecke packen wir das Bisschen, das noch in den Rucksack muss, ein und die Badesachen aus. Es ist so entspannt, wenn man nicht den Schlafsack im Dunkeln erst in sein Gehäuse und dann nach unten in den Rucksack stopfen muss. Wir wollen gleich ins Schwimmbad, doch vor das Schwimmen hat der liebe Gott das Frühstücken gesetzt. Denken wir zumindest, als wir um viertel vor acht nach unten gehen.

Frühstück ohne alles

Dass der Südländer als solcher und der Spanier im Besonderen jetzt nicht unbedingt für sein opulentes Frühstück bekannt ist, weiß man. Doch das, was uns der Jugendherbergs-Herbert da auftischt, ist eine mittlere Frechheit. Wir kommen gut gelaunt in den Speisesaal, als bei dem Herrn erster Stress ausbricht. Ach richtig, da war ja was, diese beiden Peregrinos hatten ja mit Frühstück gebucht. Na dann schauen wir doch mal, was noch im Kühlschrank ist. Oh, hoppla, fast nichts. Ach, was soll es, ihre vier Euro haben die beiden ja bereits abgedrückt.

Und so serviert er uns verbrannten Toast, einen Erdbeerjoghurt, Kaffee, O-Saft und einen Apfel. Rob und ich beginnen also mit den Getränken und warten, dass das Tischlein sich weiter deckt. Vergebens. Auf unsere Frage, ob es noch Aufschnitt oder Käse gäbe, schaut uns der Typ irritiert an. Nein. Wieso? Ich mache einen zweiten, mutigen Vorstoß. „Would you maybe have some jam?“ Ratloses Gesicht. „Tienes Mermelada??“ (ich improvisiere, keine Ahnung, was Marmelade en español bedeutet). Es endet mit einem Achselzucken und einem vernichtenden „es todo“. Na prima. Das ist also alles. Heute gibt es Toast mit Toast. Rob und ich fügen uns in unser gemeinsames Schicksal. „Wat willse mache“, wie der Rheinländer zu sagen pflegt. Ich missbrauche den Erdbeerjoghurt als Brotaufstrich und kaue etwas lustlos auf meiner selbsterfundenen „Tostada Fresa“ herum. Abhaken. Weitermachen. Schließlich sind wir wegen des Schwimmbades hier.

Jacuzzi-Massage und Handtrockner-Lifehack

Wir brechen um halb neun auf und peilen die besagte, örtliche Nasszelle an. Für den Außenbereich ist es leider noch deutlich zu früh im Jahr, aber für die einheimischen Senioren ist es keineswegs zu früh am Tag, denn drinnen ziehen verschiedene ältere Semester ihre Bahnen. Rob und ich stehen ihnen in nichts nach und hüpfen freudig ins Wasser. Nachdem ich ausreichend Bahnen geschwommen bin, die hoffentlich meine Verspannung in den Schultern lösen, realisiere ich, dass Rob cleverer ist. Statt sich beim Schwimmen zu verausgaben, hat er es sich im angeschlossenen Jacuzzi bequem gemacht und lässt sich gerade einen Wasserstrahl auf den Rücken prasseln. Man lernt doch nie aus. Ich schwinge mich augenblicklich aus dem Becken und tue es ihm gleich. Es ist ein absolutes Fest, das warme Wasser zu fühlen. Nur ungern verlassen wir diese Oase nach einer weiteren halben Stunde.

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Lifehack des Tages

In Ermangelung eines Föns funktioniere ich angesichts der sonnigen, aber kühlen Temperaturen draußen den Handtrockner um. Wenn man das Gebläse einmal gedreht hat, kann man damit hervorragend seine Haare trocknen. Ich feiere meinen Lifehack mit einem schönen Selfie, bevor ich mich nach draußen begebe.

Es ist erst halb zehn. Wir sind so gut in der Zeit, dass wir noch einmal das Café neben der Jugendherberge anpeilen, um zu frühstücken. Interessanterweise bekommen wir unser Bocadillo und den Café con Leche zum gleichen Preis wie unser Frühstück ohne alles, mit dem Unterschied, dass es diesmal schmeckt. Solltet ihr also die Jugendherberge als Übernachtung nutzen, bucht einfach ohne Frühstück.

Morgenspaziergang nach Paderborn

Um halb elf machen wir uns dann endlich auf unseren langen, beschwerlichen Weg nach Pamplona. Dieser führt uns ganz kurz durch die Natur, dann erreichen wir auch schon die Ausläufer der Stadt. Wir kommen an ein paar interessanten Häusern vorbei, deren Fassaden mit Muscheln verziert sind.

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Wir sind eigentlich kaum losgelaufen, als wir auch schon am Ziel sind. Um halb zwölf überqueren wir die alte Magdalenenbrücke, eine Steinbrücke über die bereits im 12. Jahrhundert Pilger Pamplona betraten und verlassen dann auch schon den Jakobsweg, der weiter an der alten Stadtmauer entlanggeht, um unsere Wunschunterkunft, die Casa Paderborn, anzusteuern.

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Die historische Magdalenenbrücke

Um viertel vor zwölf sind wir da, und ob man es glaubt oder nicht: wir sind definitiv nicht die Ersten! Im angeschlossenen Garten der Unterkunft warten bereits locker zehn Leute. Rob und ich fassen es nicht. Wann sind die bitteschön gestartet und von wo?

Wir können trotzdem durchatmen, zumindest in der Theorie, denn die Herberge bietet Platz für 26 Pilger. Es zeichnet sich einmal mehr ab, dass, wenn man sich nicht auf die Unart des Reservierens verlegen möchte, der frühe Vogel den Wurm bzw. der frühe Pilger das Bett fängt, vor allem wenn man nicht ausschließlich in den öffentlichen und kirchlichen Herbergen absteigen möchte.

Ich bin innerlich ein wenig unruhig, weil immer mehr Leute kommen und ich nur hoffen kann, dass sich keiner vordrängelt. Es sind fast ausschließlich Deutsche anwesend. Rob muss sich wie beim Mallorca-Urlaub fühlen. Der ein oder andere Anwesende fällt für mich zumindest durch lautes Gebaren auf und das dann auch eher unangenehm. Man scheint sich bereits zu kennen. Eine Männergruppe rund um eine kurzhaarige Frau und ein hübsches, ernst dreinschauendes Mädchen lärmt laut lachend rum. Vielleicht wollen sie die beiden Frauen beeindrucken?

Um uns die Zeit bis zur Öffnung der Herberge zu vertreiben, machen wir es uns unter einem Sonnenschirm gemütlich und unterhalten uns mit den anderen Pilgern. Ich komme ins Gespräch mit zwei Mädels in meinem Alter, Kati aus Berlin und Antje. Kati erzählt, dass sie in den Pyrenäen mit Regen und Schnee zu kämpfen hatte. Sie habe sich ihren Schal einmal komplett um den Kopf wickeln müssen und unter dem Poncho nur einen kleinen Spalt zum Schauen gehabt. Das war nicht besonders schön. Ich bin fassungslos – sie war einen Tag nach uns unterwegs, muss man sich mal vorstellen! Was hatten wir nur für ein Glück mit dem vielen Sonnenschein und den weiten Ausblicken, die sich uns boten! Außerdem entdecke ich zwei Jungs, die gestern genau wie Rob und ich im Café neben der Herberge zu Abend gegessen haben. Mir war gestern allerdings nicht klar, dass auch sie Peregrinos sind.

Gegen halb eins tut sich was. Doris und Ernst, unsere Hospitaleros, lassen uns in kleinen Grüppchen in ihre gute Stube und tatsächlich, alle behalten die Reihenfolge bei, mit der sie angekommen sind. Rob und ich werden in einen großen Raum mit Schreibtisch gebeten, in dem wir unseren Stempel bekommen. Dazu gibt es außerdem noch einen Orangensaft und viel Herzlichkeit. Die beiden Herbergseltern erzählen, dass sie drei Wochen hier ihren Dienst verrichten, bevor sie wieder nach Deutschland zurückreisen und neue Freiwillige aus den Riegen der Jakobusfreunde Paderborn das Ruder übernehmen werden. Dass das ein anstrengender Job ist, der täglich 17 Stunden lang geht, lassen sie sich nicht anmerken. Sie sind beide einst den Jakobsweg gelaufen und kümmern sich nun mit der selben Begeisterung um uns Pilger.

Doris führt uns einmal durch das Haus. Es ist wirklich eine tolle Unterkunft. Das Gebäude wurde restauriert und alles ist mit viel Liebe gemacht, das merkt man gleich. Morgen früh um sechs werden sie uns mit Musik wecken, kündigt Doris an, nicht ohne stolz darauf zu verweisen, dass das auf dem Jakobsweg auch mehr oder weniger einmalig ist. Und vorher braucht bitte keiner auf die Idee zu kommen, aufzustehen, denn sie lassen niemanden ohne Frühstück raus. Doris will noch wissen, ob es Frauen unter uns gibt, die lieber unter Frauen bleiben wollen. Da mir das jetzt schon völlig gleich ist, lande ich mit Rob zusammen in einem Achtbettzimmer. „Wir trennen Pilgerpaare nach Möglichkeit nicht“, sagt Doris, und ich frage mich, ob ein Pilgerpaar eine Lauf-, Zweck- oder Liebesgemeinschaft ist und ob Doris denken könnte, dass Rob und ich ein Paar im herkömmlichen Sinne sind?

Treibenlassen statt Stiertreiben

Besagtes Pilgerpaar macht sich kurz darauf auf, die Stadt zu erkunden, in der einst Hemingway viel Zeit verbrachte (einen tollen Beitrag zur eher einseitigen Liebe Hemingways zu Pamplona gibt es übrigens hier). Pamplona steht zentral in seinem Roman Fiesta, in dem den berühmten Stierläufen zu Sanfermines ein ewiges Denkmal gesetzt wird. In dieser Woche im Juli werden jeden Morgen um acht Stiere durch die engen Gassen der Stadt getrieben, bevor ihr trauriges Schicksal am Abend in der Stierkampfarena endet. Diese Festivität ist Gott sei Dank im Hochsommer, so dass Rob und ich unbeschadet durch die engen Gassen mit den bunten Häusern schlendern können, ohne befürchten zu müssen, von einem Stier überrannt zu werden.

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Immer dem Rob hinterher

Beim Bummeln sind wir etwas überrascht vom Camino-Merchandising, das uns hier an jeder Ecke entgegenschlägt. Es gibt nahezu alles mit gelbem Pfeil oder Pilger-Comicfigur zu kaufen, und es fällt Rob und mir nicht sonderlich schwer, die Finger davon zu lassen. Wir bewundern lieber das imposante Rathaus, vor dem eine Vielzahl Pilger Schnappschüsse für zuhause macht.

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Wir lassen uns weiter treiben und landen zu unserer Überraschung in einem wunderschön angepflanzten Park. In unmittelbarer Nähe befindet sich ein Kiosk, und wir gönnen uns beide eine Dose Limo. In diesem Moment beginnt eine große Camino-Liebe, die mich auf allen Jakobswegen begleiten wird: ich entdecke Kas Limon, eine herrliche Zitronen-Limo, die genau den richtigen Zuckergehalt hat, um mich schnell von Null auf Hundert zu bringen und ab diesem Moment eines meiner Grundnahrungsmittel auf dem Camino wird (neben Café con Leche, versteht sich).

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Der Park mit seinen breiten Wegen liegt majestätisch vor uns, und wir suchen uns ein lauschiges Plätzchen im Schatten und bewundern die Blumenrabatten, während wir die Seele baumeln lassen. So ein Urlaubstag ist schon was Feines.

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Einmal mehr dreht sich unser Gespräch darum, wie lange der Weg uns wohl gemeinsam laufen lassen wird, denn wir finden es beide nach wie vor erstaunlich, immer noch zusammen zu sein.Gleichzeitig wissen wir auch, dass wir nur sehr unwahrscheinlich die 800 Kilometer bis Santiago Seite an Seite gehen werden. Es wird der Punkt kommen, an dem wir uns verlieren werden, wenn auch lediglich aus den Augen, denn seinen festen Platz in meinem Herzen hat Rob längst eingenommen. Wo Maria jetzt wohl ist? Vermutlich längst hinter Pamplona, denn sie wird vermutlich keinen Pausentag gemacht haben. Wenn ich mich recht erinnere, sind der Österreicherin Städte eher ein Gräuel.

Als wir uns lange genug um die Entspannung unserer Beine und Füße gekümmert haben, machen wir uns auf die Suche nach etwas Essbarem. Es ist vier Uhr, und wir haben beide Hunger. In der Altstadt, gleich in der Nähe der zentralen Plaza del Castillo, finden wir eine brechendvolle Pintxos-Bar mit hübschen, dunkelblauen Kacheln, in der wir noch zwei Thekenplätze ergattern. Die Theke ist auf ganzer Länge mit Platten voller leckerer Kleinigkeiten bestückt.

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Wie soll man sich da entscheiden?

Es gibt bestimmt 30 Sorten. Ich lande u.a. wieder bei einer Tortilla, diesmal gefüllt mit frischem Porree, Schinken, Krebsfleisch und Mayo, bestelle Datteln mit Speck und noch ein paar weitere Schweinereien. Dazu genehmigen wir uns, wie könnte es anders sein, jeder zwei Gläser Rosado aus der Navarra. In den meisten Fällen wissen wir nicht, was wir essen, denn obwohl wir hier in einer Stadt sind, sprechen die wenigsten Spanier Englisch. Einmal mehr überraschen mich die Preise. Gerade mal ein bis zwei Euro kosten die Pintxos und ein Euro der Wein, und das alles im historischen Zentrum von Pamplona. Kein Wunder, dass Hemingway hier so gern gegessen und vor allem getrunken hat, auch wenn der amerikanische Schriftsteller eher im Bereich harter Spirituosen zu finden war. Ich für meinen Teil könnte jedenfalls problemlos länger bleiben! Es ist hier zwar wuselig, aber verhältnismäßig untouristisch, denn man sieht nur Einheimische und Pilger.

Das Tollste an den ganzen spanischen Bars und Cafés ist aber, dass man eigentlich überall WLAN hat. Es hängen Zettel an der Wand, die Wifi-Namen samt Passwort verraten. Nachdem ich heute Morgen beim Frühstück bereits dank Herbergen-Internet eine WhatsApp-Gruppe namens Camino-Ticker eingerichtet habe und erste Bilder von Tag eins bis vier verschickt habe, nehme ich mir diesmal etwas mehr Zeit und schildere den Daheimgebliebenen meine Eindrücke aus Pamplona. Meine Bitte, sich mit allzu viel eigenen Beiträgen zurückzuhalten, fruchtet. Ich sehe, dass alle brav mitlesen, aber niemand antwortet. So wollte ich das.

Schnarcher, Blasen und sonstige Wehwehchen

Als wir satt sind, gehen Rob und ich zur Herberge zurück. Heute ist das erste Mal, dass wir nicht direkt nach unserer Ankunft duschen und waschen mussten, denn wir waren ja praktischerweise schwimmen und haben zudem frische, saubere Sachen im Gepäck. Unser Achterzimmer ist inzwischen komplett. Neben mir findet sich nur eine weitere Frau im Raum. Der Rest sind Männer. Ein etwas korpulenterer Deutscher im leuchtend grünen T-Shirt stellt sich gleich mal vor: er sei der Oli aus Passau (unüberhörbar) und wünsche uns jetzt schon mal viel Spaß. Er schnarche nämlich ordentlich. Das wird sicher eine musikalische Nacht. Wer weiß, was die anderen da noch zu bieten haben.

Gott sei Dank bin ich inzwischen Oropax-Experte. Wenn es nicht allzu laut ist, schlafe ich meistens ungestört. Auch die beiden Jungs von gestern, Torsten und Oli sind in unserem Zimmer gelandet. Letzterer hat leider mit Blasen an den Füßen zu kämpfen, die er gerade bestmöglich verarztet. Einmal mehr bin ich dankbar, dass ich von Blasen verschont geblieben bin. Die Schmerzen zwischen den Schulterblättern sind nach dem Schwimmbadaufenthalt schon deutlich besser. Inzwischen bin ich mir übrigens sicher, dass sie nicht, wie ursprünglich angenommen, vom Gewicht des Rucksacks stammen, sondern vom Laufen mit den Stöcken ausgelöst werden und dass es sich um ganz normalen Muskelkater handelt. Die Stelle am Zeh, die mir seit gestern wehtat, habe ich inzwischen ausgetrickst: sie ergibt sich, weil der Nagel meines kleinen Zehs immer in den nächsten Zeh drückt. Habe den zweiten Zeh jetzt einfach kurzerhand mit Tape abgeklebt und seitdem herrscht Ruhe an der Beschwerdefront. Nur die Stelle aus Porto macht sich leider nach wie vor bemerkbar.

Auf den Spuren Hemingways

Rob will sich ein wenig ausruhen, und ich möchte Tagebuch schreiben und mir noch schnell neue Zigaretten besorgen. Ich gehe also gleich wieder zurück in die Altstadt (sind alles kurze Wege hier) und lasse mich an der Plaza del Castillo auf einer Bank in der Sonne nieder.

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Die Plaza del Castillo

Es ist wirklich wunderschön hier. Ich beobachte die spielenden Kinder rund um den kleinen, achteckigen Pavillon in der Mitte des Platzes, die flanierenden, älteren Damen, die sich hübsch herausgeputzt haben und die konzentriert schauenden Herren beim Schachspiel. Auf der gegenüberliegen Seite des Platzes spielt ein Mann zum Niederknien auf seiner Flamenco-Gitarre. Ich könnte ihm stundenlang zuhören. Wäre es nicht so authentisch, es käme einem geradezu kitschig vor.

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In der Mitte: Café Iruña

Ich sitze hier sicher eine Stunde und frage mich, ob sich seit Hemingways erstem Aufenhalt 1923 viel verändert hat. Die wunderschönen, alten Häuser, die die Plaza del Castillo säumen, sehen nicht so aus, als habe sich an Ort und Stelle viel getan. Hier befand sich einst das Hotel Quintana, das Hemingway bewohnte, und bis heute kann man in seiner bevorzugten Bar, dem Café Iruña, zechen. Eine lebensgroße Holzstatue des Schriftstellers steht sogar gleich an der Theke.

Ich rufe zuhause an und möchte das ganze Flair in den tiefsten Westen Deutschlands transportieren. Normalerweise sind meine Eltern immer aus dem Häuschen, wenn ich mich melde. Diesmal ist die Stimmung gedrückt. Der Ehemann einer der besten Freundinnen meiner Mutter ist überraschend und sehr schnell an Krebs verstorben. Ich verspreche Mama, auf dem Weg eine Kerze für ihre Freundin anzumachen und einen Stein zur Erinnerung an ihren Mann abzulegen.

Nur ungern verlasse ich meinen Aussichtspunkt und mache einen weiteren Rundgang durch die Stadt. Diesmal werfe ich einen Blick auf die Zitadelle und komme wenig später an der Stierkampfarena vorbei, die mich irgendwie leicht verstört. In der Nähe gibt es einen Aufzug, der mich dicht bei unserer Herberge wieder ausspuckt, wo ich Rob wie versprochen zum Abendessen abhole. In einer kleinen, schummerigen Bar, die hauptsächlich von Einheimischen besucht wird, Essen wir uns satt, erledigen auf dem Rückweg in einem Mini-Supermarkt noch schnell unsere täglichen Besorgungen (Obst, Kuchensnacks und Wasser) und machen uns dann schleunigst auf den Heimweg, um vor Zapfenstreich um 22 Uhr wieder in der Casa Paderborn zu sein. Der vermeintliche Pausentag hat sich als absoluter Touritag geoutet, allerdings im besten aller Sinne. Ein Blick auf meine Kilometerzähl-App beruhigt mich: auch heute waren wir wieder 15 Kilometer zu Fuß unterwegs. Und während aus Passau-Olis Schlafstätte das versprochene Schnarchen mein Bett leise erzittern lässt, zischen mir die vielen, tollen Eindrücke des heutigen Tages durch den Kopf, und ich schraube mir mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht die Ohrstöpsel rein und bin raus.

Zeitreise:

Vorwärts: Jetzt willst du wissen, wie es weitergeht? Dann komm doch mit mir von Pamplona nach Obanos und finde heraus, was der Messias im Ohr, Windräder auf Augenhöhe, das Wunder von Eunate an den Füßen und dazwischen Laber-Opa und Mädels machen.

Rückwärts: Du fragst dich, wie um alles in der Welt ich in Pamplona gelandet bin und weißt gar nicht, dass ich mich dazu gestern durch den Partypooper Tag Drei kämpfen musste? Dann lauf doch noch einmal mit mir zurück von Zubiri nach Villava.

Kommentare & Feedback

Bist du selbst auf diesem Stück gepilgert oder planst einen Jakobsweg? Lass mich gern an deinen Gedanken teilhaben. Hat dir etwas besonders gut gefallen, dich etwas gestört oder hast du Fragen? Ich freue mich über deinen Kommentar.

P.S. Heute ist Muttertag und da ich weiß, dass meine Mutter inzwischen eine meiner fleißigsten (und stolzesten) Leserinnen ist, möchte ich dir, liebe Mama, an dieser Stelle alles Gute wünschen und mich für das bedanken, was du für mich gemacht hast, machst und sicher noch machen wirst. Danke, dass du mich zu dem Menschen erzogen hast, der ich bin, dass ich das Selbstbewusstsein, den Mut und den Optimismus entwickelt habe, den es braucht, um so einen Weg zu gehen und die soziale Kompetenz und Aufgeschlossenheit, um solch tolle Menschen unterwegs treffen zu dürfen.

Ich muss das weitersagen

4 Gedanken zu „Camino Frances #6: Von Villava nach Pamplona&8220;

  1. Deine stürzenden Linien kannst du gerne durch entsprechende Software gerade richten lassen, oder die Kamera beim Fotografieren etwas weiter nach unten abkippen 😉

    Hm, faulenzen, futtern, süffeln, baden …, so stelle ich mir das Pilgerleben vor 🙂

  2. Hallo Audrey, in der Casa Paderborn sind wir ebenfalls abgestiegen. Den besagten Aufzug haben wir auch benutzt und einen“ Königsschnarcher“ hatten wir auch im Zimmer, wobei ich selbst auch dazu neige!!!! Pamplono ist herrlich. Beim nächsten Camino Frances würde ich jedoch einige Kilometer weiter laufen, einen Ruhetag einlegen und mit dem Bus zurückfahren. Was ich bis jetzt gelesen habe, deckt sich unglaublich mit meinen Erfahrungen. Wobei wir ab Larasoana eine Gruppe, sprich 3 waren….. es kam jemand dazu, der vieles vorgeplante und dadurch einen totalen Stress mit der Route hatte… freue mich auf die nächsten Tage!!!! Buen Camino wo immer du gehst!!!

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