Tag 4 auf dem Mosel-Camino von Marienburg nach Traben-Trarbach handelt von königlichen Etappen, schwarzen Katzen, Straßen, die meinen Namen tragen, toughen Gräfinnen und dem Aschenputtel-Experiment (24 km, 24.09.2017)
Nachdem gestern ja eher in die Rubrik „Mecker- bzw. Kampftag“ fiel, habe ich heute bei der Königsetappe (Wanderführer-Prädikat „schwer“) einen absoluten tip-top Tag.
Partypooper Tag Drei
Die Erfahrung meiner letzten Fernwanderungen zeigt, dass Tag drei immer der Party-Pooper unter den Tagen ist. Tag eins lebt von der Euphorie und Vorfreude, Tag zwei läuft mit, an Tag drei schnallt der Körper, dass man es ernst meint. Muskelkater macht sich breit, der Rucksack fühlt sich schwer an, der Kopf meckert rum, und das geht auf die Laune.
Ist dieser Tag überwunden, kommt das Langzeit-Hoch. Ja, man ist tatsächlich in der Luxussituation, dass in den nächsten Tagen oder Wochen die einzige Aufgabe darin bestehen wird, zu laufen, zu essen und eine Unterkunft zu finden. Und das alles in einer wunderschönen Umgebung, immer an der frischen Luft. Der Körper hat sich daran gewöhnt, den Rucksack spürt man zunehmend gar nicht mehr und packen kann man ihn theoretisch im Schlaf, weil inzwischen alles seinen festen Platz gefunden hat.
Die tägliche Runde Verstecken
Ich freue mich, dass meine Wäsche tatsächlich sauber und fast trocken ist, gönne mir ein ausgiebiges Frühstück am Buffet und schmiere mein Brötchen für später. Während ich mit Blick auf den Rhein esse, telefoniere ich noch schnell mit Frau Böcking, der Inhaberin der Pilgerherberge Alten Lateinschule und melde mein Kommen an. Sie freut sich und verrät mir, wie ich reinkomme, für den Fall, dass sie dann noch nicht zurück sei.
Dann mache mich an den Abstieg, vorbei an den Weinstöcken in Richtung Zell-Kaimt, wo – der Gag nutzt sich offensichtlich nie ab – die Beschilderung auf halber Strecke abbricht oder vom morgendlichen Nebel verschluckt wird. Man läuft auf einen Hügel zu und der richtige Weg wäre wohl links herum gewesen.
Ich bremse einen jugendlichen Jogger, der mir zwar nicht sagen kann, wo der Camino lang geht, mir aber empfiehlt, rechts herum zu gehen, so könne ich mir den Hügel sparen. Das mache ich und erarbeite mir auf diese Weise einen Umweg von 2,5 km. Was soll’s. Es scheint fester Bestandteil meines Mosel-Caminos zu sein, Umwege zu laufen, also führe ich die Tradition fort.
Dennoch läuft ab jetzt Google Maps parallel mit – sicher ist sicher. Mit Hilfe meiner Streckenbeschreibung kann ich immer irgendeinen prägnanten Punkt (in diesem Fall die Kirche St. Jakobus in Kaimt) eingeben und dann ansteuern.
Die Weinernte ist in vollem Gange.Während die Einen von Hand ernten lassen, geschieht dies bei den Anderen maschinell. Ich schaue interessiert zu. So nah bin ich der Herstellung der guten Tropfen in Norddeutschland selten. Egal, wie sie ernten. Wein machen können sie hier in der Gegend wirklich ganz hervorragend.
Kaum hat sich der Frühnebel verzogen, ist auf meinem Weg übrigens richtig was los. Offensichtlich verbringt der Deutsche seinen Sonntag wandernd. Die Leute, die mir entgegen kommen sind allesamt freundlich und grüßen. Manchmal komme ich sogar kurz mit ihnen ins Gespräch, weil sie interessiert sind, wo meine Reise mit dem Rucksack hingeht.
Und so nähere ich mich Kaimt trotz Umweg zügig. Es geht vorbei am Zubringerweg zu einem Campingplatz. Nächster Meilenstein ist ein Kreisverkehr, den es zu durchqueren gilt. Als Fußgänger ist das gar nicht so einfach. Ich laufe kurz entschlossen außen vorbei. Im Örtchen finde ich mit Googles Hilfe die Kirche (leider geschlossen) und bin dann auch wieder auf dem rechten Weg.
Über die Mosel geht es hinüber nach Zell. Schon von der Brücke aus kann ich das Schild mit der Kennzeichnung der bekannten Weinlage Schwarze Katz erkennen und das kleine, vierbeinige Maskottchen oben drüber ebenso.
Ein Schild, das meinen Namen trägt
Um elf bin ich in Zell, das mir wirklich ausnehmend gut gefällt. Wie schon in Karden wird auch hier die Hauptstraße von alten Beschilderungen dekoriert.
Kurz hinter der Kirche traue ich meinen Augen nicht und muss herzlich lachen: Zell hat sich auf mein Kommen vorbereitet und netterweise eine Straße nach mir benannt. Das Schönste aber ist, dass im Schaufenster unterhalb des Straßenschildes zwei Plastik-Wildschweine stehen. Ich nehme das als gutes Omen und schließe Frieden mit den grunzenden Waldbewohnern.
In einem Souvenir- und Sportartikelladen (wilde Mische) hole ich mir meinen Stempel. So nett es hier auch ist, ich habe heute nicht so viel Lust auf menschliches Gewusel und verlasse das Zentrum mit seinen Cafés. Mein Päuschen verlege ich auf eine der vielen Beton-Picknick-Garnituren mit Blick auf die Mosel.
Ein älteres Paar hat gerade den Wagen geparkt, und ich spreche sie, ob ihres Hamburger Kennzeichens, an. Ja, das sei richtig, sie seien aus Hamburg, aber inzwischen eigentlich aus Australien. Ich mache große Augen und dann erzählen mir die beiden, dass sie ausgewandert seien und nur ab und zu Stippvisite in Deutschland bei den Kindern machten. Und in dem Zuge wollte sie noch einmal an die Mosel. Da war sie das letzte Mal als junge Frau und das hat ihr damals so gut gefallen, erzählt mir die Dame. Wir tauschen unsere Eindrücke aus, über Hamburg, über die Mosel und – natürlich – über das Wetter.
Nachdem ich meine Banane vertilgt habe, bereite ich mich geistig auf das nächste Streckenstück vor. Ich muss den Bummkopf hoch, immerhin die höchste Steigung auf dem ganzen Mosel-Camino. Wie eigentlich jeden Tag habe ich unfassbares Glück mit dem Wetter. Es ist auch heute wieder Schönwetter-Nebel und später wird es sicher wieder Sonnenschein vom Feinsten geben. Da macht Wandern noch mal extra Spaß, zumal Anstiege ja auch immer Aussichten versprechen.
Rauf auf den Bummkopf
Kurz vor dem Ortsende biegt der Weg links an einer kleinen Kapelle ab, führt an ein paar Händlern vorbei und – welch idyllischer Anblick – zwischen dem Altkleider- und dem Glascontainer hinauf. Ich muss tatsächlich zweimal hinschauen und dann kichern, vor allem bei näherer Betrachtung der beträchtlichen Flaschensammlung auf dem Container. Weinland-Pfalz denke ich bei mir und mache mich an den Aufstieg, wissend, dass ich wohl gerade eins der schönsten Stücke auf dem gesamten Mosel-Camino gesehen habe.
Schon schnell bin ich ziemlich außer Atem und einmal mehr dankbar, festes Schuhwerk und vor allem Wanderstöcke dabei zu haben. Der Weg geht an einem alten Wassertretbecken vorbei und dann schnell steil hoch, durch schattigen Wald, in dem ich immer wieder pechschwarze Pilze entdecke, die unter dem Laub und an moosigen Stellen wachsen und die ich so noch nie gesehen habe (anyone??). Im Vergleich zu den anderen Tagen sind heute wirklich viele Tageswanderer unterwegs, die alle beim Anstieg Kräfte lassen. Schnaufen liegt in der Luft. Ich schnaufe mit.
An manchen Stellen muss ich Felsquader hochklettern, was mit einem Rucksack eine noch etwas größere Herausforderung darstellt als ohne, aber mit Hilfe der Stöcke klappt. Dennoch, bei Regen oder Nässe möchte ich diesen Weg nicht machen müssen, denn da wäre ich ein paar Mal arg ins Rutschen gekommen, wenn ich meinen Fuß mal wieder gefühlt senkrecht aufsetzen muss oder mich an einem Ast hochziehe.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich mich trotz Gepäck jetzt bereits leichter tue als so manch einer vor und hinter mir ohne. Wie schon oben erwähnt – es ist Tag vier. Mein Körper hat sich an die Anstrengungen der letzten Tage gewöhnt und die Muskeln machen mit. Gegen halb eins habe ich es geschafft und bin auf der Anhöhe, wo ich kurz pausiere.
Ich lade mich zum Abendessen ein
Ein Bekannter, selbst großer Mosel-Fan und zudem Rheinsteig-Bezwinger, erkundigt sich just in diesem Moment, wo ich mich denn gerade befände. Ich gebe meine ungefähren Koordinaten durch, und er witzelt, dass er mich dann ja in Traben-Trarbach zum Essen einladen könne.
Da ich sowieso bis Traben-Trarbach gehen werde, überlege ich nicht lange, überhöre den Witz und frage verschmitzt zurück, wieso wir uns hier im Konjunktiv bewegen würden. Ich sei heute Abend da, ob das auch für ihn gelte. Er sagt fest zu, und ich merke, wie mich die Aussicht auf ein richtiges Abendessen nach zwei Tagen Brotmahlzeiten begeistert. Diesen besonderen Moment dann auch noch in netter Gesellschaft zu verbringen, euphorisiert mich geradezu.
Nun, da meine Verabredung steht, muss ich doch ein wenig grinsen. Er und ich kennen uns aus meinem alten Job und haben uns bisher ausschließlich bei Geschäftsterminen oder auf Abendveranstaltungen gesehen, sprich: er kennt mich nur ordentlich aufgerüscht – entweder mit Kleid und Blazer oder im Gala-Fummel. Meinen Normalzustand Pulli und Jeans überspringe ich also und biete direkt die Worst-Case-Variante Sportklamotten ohne Make-up an. Ich warne ihn sicherheitshalber vor, er möge sich bitte geistig-emotional auf Aschenputtel im Multifunktionsoutfit und Quasselmodus einstellen.
Durchwühlen bis zum Fünftälerblick
Weiter geht es. Während ich beim Aufstieg und in Umgebung der schwarzen Pilze keinerlei Wildschweinspuren gesehen habe, wimmelt es hier auf der bewaldeten Anhöhe nur so davon. Stellenweise wurde der Weg komplett umgegraben, was das Laufen etwas erschwert.
Nach einiger Zeit fehlen mir einmal mehr Muscheln, obwohl ich sicher bin, keine Abzweigung übersehen zu haben. Vielleicht haben mich die Hinweise auf Forstrodungsarbeiten verwirrt?
Ich ziehe Google Maps zu Rate und sehe, dass ich zumindest nicht auf dem kompletten Holzweg bin, auch wenn ich auf einem anderen Weg bin, als dem, den Google mir noch vor einer halben Stunde vorgeschlagen hätte. Natürlich bin ich inzwischen wieder komplett allein unterwegs und kann niemanden fragen. Aber ich nehme es gelassen. Ich werde in Enkirch ankommen und bis zu meinem Abendessen in Traben ist auch noch genug Zeit. Alles gut. Und so ist es dann auch.
Kurz darauf ist der Wald passiert, und ich stehe mitten in der strahlenden Sonne. Vor mir breitet sich der Fünftälerblick auf die Mosel und ihre Weinberge aus.
Um die dekorative Informationstafel entsprechend zu ehren, steige ich kurzum auf die Bank und mache ein Selfie von uns allen.
Natürliche Wäschetrockner und steile Weinabfahrten
Es ist halb zwei, und ich mache Pause und ziehe mich schnell um. T-Shirt und kurze Hose reichen heute völlig. Das ist das Gute daran, den Großteil der Zeit allein unterwegs zu sein. Ich kann mich ganz entspannt mitten auf dem Weg umziehen, denn außer mir ist hier absolut niemand.
Selbst die Gänge ins Gebüsch sind unproblematisch, weil eigentlich nie jemand kommt. Dennoch beneide ich da einmal mehr Männer, dass sie ihren Rucksack einfach anbehalten können, während ich den immer erst irgendwo abstellen muss. Aber gut, das soll hier nicht mein Thema sein.
Ich breite alle Kleidungsstücke, die nach dem gestrigen Waschen noch nicht 100% trocken sind, auf meiner Bank aus und wir alle machen uns die Sonne zu Nutze. Die Wäsche trocknet, und ich bade in den Strahlen.
Eine halbe Stunde später geht es dann wortwörtlich mitten durch die Weinberge steil hinunter nach Enkirch. Das hübsche Örtchen zeichnet sich durch viele Straußwirtschaften aus, die leider zu dieser frühen Tageszeit geschlossen.
Doch der Ort bietet noch mehr, nämlich den ein oder anderen extravaganten Bewohner. Wer kann schon behaupten, einen Ferrari auf dem Dach seines Schuppens stehen zu haben?
Vor dem Gemeindeamt ist überraschend viel los. Ach richtig, da war ja was, heute ist Bundestagswahl und dies hier ist das örtliche Wahllokal. Deswegen sind auch so viele Leute unterwegs. Das hatte ich schon gar nicht mehr richtig auf dem Schirm (natürlich längst Briefwahl gemacht)! Schon erstaunlich, wie schnell man den Überblick bei den Wochentagen verliert und Abstand zum Tagesgeschehen entwickelt.
Stairway to hell
Der Weg aus dem Ort heraus ist wieder ein wenig beschwerlicher als nötig. Ich muss erneut über eine aufgerissene Straße laufen. Keine Ahnung, ob das gerade en vogue ist? Mit meinen Stöcken kann ich gerade noch einen Sturz vermeiden, als ein größerer Stein unter mir wegrutscht. Das Höhenprofil der heutigen Strecke hat mir bereits verraten, dass mich nach Starkenburg hinauf ein Anstieg erwartet, der es mit dem zum Bummkopf durchaus aufnehmen kann.
Die gut gemeinten Treppenstufen sind dabei leider alles andere als hilfreich. Stufen sind mit zehn Kilo Rucksack nicht sonderlich spaßig, weil man diese ja leider genauso nehmen muss, wie sie kommen. Die Höhe ist vorgegeben und lässt nur wenig Variation beim Setzen der Schritte zu. Also nehme ich jede Stufe einzeln und komme langsam aber sicher immer weiter nach oben. Auch das geht irgendwann vorbei, denke ich, muss aber tatsächlich mehrfach pausieren.
Endlich geschafft, erwartet mich der Panorama-Weg, der seinen Namen wirklich verdient hat. Er führt mich an großen Gesteinsbrocken vorbei und ist manchmal so schmal, dass ich balancieren muss. Neben mir geht es steil bergab.
Ich genieße die Aussicht und freue mich, dass mein einziger Gegenverkehr eine Frau ist, die mit dem gleichen Rucksack unterwegs ist, wie ich. Wir plaudern kurz. Sie läuft den Moselsteig und ist in Perl gestartet. Wir lachen beide über die „Haben Sie denn keine Angst, so ganz allein als Frau?“-Sprüche, die sie genau wie ich zu hören bekommen hat, und auch sie bestätigt, dass kaum Fernwanderer unterwegs seien. Ich sei die Dritte, die sie treffe, sie ist meine Erste.
Weiter geht es. Ich sehe einer Eidechse beim Sonnen zu und bewundere verschiedenste Schmetterlinge, darunter Pfauenauge und Admiral. Anders als das Reh, kann ich die Schmetterlinge, die teilweise direkt vor mir auf dem Boden landen, nicht davon überzeugen, für ein Foto zu posieren.
Aufstieg zur emanzipierten Gräfin
Um viertel vor vier komme ich in Starkenburg an. Bin dann doch ganz froh, dass der Aufstieg ein Ende hat und es hier ein Café geben soll. Ich sehne mich nach Zucker.
Der Ort, der 250 Meter über der Mosel liegt, hat eine aufregende Geschichte hinter sich. Mitte des 14. Jahrhunderts hielt Gräfin Loretta von Sponheim auf der Starkenburg den Trierer Kurfürsten Balduin gefangen, der ihr irgendwie dumm gekommen war. Die Burg gibt es nicht mehr und das Geschlecht der Sponheimer ging nicht allzu viel später zugrunde.
Auch Kollege Johann Wolfgang war hier. Zumindest vermeldet ein Schild an einem Haus, dass Goethe an diesem Ort weilte.
Ich weile kurz darauf an einem anderen Ort, dem Panorama-Café „Schöne Aussicht“. Da ich auf dem Weg hierher genug schöne Aussicht hatte, entscheide ich mich bei dem Topwetter gegen verglaste Panoramablicke und für eine Fanta in der Sonne. Nachdem ich noch schnell die Terrasse umgebaut habe (es ist noch genau an einer Stelle Sonne, so dass ich meinen Stuhl zielgerichtet dorthin bewege), wird mir auch schon meine große Limonade serviert.
Eine Kirche als Base Camp
Die nette Dame erspäht meine Jakobsmuschel und freut sich, dass sie eine Pilgerin vor sich hat. Sie verrät mir, dass ich in der evangelischen Kirche nebenan einen Stempel bekommen könne. Und weil sie so nett ist, verrate ich ihr nicht, dass ich das bereits wusste, sondern bedanke mich.
Die kleine Kirche ist übrigens wirklich einen Besuch wert. Sie hat eine tolle Empore, auf deren Holz die zwölf Apostel gemalt sind. Außerdem liegen in der Nähe des Stempels lauter Dinge, die andere Pilger dort zurückgelassen haben und an denen man sich bedienen kann (von Müsliriegeln, über Taschentücher, bis hin zu Büchern), quasi ein Base-Camp für schlecht ausgestattete Pilger.
Freud und Leid am Mont Royal
Um zwanzig nach vier mache ich mich an den Abstieg. Ich muss ein bisschen Gas geben, wenn ich um halb sieben fertig geduscht sein möchte. Beim Weg hinunter nach Traben-Trarbach wechseln sich tolle Aussichten und wunderschöne Wälder erneut ab, und ich komme super voran. Bereits nach einer halben Stunde kann ich meinen Zielort samt Festungsanlage sehen.
Um fünf habe ich die Burgruine Mont Royal erreicht – natürlich nicht, ohne mich noch einmal schön vom Jakobsweg foppen zu lassen. Die Pfeile weisen auf einen Durchgang im Felsen am Parkplatz gleich bei der Festung. Ich kracksle also geduckt (super mit Rucksack!) durch den kleinen Gang mit dem charakteristischen Uringeruch, nur um wenige Sekunden später auf der anderen Seite, am identischen Parkplatz wieder zum Vorschein zu kommen. Sehr witzig. Immerhin habe ich der Festungsanlage mit ihren Gewölben somit meinen Tribut gezollt.
Für das Café an der Burg samt Biergarten fehlt es mir leider an Zeit, obwohl man dort lauschig in der Sonne sitzen könnte. Ich muss wohl irgendwann noch einmal wiederkommen.
Ich mache mich an meinen letzten Abstieg für heute, und der hat es noch mal richtig in sich. Mehrfach komme ich ins Rutschen, weil kleine, herumliegende Schieferstückchen bei sehr steilem Gefälle einfach die Pest sind und ich keinen Halt finde.
Fast unten angekommen, mache ich einen kleinen Stunt – die klassische Rutsch-Variante, bei der ein Bein urplötzlich nach vorn schnellt. Gott sei Dank gelingt es mir, auch bei dieser Kunsteinlage, mit meinen Stöcken einen Sturz zu verhindern. Ich passiere das imposante Tor und gehe über die Moselbrücke von Traben nach Trarbach.
Kaum ist die Mosel überquert, sechs ich Aug in Aug mit der Kirche, neben der die Alte Lateinschule liegt. Zwischen uns befinden sich nur dummerweise noch einmal 25 Meter Kopfsteinpflaster, das gefühlt senkrecht bergauf führt. Dieser Weg scheint mir der Beschwerlichste von allen zu sein, die ich heute erklimmen musste. Oben angekommen lasse ich mich in der Sonne dann auf die nächst beste Bank, direkt vor der Kirche, fallen und rauche, schicklich oder nicht. Ich bin durch für heute.
Aschenputtel in der Lateinschule
Als ich mich 20 Minuten später endlich aufraffe, um nach dem Schlüssel zu schauen, höre ich Stimmen. Frau Böcking und eine Frau, die vor kurzem aus den USA nach Deutschland zurückgekehrt ist und ebenfalls hier wohnt, kommen gerade zurück. Nach einer herzlichen Begrüßung überreicht man mir Handtücher und Bettwäsche. Ich darf mir mein Bett aussuchen, und so fällt die Wahl auf das Doppelbett auf der Empore, auch wenn das bedeutet, dass ich eine weitere Treppe erklimmen muss. Aber so haben die andere Frau und ich beide ein bisschen mehr Privatsphäre.
Ich springe nach einem Blick auf die Uhr unter die Dusche und mache mich für mein Abendessen fein. Das ist das Tolle an Reisen mit leichtem Gepäck. Man stellt sich nicht stundenlang die Frage, was man anzieht, weil die Wahl einfach immer auf das fällt, was gerade trocken und im besten Fall sauber ist.
In meinem Fall fällt die Wahl also auf schwarze Sportleggins, ein pinkes Langarmshirt, sowie meine lila Softshell-Jacke. Abgerundet wird dieses Knaller-Outfit von meinen Joggingschuhen und einem blauen Tagesrucksack. Karl Lagerfeld wäre stolz auf mich. Hätte ich den Rucksack nicht bei mir, man könnte meinen, ich käme direkt vom Joggen. Ich kann nur inständig hoffen, dass wir irgendwo Essen gehen, wo ich nicht allzu unangenehm auffalle.
Kurz vor sieben kommt dann auch schon der Anruf – er wäre da, und ich könne dann jetzt gern grazil die Treppenstufen neben der Kirche runterschweben. Ich muss grinsen. Wenn ich nach den vielen Höhenmetern heute zu irgend etwas wirklich absolut nicht mehr in der Lage bin, dann ist das Schweben.
Zumindest komme ich sturzfrei unten an und begrüße Mann und Hund. Es vergehen ungefähr fünf Minuten, die ein wenig komisch sind, weil wir uns eigentlich nur aus dem Arbeitskontext kennen. Das legt sich aber schnell und wir fahren lachend in Richtung Alte Zunftscheune in Trarbach, die er rausgesucht hat. Von genau dieser Location hat auch die Autorin dieses Mosel-Camino-Erfahrungsberichts geschwärmt, den ich zur Vorbereitung gelesen habe.
Ein Kellner mit Amnesie und ein Abstecher in die Dorfkneipe
Nachdem uns das Navi mehrfach (und sehr zur Begeisterung des Herrn am Steuer) an der Nase herumgeführt hat und uns zwar verschiedenste Facetten Trarbachs gezeigt, aber die besagte Scheune vorenthalten hat, parken wir und versuchen zu Fuß unser Glück. Wir sind zwar erfolgreich bei der Suche, aber erfolglos beim Ergattern von Plätzen. Leider sind wir nicht die einzigen, die hier Essen wollen.
Der Laden ist voll und der mittelmäßig an uns interessierte Herr hinter der Theke kann uns auch nicht sagen, wann etwas frei wird. Einen Thekenbereich zum Überbrücken der Zeit gibt es nicht. Wir sollen einfach später noch mal wiederkommen. So drehen wir also eine große Runde durch den Ort, überqueren die Mosel, werfen einen Blick auf das Buddha-Museum (übrigens das einzige in ganz Deutschland, wie ich erfahre) und sind gute 40 Minuten später wieder im Restaurant unserer Wahl.
Der Typ hinter der Theke schaut uns verwirrt an, als wir wissen wollen, ob es denn jetzt einen Tisch gäbe. Er erkennt uns offensichtlich überhaupt nicht wieder. Dabei hätte ich gedacht, dass unser Trio (normal gekleideter Mann mit süßem Hund und Joggerin) einen gewissen Wiedererkennungswert hätte. Wir folgen seiner Empfehlung, auf ein Getränk in die Wirtschaft gegenüber zu gehen.
Ich habe Hunger und bestelle mir ein Weizen als Vorspeise. Macht ja auch satt. Nebenbei zeige ich meine bisherigen Fotos, und wir unterhalten uns über das Wandern im Allgemeinen und die Mosel im Besonderen. Nicht eine Minute denke ich noch über meine Klamotten nach, dazu gibt es einfach viel zu viel zu erzählen.
Im dritten Anlauf bekommen wir dann auch endlich ein Plätzchen in der Zunftscheune. Das Warten hat sich gelohnt. Das Essen ist großartig, der Wein auch. Viel zu schnell ist es zehn und wir brechen auf. Ich werde ordnungsgemäß an der Lateinschule abgeliefert, wo ich Frau Böcking im Treppenhaus treffe, die mir leider bestätigt, dass die AFD tatsächlich drittstärkste Partei geworden ist. Unfassbar.
Ein geplatzter American Dream
Im Schlafsaal liegt meine Zimmergenossin schon im Bett, ist aber noch wach und liest. Obwohl ich eigentlich nur gute Nacht sagen will, kommen wir ins Gespräch und schnell erzählt sie mir ein Stück ihrer Lebensgeschichte. Wieso sie überstürzt aus den USA abgereist sei, von geplatzten Liebesträumen, bigotten Leuten und anderen Kulturen. Ich bin todmüde, will aber nicht unhöflich sein und ermutige sie zu erzählen.
Das ist mir bisher auf jedem Jakobsweg widerfahren. Ich habe ein Händchen dafür, dass mir Leute, die mich kaum kennen, ihr Leben erzählen. Einerseits freue ich mich, dass man mir solche Dinge anvertraut, gleichzeitig will ich jetzt aktuell einfach nur auf meine Empore krabbeln und schlafen.
Als ich dann endlich liege, finde ich wie so häufig in den letzten Tagen keine Ruhe. Es sind wohl einfach zu viele Eindrücke, Emotionen und Anstrengungen, die einem nach so einem Wandertag durch den Kopf gehen. Diesmal kommt noch erschwerend hinzu, dass aus dem Schlafraum laute Schnarchgeräusche zu mir hochdringen. Na toll. Erst hält sie mich mit Reden vom Schlafen ab und dann mit Schnarchen.
Morgen erwartet mich hier übrigens laut dem oben erwähnten Reiseberichten das beste Frühstück auf dem ganzen Mosel-Camino.
Zeitreise
Vorwärts: Willst du wissen, wie es morgen weitergeht, wenn ich mich auf den Weg in den alten Wallfahrtsort Klausen mache? So viel sei verraten: ich mache einen Abstecher nach Comic City, fische einen Schlüssel aus einem Tresor und schlafe allein in einem 12-Personen Schlafsaal. Auf geht es, von Traben-Trarbach nach Klausen.
Rückblick: Du hast verpasst, wie ich mich gestern gefühlt auf allen Vieren ins Ziel geschleppt habe und auch von meiner morgendlichen Messe mit klackernden Nonnen und murmelnden Priestern weißt du noch nichts? Dann lies es nach im Abschnitt von Engelport nach Marienburg
Kommentare und Ergänzungen
Bist du auch schon mal einen Jakobsweg gelaufen? Warst du vielleicht sogar schon auf dem Mosel-Camino unterwegs? Wie ist es dir dabei ergangen?
Wie lange brauchst du, um dich mit deinem etwas sonderlichen Aussehen abzufinden oder stört dich das gar niccht? Gibt es etwas, das dir an diesem Bericht besonders gefallen hat, was du vermisst oder das dich gestört hat? Musstest du eventuell sogar mal schmunzeln? Immer raus damit. Ich freue mich wirklich über dein Feedback. Und sollte es dir gefallen haben, erzähl es gern weiter.