V (Mosel-Camino) – Von Traben-Trarbach nach Klausen

#jakobsweg #moselcamino #deutschland #wanderung #fernwanderung #wandern #fernwandern #rucksack #wanderblog #wanderblogger #outdoorblog #rlp #rheinlandpfalz #wald #mosel #läuftbeiihr

Tag 5 auf dem Mosel-Camino von Traben-Trarbach nach Klausen mit Völkerwanderungen nach Comic-City, Sehnen nach James Bond, Ausschauhalten nach Eis, dem motivierten Blick nach vorn und keiner Ruhe nach neun. (25.09.2017 – 25 km)

Trotz oder wegen der Oropax liegt eine sehr unruhige Nacht mit absolut wirren Träumen hinter mir, die ich an dieser Stelle zu unser aller Wohl nicht vertiefen möchte. Meine Zimmernachbarin spielte zwar keine tragende Rolle, lieferte aber mit Sicherheit die passende Geräuschkulisse.

Premium-Frühstück

Wir frühstücken zu dritt, Amerika, Frau Böcking und ich. Die Auswahl an Leckereien auf dem Tisch ist tatsächlich absolut hervorragend. Von selbstgemachten Marmeladen und Bärlauchpesto, über Avocado, Mozzarella und Tomaten bis hin zu frischem Brot findet sich alles, was man wünschen könnte. Hier können übrigens auch Nicht-Pilger unterkommen, zum Beispiel im Anschluss an einen Besuch des angeblich legendären Traben-Trarbacher Weihnachtsmarktes.

Zurück zum Pilgern. Heute geht es nach Klausen, das früher der wichtigste Wallfahrtsort zwischen Trier und Koblenz war. Passend zu seiner Geschichte, ist es der einzige Ort auf dem Mosel-Camino, der mit einer „richtigen“ Pilgerherberge aufwarten kann. 22 Kilometer liegen zwischen uns.

Zuvor komme ich aber nach Bernkastel-Kues, einem der Lieblingsorte meiner Mosel-affinen Patentante. Sie verfolgt meine Reise und hat mich in den letzten Tagen immer wieder überrascht hat, weil sie per WhatsApp Hinweise auf nette oder weniger nette Orte geben konnte und Geschichten rund um den Ort wusste. Von Bernkastel hat sie immer schon geschwärmt, ihretwegen ist mir der Ortsname überhaupt ein Begriff.

Wie schade, dass ich hier nur Zwischenstation machen werde. Nicht nur, dass der Ort total hübsch sein soll, ich hätte dort auch eine 1a Übernachtungsmöglichkeit in Anspruch nehmen können. Im Forum der Mosel-Camino-Seite habe ich nämlich den Eintrag von Olli gefunden, der, frisch vom Camino Francés zurück, in seinem Heimatort sein Gästezimmer gegen Spende anderen Pilgern anbietet. Das wäre sicher ein Abend mit tollen Gesprächen geworden, wenn ich mit einem „Camigo“ Pilgererfahrungen ausgetauscht hätte. Aber gut, das ist etwas zu spontan, schließlich will ich ja nach Klausen.

Auf dem Weg nach Comic-City

Während man mit dem Auto von Traben-Trarbach nach Bernkastel mindestens 20 Kilometer zurücklegen muss, ist es zu Fuß quasi ein Katzensprung. Gerade mal sieben Kilometer bringen einen quasi per Luftlinie (natürlich wie immer ordentlich auf und ab – ist klar, oder?) in den Touristenmagneten.

Um zehn geht es bestens gestärkt und noch besser gelaunt auf den Weg, nachdem Frau Böcking noch ein Foto von mir geschossen hat. Sie macht ein Foto von jedem Pilger, der hier war und sammelt somit Pilger-Fotos, so wie wir Pilger Stempel sammeln. Das ist mal ein ordentliches Quid pro Quo. An ihrer Wand hängen hunderte Bilder von Menschen, die hier übernachtet haben.

Mosel-Camino: Rückblick auf Kirche und Lateinschule von Traben-Trarbach auf dem Weg nach Klausen
Rückblick auf die Kirche und die alte Lateinschule daneben.

What goes up must come down, und so führt mein Weg natürlich von meiner erhöhten Position neben der Kirche hinunter in den Ort, den ich schon bald nach rechts in die Weinberge verlasse. Ein letzter Blick auf meine Unterkunft, die schon ein gutes Stück entfernt liegt. Vielleicht sehen mich meine beiden Frühstücksgenossinnen ja als kleinen, blauen Punkt. Die Hausherrin hat beim Frühstück schmunzelnd erzählt, dass sie vom Fenster aus häufig ihre Gäste laufen sehe, bzw. sieht, wie die sich mühsam den Anstieg hoch schleppen. Wie an allen Tagen zuvor liegt der Morgen im Nebel, und wie jedes Mal bewundere ich die filigranen Spinnennetze, in denen kleine Tautropfen glitzern.

Frühnebel auf dem Mosel-Camino nach Klausen
Der Nebel hängt in den Spinnweben wie Zuckerwatte

Nach einer knappen Stunde zu Fuß erreiche ich das Bauprojekt Hochmoselübergang. Ab Ende 2019 werden Autos über die filigrane Autobahnbrücke jagen. Momentan genieße ich die Ruhe, denn von den Bauarbeiten ist nichts zu sehen oder zu hören, und so pausiere ich neben einer Koppel beobachte, wie die Sonne den Nebel vertreibt.

Verliebt in einen Fachwerktraum

Anders als an den vorangegangenen Tagen scheint heute Wandertag zu sein und diese Strecke besonders beliebt. Bis Bernkastel kreuzen bestimmt 30 Menschen meinen Weg, und ich komme aus dem Grüßen gar nicht mehr heraus. Es braucht eine weitere halbe Stunde, dann liegen zwischen Bernkastel und mir nur noch ein paar Rebstöcke und ganz viel strahlend blauer Himmel.

Mosel-Camino kurz vor Bernkastel, auf dem Weg nach Klausen
Was für ein Begrüßungskommando: Wein, Sonne und jede Menge Fachwerk

Es ist kurz vor 12, und ich verliebe mich Knall auf Fall in das pittoreske Fleckchen Erde mit seinen Fachwerkhäusern und dem Kopfsteinpflaster. Tante Tiny hat nicht zu viel versprochen. Staunend schlendere ich durch schmalen Gassen, die ich um diese Zeit weitestgehend für mich habe.

Eingang Bernkastel am Mosel-Camino auf dem Weg nach Klausen
Ich könnte hier problemlos Wurzeln schlagen, so herzallerliebst ist es.

Als ich den Marktplatz erreiche, kriege ich fast Schnappatmung. Ein kleines, schiefes Fachwerkhäuschen lehnt sich an das nächste. Deutschland aus dem Bilderbuch, denke ich. „Comic City“, raunt der staunende Amerikaner neben mir. Ich fotografiere den Markt von allen Seiten. Die Häuschen sind herzallerliebst. In einem finde ich sogar eine Apotheke, um mir neues Nasenspray zu besorgen.

Marktplatz von Bernkastel am Mosel-Camino auf dem Weg nach Klausen
Noch Fragen?
Marktplatz von Bernkastel am Mosel-Camino
Auf der anderen Seite geht es genauso weiter

Problemlos könnte ich hier noch ein paar Stunden zubringen. Doch so viel Zeit habe ich nicht. Bis nach Klausen bleiben 15 Kilometer, und ich habe bereits erfahren, dass ein Stück der Strecke auf dem Fahrradweg verläuft. So verzichte ich auf eine Besichtigung der Burgruine. Burgen müssen bis zum Rhein warten. Aber zumindest für die Bären am

Bärenbrunnen in Bernkastel am Mosel-Camino
Was es mit den Bären auf sich hat, finde ich nicht raus

Carpe Diem – wenn nicht jetzt, dann eben bald

Amüsiert fällt mein Blick auf eine rheinland-pfälzische Interpretation von Carpe Diem. So sehr ich mich umschaue, ich sehe weder ein schönes Mädchen zum Küssen noch ein Glas Wein. Das bestärkt mich in dem Gedanken, den ich schon zuvor hatte. Bevor es vorbei ist mit dem Lebensfädchen, werde ich noch einmal hierher kommen.

Mosel Camino Schild in Bernkastel
Carpe Diem auf Rheinland-Pfälzisch

Um genau zu sein, wird das sehr bald der Fall sein, nämlich auf dem Rückweg von Trier nach Bonn in ein paar Tagen. Zeit genug habe ich, und wer hat eigentlich behauptet, dass ich einen Aufenthalt von zwei Tagen in Trier machen werde? Und das mit Abstand Beste ist, dass ich mich diesmal auch frühzeitig bei Pilger-Olli ankündigen kann. Auf diese Weise komme ich vielleicht doch noch in den Genuss der Übernachtung in seinem Gästezimmer. Mit dem Wissen im Hinterkopf fällt der Abschied gleich leichter.

Codewort Peregrino

Auf der anderen Moselseite in Kues findet sich am Brückenende ein Café. Ich setze mich in die Sonne und genieße bei einem Milchkaffee den Blick auf Bernkastel, seine Burg und den Hunsrück. Hier rufe ich außerdem auf Anraten von Frau Böcking in der Pilgerunterkunft in Klausen an. Sie hat mir erzählt, dass sich die Betreiber des Dorfladens um die Unterbringung kümmern und ist sich nicht sicher, wie lange besagter Laden offen hat. Vor vier werde ich nicht dort sein, tendenziell sogar eher später.

Einmal mehr habe ich richtig Glück. Die nette Frau am Telefon verrät mir, dass der Laden montags nur bis mittags geöffnet habe, was aber kein Problem sei. Hätte ich nicht angerufen, hätte ich mir die Unterkunft allerdings klemmen können. So wird sie die Schlüssel in einem Tresor außen am Haus hinterlegen. Sie ruft sogar extra noch einmal zurück, um zu bestätigen, dass der Code, den sie mir durchgegeben hat, wirklich stimmt.

Jetzt bin ich also völlig unabhängig. Egal wie spät ich mein Ziel erreiche, rein komme ich definitiv. Außer mir habe sich niemand angemeldet, erfahre ich noch am Telefon. Es sei gut möglich, um nicht zu sagen höchst wahrscheinlich, dass ich das ganze Reich für mich allein haben werde.

Die Schönheit der Langeweile

Verschiedensten Quellen zufolge erwartet mich nun das langweiligste Stück des ganzen Caminos. Es geht dabei fünf Kilometer lang stumpf an der Mosel entlang auf dem Radweg bis nach Lieser. Ich persönlich muss zugeben, dass ich gar nicht weiß, was die anderen haben. Moselradweg klingt für mich nach einwandfreiem, trittsicherem Untergrund, und das scheint mir nach mehreren Tagen Balancieren auf Schiefer eine mehr als willkommene Abwechslung. Schnell noch die Wanderstiefel gegen meine Joggingschuhe getauscht und schon stiefele ich stiefellos los.

Moselblick hinter Bernkastel auf dem Weg nach Klausen
Der Blick vom Fahrradweg könnte wirklich schlechter sein

Aus meiner Sicht ist das Stück absolut herrlich. Ich habe das Gefühl zu fliegen, so leicht sind die Treter. Damit mache ich ordentlich Meter, immer an der Mosel entlang. Der Weg führt am Geburtshaus des Philosophen und Theologen Nicolaus von Kues (Cusanus) vorbei, passiert eines kleinen Hafen und bringt mich, nach einem Bogen um einen Campingplatz, wieder zurück an die Mosel. In beide Richtungen fahren Unmengen von Fahrradfahrer, hauptsächlich E-Bikes, die aber in der Regel zivilisiert radeln und sogar freundlich grüßen.

Einmal Bond-Girl

Um halb zwei komme ich bestens gelaunt am Lieser Schloss an und mache eine weitere Pause. Das in der Sonne strahlende Gebäude erinnert mich an einen englischen Landsitz mit Potenzial für eine James-Bond-Kulisse. Erneut tausche ich meine Schuhe und schlüpfe zurück in die Wanderstiefel, zippe meine Hose auf kurz und laufe wie gestern im Top weiter. Was für ein Traumwetter meine Wanderung täglich begleitet! Kaum zu fassen, dass es einen Tag vor meinem Start noch heftig geregnet hat. Man muss auch mal Glück haben.

Das Lieser Schloss am Mosel-Camino auf Etappe 5 nach Klausen
Irgendwo zwischen James Bond, Downton Abbey und Sonnenkönig

Meine zwischenzeitlichen Überlegungen, den Rheinsteig, der im Anschluss auf mich wartet, aus Gründen der Einsamkeit zu canceln, sind heute hinfällig. Gestern habe ich das noch durchaus in Erwägung gezogen, doch inzwischen bin ich total im Flow, bis in die Zehenspitzen motiviert, und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn ich mir die Chance auf eine weitere Wanderung nehmen lassen würde.

Siesta in Monzel

Ich laufe noch ein bisschen auf Höhe der Mosel weiter, dann biegt der Weg urplötzlich vor einer Autobahnbrücke nach rechts ab. Es geht durch eine Unterführung und dann den nächsten Berg hoch, vorbei an Weinstöcken, Wäldern und Feldern in Richtung Monzel. Ich fantasiere von Eis oder Limonade. Irgendeine Art von Zucker wäre jetzt wirklich klasse, und so nehme ich mir schwer vor, dieses Bedürfnis in Monzel zu erfüllen. Heute scheine ich besonders empfänglich. Gefühlt habe ich die halbe Tour über pausiert.

Als ich ankomme, ist der Ort wie ausgestorben. Keine Menschenseele ist zu sehen, nicht einmal Autos fahren über die ausgestorbenen Straßen. Ich fühle mich ein wenig wie auf dem Camino Francés, wo ich auch immer wieder am frühen Nachmittag bei Hitze in Geisterstädten ankam. Monzel macht offensichtlich ebenfalls Siesta. Das Eis kann ich mir abschminken, und ich sehe auch leider weder einen Supermarkt noch eine Bank oder einen Geldautomaten. Ich ärgere mich, dass ich nicht in Bernkastel die Chance auf frisches Bargeld genutzt habe. Aber gut, lamentieren hilft auch nicht weiter.

Nach einem kurzen Blick in die Kirche, die wenig zu bieten hat, erspähe ich nur wenig später eine tip-top Bank bzw. Holzliege mit Blick auf das Tal. Wenn es schon kein Eis gibt, kann ich mich zumindest ein bisschen sonnen.

Bei so einer perfekten Liege kann ich einfach nicht widerstehen

Ich richte mich gemütlich ein, werfe eine Magnesiumtablette mit Orangengeschmack in mein Leitungswasser (ist ja auch ’ne Art Limonade) und finde noch eine Packung Schokokekse. So lässt es sich durchaus aushalten … denkt sich auch der junge Winzer, der mit seinem Traktor an mir vorbei knattert und mir fröhlich zuwinkt.

Moselblick auf dem Weg nach Klausen
Rechts chillen die Bienen und links chille ich

Inzwischen ist es drei Uhr, und vor mir liegen noch acht Kilometer. Ich sollte also gegen fünf in Klausen sein. So langsam habe ich einen Rhythmus entwickelt: um halb acht aufstehen, um acht frühstücken, um zehn loslaufen und mit einigen Pausen gegen fünf ankommen. Schweren Herzens rapple ich mich von meiner Sonnenliege auf und werfe mir den Rucksack wieder über.

Obsttag mit Céline Dion und den Beatles

Ein weiterer steiler Anstieg wartet auf mich, wird aber von unzähligen Brombeer-Sträuchern am Straßenrand versüßt bzw. versauert. Ich nasche mich von Strauch zu Strauch und angle mir zwischendurch noch die ein oder andere Weintraube von den Weinstöcken zu meiner Linken. Heute mache ich Obsttag.

Natürlicher Snack für unterwegs – kleines Dankeschön nach oben

Noch einmal geht es in den Wald, und ich singe gegen Müdigkeit und Wildschwein wieder einen wilden Misch aus Céline Dion, Ace of Base, Simon & Garfunkel und den Beatles. Die besten Hits der 80er, 90er, 2000er und von heute – das bin ich: eine menschliche Jukebox. Manchmal denke ich, dass es gar nicht so verkehrt ist, dass so wenig Menschen unterwegs sind, die dieses musikalische Feuerwerk bezeugen müssen.

Klausen – irgendwo im Nirgendwo

Mein Trödeln macht sich bemerkbar. Um fünf bin ich immer noch irgendwo im Nirgendwo. Inzwischen ist es merklich abgekühlt, und der Wind bläst so heftig, dass ich meine Windjacke anziehen muss. Gegen sechs erreiche ich die ersten Ausläufer von Klausen. Mein Blick verrät, dass ich nach wie vor nicht am Ort der Bestimmung bin, denn die Kirche liegt auf einer entfernten kleinen Anhöhe, und ich bin ziemlich sicher, dass die Herberge gleich in der Nähe sein wird. Ein letztes Mal heißt es also Kräfte mobilisieren.

Blick auf Klausen vom Mosel-Camino
Das Ziel vor Augen: Klausens Kirche überragt alles

Dass Klausen einst ein wichtiger Wallfahrtsort war, bemerkt man sogleich. Neben der großen Kirche findet sich ein Kloster (jetzt ein Winzer-Hof), eine Brauerei sowie zwei Gasthöfe, die vermutlich früher Gästehäuser waren. Ein paar Häuser rechts von der Kirche finde ich meine Pilgerherberge.

Es handelt sich um ein ehemaliges Gasthaus, das von der Gemeinde zurückgekauft und in eine Pilgerherberge verwandelt wurde. Draußen finde ich den angekündigten, kleinen Tresor, gebe die Zahlenkombination ein und halte ratzifatzi meinen Schlüssel in Händen. Irgendwie bin ich zwar zu blöd, den Tresor wieder zu versschließen, aber was soll’s. Andersherum wäre es deutlich ungünstiger für mich ausgegangen.

Es wird Zeit, für eine kleine Besichtigung meines Reiches. Wie vermutet, habe ich das ganze Haus (3 Etagen) für mich allein. Den großen Schlafsaal (mit den günstigsten Unterkünften, bei denen man sein Bett eigenhändig überzieht) finde ich unter dem Dach. Er verfügt über acht Betten und zwei Bäder. Ich kann mein Glück gar nicht fassen. Alles ist so liebevoll gemacht worden und so neu. Es duftet nach Holz und strahlt so viel Geborgenheit aus. Wenn ich da an die manchmal doch recht abenteuerlichen, um nicht zu sagen ranzigen Absteigen in Spanien denke, liegen Welten dazwischen.

Schlafsaal in der Pilgerunterkunft Eberklause in Klausen auf dem Mosel-Camino
Mein gemütliches Refugium habe ich heute Nacht ganz für mich allein

Der Italiener „Der Italiener“

Ich dusche, kümmere mich um meine Wäsche, spanne die Paketschnur-Wäscheleine quer durch den Raum (keiner da, den es stören könnte) und mache mich auf die Suche nach etwas Essbarem. Die Frau am Telefon hat mir die ortsansässige Pizzeria empfohlen. Diese findet sich auch in der Infomappe der Herberge (noch so eine tolle Sache, wie ich finde): ein Italiener mit dem klangvollen Namen „Der Italiener“. Großartig. Ich kann mir geradeso das Lachen verkneifen. Was für ein Glück übrigens, dass heute Montag ist – Dienstag wäre Ruhetag gewesen.

Nach dem Duschen mit dem üblichen „neuer-Mensch-Feeling“ ausgestattet, laufe ich einmal durch den Ort, was in der Tat schnell erledigt ist. Von einer kleinen Erhebung neben einem Feldweg habe ich den perfekten Blick auf einen weiteren Sonnenuntergang. Er ist nicht ganz so beeindruckend, wie der gestrige in Marienburg, aber trotzdem toll. Zum ersten Mal, seit ich unterwegs bin, rufe ich meine Eltern an und texte ein bisschen mit Freunden. Da es merklich abkühlt, mache ich mich auf den kurzen Weg zu Der Italiener.

Sonnenuntergang hinter Klausen am Mosel-Camino
Zuckerbäcker statt Pizzabäcker

Südsee-Feeling am Ende der Welt

Wie eigentlich jedes Mal muss ich mich überwinden, alleine ein Restaurant zu betreten. Es gibt bestimmt 100 Dinge, die ich problemlos alleine mache: ins Kino gehen, tanzen gehen, mich in eine Bar setzen, wandern,, verreisen etc.. Aber der Besuch eines Restaurants ganz für mich alleine verlangt mir alles ab. Selten fühle ich mich so unwohl.

In meinem Kopf läuft immer der gleiche Film, in dem alle anderen Menschen im Laden denken, dass ich eine arme Sau ohne Freunde sei oder dass sonst etwas mit mir nicht stimme. Wirklich bescheuert. Bei meiner Wandertour wird das Ganze jetzt aber natürlich noch davon getoppt, dass ich in einem völlig unpassenden Outfit am Start bin.

Doch da verhungern keine Option ist, entere ich – Augen zu und durch – den Laden und treffe auf eine sehr nette Bedienung. Ob noch jemand komme (NEIN!!!)? Ich könne mir meinen Platz aussuchen. Zielstrebig suche ich mir einen Tisch am Ende des Raums aus und setze mich mit dem Rücken zu allen anderen. Spätestens jetzt können sich die anderen wirklich fragen, ob mit mir was nicht stimmt. Wer macht denn sowas?

Der Laden ist gut gefüllt. Hinter mir krakelt eine Vierergruppe Mädels Ende Zwanzig über ihre Kinder und Männer, rechts von mir sitzen zwei junge Familien und diskutieren die Wahlergebnisse.

Passend zum Obsttag bestelle ich eine Pizza Hawaii, Traumpizza meiner Kindertage und dazu die große Cola, die mir in Monzel verwehrt blieb und leere sie in wenigen Zügen. Ich habe gerade erste Sätze in mein Tagebuch geschrieben, als mir ein Wagenrad von einer Pizza serviert wird.

Die nächsten 15 Minuten verschwende ich keinen Gedanken mehr daran, dass ich alleine hier sitze und genieße meine Kalorien. Doch so sehr ich mich bemühe, das Ding ist nicht zu schaffen. Die nette Bedienung packt mir das letzte Drittel wunschgemäß in Alufolie ein. Einen Pizza-Karton bekäme ich im Rucksack gar nicht verstaut. Satt und zufrieden trete ich den Heimweg in meine Unterkunft an.

Kumm los mer viere

Es ist ein komisches Gefühl, das große Gebäude ganz für mich alleine zu haben. Sicherheitshalber mache ich noch einen kleinen Kontrollgang durch die Stockwerke, um zu bestätigen, dass wirklich niemand außer mir hier ist. Wieder oben angekommen, kuschle ich mich wenig später gemütlich ein und genieße den Holzgeruch, der aus den Balken über mir herunterwabert. Ich finde es saugemütlich für eine Pilgerunterkunft.

Schade, dass ich so gar keine Mitpilger habe. Das ist mein einziger Wehrmutstropfen auf dieser tollen Tour. Das Laufen tut wie immer gut. Mir fehlt allein der Teil, bei dem man sich mit anderen Leuten austauscht, Geschichten erzählt, große Lebensfragen wälzt und gemeinsam isst, trinkt und lacht. Um mal richtig runter zu kommen und mich frei für das nächste Lebenskapitel zu machen, ist diese Wanderung aber vermutlich genau das Richtige.

Aus dem Gebäude nebenan erklingt Blasmusik. Vermutlich probt der hiesige Musikverein. Diesmal erklingt nicht Sweet Caroline, sondern, wenn mich nicht alles täuscht, „Kumm los mer viere“. Ja, irgendwann ist auch wieder Karneval. Die Klausener Jecken sind auf jeden Fall vorbereitet.

Morgen möchte ich, gesetzt den Fall ich schaffe 28 Kilometer, bis nach Schweich laufen. Dann wäre ich in zwei Tagen am Mittwoch in Trier und könnte Donnerstag per Boot nach Bernkastel fahren. Ich habe vorhin im Netz recherchiert. Das Boot fährt nicht täglich, donnerstags aber schon. Es fügt sich also wieder ganz hervorragend für ein Wiedersehen mit dem schnuckeligen Bernkastel.

 

Zeitreise

Vorschau: Du möchtest an dieser Stelle noch nicht aufhören und fragst dich, was morgen wohl wieder passiert? So viel sei gesagt: es geht eher mäßig los. Ich kämpfe mit fehlendem Bargeld und viel zu wenig Wasser, aber dann passiert die gute, alte Camino Magic und ich erlebe ein paar Wunder zu viel, um sie einfach als Zufall abzutun, auf meinem Weg von Klausen nach Schweich.

Rückwärts: Du hast verpasst, wie ich die Königsetappe gemeistert, schwarze Katzen von links, rechts, vorne und hinten gesehen und in das Schicksal einer emanzipierten Gräfin eingetaucht bin? Na dann schnell mitkommen, von Marienburg nach Traben-Trarbach.

 

Kommentare und Ergänzungen

Warst du auch schon auf dem Mosel-Camino unterwegs? Wie war es für dich? Bist du ihn am Stück gelaufen oder Etappe für Etappe? Wie lange brauchst du, bis du wirklich fit bist und hast du dich schon mal auf der Durchreise in einen Ort verliebt, so dass du bei anderer Gelegenheit zurückgekehrt bist?

Ich freue mich wirklich über dein Feedback.

4 Gedanken zu „V (Mosel-Camino) – Von Traben-Trarbach nach Klausen&8220;

    1. Hallo ihr beiden, ihr seid aus unerfindlichen Gründen in meinem Spam-Ordner gelandet. Unerhört und deshalb jetzt erst gesehen. Dafür aber umso mehr gefreut. Wie war der Weihnachtsmarkt? Wart ihr schon mal auf dem in Traben-Trarbach? Dann schreibt gern mal darüber. Der wurde mir wärmstens empfohlen

  1. Hallo,wir waren im März in Alken wandern.
    Jetzt habe ich auf Pinterest Deinen Mosel Pilgertrip gelesen und bin total begeistert.
    Würde gern erst mal klein anfangen😉
    Wir waren Ende November in Traben Trabach und waren begeistert von dem Weihnachtsmarkt.
    Total schön und urig in den Kellergewölben.

    Lese begeistert Deine Reiseberichte.
    Liebe Grüße Moni

    1. Liebe Moni,
      Ich freue mich sehr, dass ich dich ein bisschen mitnehmen konnte. Gerade im Moment haben viele ja gar keine Lust, sich mit Reisethemen zu beschäftigen – umso schöner, wenn ich dich erreichen konnte.
      Die Gegend ist ja wirklich wunderschön! Also erobere dir doch einfach ganz in Ruhe die Gegend.
      Liebe Grüße,
      Audrey

Und was sagst Du?