Camino Frances #11: Von Viana nach Navarrete

Etappe 9 auf dem Jakobsweg: meine Koffein-Nerven werden einmal mehr auf die Probe gestellt, die Camino-Maskottchen sind im Streik, Duschen fällt heute aus, und wir landen in einer Geisterstadt, die ein spektakuläres Highlight für uns bereit hält, aber keinen Medizinkongress (7. Mai 2016, 23 Kilometer)

Heute Morgen werden Kati und ich vom sonoren Schnarchen der einzigen Frau im Raum geweckt. Was haben wir gestern noch gewitzelt, dass einer der drei Amerikaner mit Sicherheit Radau machen wird. Nichts da, es ist die einzige, anwesende Dame, die hier ohrenbetäubend auffällt. Kichernd marschieren wir ins Bad und machen uns fertig.

Kaffee-Express ohne Kaffee

Wie vereinbart, stehen wir pünktlich um 7:15 Uhr vor dem Eingang unserer Herberge, um die Jungs zu treffen und tatsächlich, Torsten und Olli haben Wort gehalten und stehen abmarschbereit vor unserer Tür – allerdings ohne den versprochenen Kaffee. Meine Laune verabschiedet sich augenblicklich ein paar Etagen tiefer. Da nur Rob Zeuge meines Stimmungsbildes ohne Kaffee war, haben die heute Anwesenden die Dringlichkeit meines Kaffeeappells wohl unterschätzt. Der anhaltende Nieselregen hebt die Laune auch nicht gerade.

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Ein Traum in Blau und Grün

Während meine drei Freunde unter ihren Ponchos verschwinden, entscheide ich, dass die Windjacke reichen muss. Poncho finde ich immer recht nervig und schwitzig. Dann geht es los – raus aus Viana. Ich schaue mich noch suchend nach Kaffee um, werde aber von den anderen beruhigt, dass es den sicher schon bald auf dem Weg geben wird. Von wegen…

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Das erste Stück fällt nicht unbedingt in die Kategorie „malerisch“, denn wir trotten auf Asphalt, vorbei an einer kleinen Kirche, die direkt an der Straße steht. Hier möchte ich im wahrsten Sinne des Wortes nicht tot über dem Zaun hängen – oder unter der Erde liegen. Doch schon bald liegt der Industrie-Charme hinter uns, und wir laufen wieder durch die Natur. Nach einer Stunde kommen wir an der Kirche Virgen de Cuevas an, deren einladender, überdachter Außenbereich sich perfekt für unser Frühstück eignet. Die Jungs haben tatsächlich vorgesorgt und kredenzen uns Sandwich mit Käse, Tomate und Gurke. Wenn es jetzt noch Kaffee gäbe, wäre meine Welt im glückseligen Ausnahmezustand. So befinden wir uns eher im Bereich geht so. Die Kirche steht in absoluter Abgeschiedenheit. Drumherum gibt es nichts und so muss Wasser als Getränk reichen.

Auch Wegmaskottchen haben Urlaub

Nachdem wir eine halbe Stunde pausiert haben, machen wir uns gegen halb neun wieder auf den Weg. Nach Logroño sind es noch sieben Kilometer. Zweieinhalb Kilometer später schließen wir ein geographisches Kapitel unserer Reise ab: Wir verlassen die Navarra und stehen nun in der Rioja. Noch sind unsere Überlegungen, den heutigen Tag in der Hauptstadt dieser Provinz zu beenden, nicht final abgeschlossen, aber die Tendenz geht in Richtung Weiterlaufen, es sei denn, Logroño und seine Möglichkeiten hauen uns um. Heute ist Samstag – da ist die Vorstellung, ein bisschen auszugehen, zumindest eine Überlegung wert, auch wenn keiner von uns auch nur ansatzweise über ein repräsentables Party-Outfit verfügt.

Auf einem geteerten Feldweg geht es recht ordentlich bergab. Mein Outdoor-Führer kündigt uns eine Ikone am Ende dieses steilen Stückes an, denn gleich vor den Toren Logroños soll eigentlich Maria unter einem Feigenbaum sitzen und vorbeiziehende Pilger mit Stempeln und Getränken begrüßen. Doch Maria scheint bei Nieselregen Besseres zu tun zu haben. Zwar entdecken wir ihr Haus, das mit Schildern eindeutig als Residenz des Maskottchens gekennzeichnet ist, doch von ihr selbst fehlt jede Spur. Vielleicht ist ihr der Fame zu viel geworden? Wir nehmen es nicht persönlich. Auch wir wollen weiter. Vor allem Miss Coffee-Jeeper kann die Zivilisation gar nicht schnell genug erreichen.

Et voilá – um viertel nach zehn sind wir da. Unser Weg in die Stadt verläuft entlang des Flusses Ebro, den wir schließlich über eine imposante Brücke überqueren, die von unglaublich vielen Storchennestern geziert wird. Kati verschwindet flugs in der Touri-Info, um dort einen Stempel zu ergattern. Ich verzichte auf das Seeing sämtlicher Sights und laufe auf direktestem Wege in ein Café. Kaum halte ich meinen café con leche samt frisch gepresstem O-Saft in Händen, kehren die Lebensgeister zurück, vor allem die mit der guten Laune.

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Wir sitzen im Außenbereich mit Blick auf die Kathedrale und betrachten mit Blumen geschmückte Laternen, während um uns herum die Stadt wuselt.

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Nachdem wir das Treiben eine halbe Stunde lang begutachtet haben, steht für uns alle fest, dass wir weiter wollen. Es ist noch viel zu früh, um die Wanderung zu beenden. Außerdem fühlen wir uns in der Stadt ein wenig unwohl. Wir waren seit Tagen in kleinen Orten, und die Hektik und der Straßenlärm überfordern uns. Ein Blick in den Reiseführer verrät, dass es nur 12 Kilometer bis zum nächsten Ort Navarrete sind. Das sollte locker zu schaffen sein. Es ist ja gerade mal halb elf.

Medizinkongress in Navarrete

Am Tisch neben uns sitzt ein Grüppchen Pilgerinnen mittleren Alters, angeführt von einer kleinen, gedrungenen Amerikanerin in einer ballonseidenen, violetten Trainingsanzugsjacke. Das Teil hat es offensichtlich auf direktem Wege aus den Achtzigern hierher geschafft. Die Lady spricht laut und aufgeregt, mit einem breiten Südstaaten-Akzent. Man solle auf gar keinen Fall nach Navarrete gehen, der Ort sei völlig überflutet, und es gäbe dort keine Betten mehr, teilt sie ihrer Anhängerschaft mit. Wir werden hellhörig. Das wäre natürlich alles andere als optimal, denn von Navarrete aus sind es noch mal sieben Kilometer in den nächsten Ort mit Herberge. Das wäre uns dann doch zu viel.

Ich spreche die Dame an, um mehr zu erfahren. Ja, plustert sie sich auf, sie habe aus sicherer Quelle (die natürlich nicht weiter spezifiziert wird), dass in Navarrete morgen ein Medizinkongress stattfinde und deswegen alle Betten belegt seien, selbst die in den Herbergen. Ich werfe einen erneuten Blick in meinen Wanderführer und muss grinsen. Navarrete ist ein kleiner Ort mit ca. 2.000 Einwohnern. Außerdem ist heute Samstag. Es würde mich wirklich sehr wundern, wenn da ein Kongress stattfinden würde, werfe ich ein. Sie zuckt verächtlich die Schultern. Sie habe ihre Quellen. Mehr als uns warnen, könne sie nicht. Unsere Truppe beschließt, das Risiko einzugehen, und Miss Ballonseide lässt uns mit mitleidigem Blick ziehen.

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Nach einer kleinen Fotosession vor der Kathedrale geht der Weg einmal quer durch die Stadt, vorbei an Geschäften und über einen Markt. Für einen kurzen Moment kommt sogar mal die Sonne raus. Urplötzlich stolpere ich in Chelsea und Edwin, mit denen ich in Roncesvalles zu Abend gegessen habe und die am nächsten Abend von Zubiri noch weiter mussten, weil es dort keine Bettwn mehr gab. Die Wiedersehensfreude ist groß. Den beiden geht es sehr gut. Sie sind allerdings ein wenig verkatert. Seit gestern sind sie hier und haben es ordentlich krachen lassen und wollen daher erst später weiter. Sie schwärmen von der Stadt, aber wir bleiben unserem Vorhaben treu und sehen zu, dass wir Land gewinnen. Wir verlaufen uns immer mal wieder kurz, weil die Markierung eher spärlich und das Gewusel umso größer ist. Dann haben wir es endlich geschafft und laufen auf leeren Bürgersteigen vorbei an Autohäusern und ähnlichen Randgebietserscheinungen in Richtung eines Naherholungsgebiets.

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Wir unterqueren die Autobahn durch eine schicke Unterführung mit windschiefen Pilgerfiguren. In der Unterführung wird uns (etwas dilettantisch an die Wand gesprüht) noch einmal vor Augen führt, wie weit wir bereits gekommen sind und wie viele Etappen noch vor uns liegen. Angeblich 18, aber ich bezweifle stark, dass wir in 18 Tagen in Santiago sind und rechne eher mit 25.

Gegen eins erreichen wir das Naherholungsgebiet mit seinem großen Stausee.

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Während die anderen Drei es sich am Ufer gemütlich machen, verschlägt es mich in die Büsche. Dazu muss ich leider noch mal ein Stück zurück und einen Hügel hinauf. Der Nachteil an so einem Naherholungsgebiet ist, dass überall Menschen sind, der Vorteil an meinem versteckten, stillen Örtchen, dass es einen prima Ausblick auf meine Wandergenossen bietet, die brav unten auf mich warten.

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Nach einer kurzen Pause, in der wir die herzhaften Schweinereien verputzen, die wir in einer kleinen Bäckerei in Logroño erstanden haben, geht es weiter, einmal um den See herum. Hier sollte uns nun theoretisch Camino-Maskottchen Nummer zwei, Marcelino, beglücken. Marcelino ist eine weitere Legende des Weges. Nachdem er einst in traditionellen Pilgergewändern den Camino gelaufen ist, kann man bis heute sein Bild in verschiedenen Herbergen bewundern. Gelegentlich verteilt er in der Nähe des Sees Wanderstöcke und Obst. Doch auch er bleibt spurlos verschwunden. Wir fragen uns, ob er mit Maria durchgebrannt sein könnte?

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Nach dem Naherholungsgebiet kommt uns der letzte Teil der Strecke sehr lang vor, obwohl es sich de facto nur um fünf Kilometer handelt. Wir sind wohl doch etwas müde, und der Weg zieht sich gefühlt schier endlos durch die Rioja. Unter grauen, tief hängenden Wolken laufen wir an momentan noch recht kahlen Weinstöcken und trockener, brauner Erde vorbei. Es wirkt nicht sonderlich einladend.

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Über den Baumwipfen ragt der Osborne-Stier empor, längst nicht mehr nur Werbefigur für Veterano, sondern Symbol Spaniens geworden.

Das Weingut „Don Jacobo“, an dem wir wenig später vorbei kommen, ist voll auf das Camino-Merchandising aufgesprungen und wirbt mit dem Slogan „Born on the way“. Ich frage mich, ob es auch nur einen Pilger gibt, der ernsthaft unterwegs Wein ersteht und diesen mit über den Weg schleppt?

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Gegen drei treffen wir in Navarrete ein. Wir laufen wie immer durch eine Geisterstadt. In dem kleinen Örtchen ist der Hund begraben bzw. momentan schläft er noch tief und fest. Es ist mal wieder Siesta. Torsten und ich witzeln rum, dass gleich irgendwo die Fensterläden aufgeklappt werden und wir auf einen Saloon stoßen, in dem sich ein paar Missetäter zusammengerauft haben und mit ihren Colts auf uns zielen, oder aber eine Horde weiß gewandeter Mediziner, die wir dabei erwischen, wie sie ihren Kongress für üble Machenschaften und Experimente an kleinen Peregrinos nutzen. Spiel mir das Lied vom Tod, pfeife ich vor mich hin.

Wir steuern die städtische Herberge an, die mit 50 Betten mit Abstand die größte Unterkunft vor Ort ist. Wir möchten unbedingt zusammenbleiben und auch wenn wir nicht an den Medizinkongress glauben (jetzt wo wir hier sind, noch weniger als zuvor), wollen wir kein Risiko eingehen. Die Vorstellung, jetzt noch die im Ort verstreuten, kleinen, privaten Unterkünfte auf der Suche nach vier freien Betten abzuklappern, schreckt uns ab. Wir sind müde und wollen duschen und genau deshalb werden wir die pragmatische Wahl unserer Unterkunft bereuen.

Die Herberge ist recht schmucklos. Als unser täglicher Eincheck-Prozess durchlaufen ist (Ausweis raus, Credencial raus, eintragen, abstempeln, Matratzenschoner entgegen nehmen), werden wir nach ganz oben unter das Dach geführt und laufen an vielen müden Pilgern vorbei. Die erste Freude ist groß: Kati und ich ergattern normale Betten (also keine Stockbetten). Wir teilen unser Domizil jedoch mit 18 anderen, der Großteil davon Herren älteren Semesters. Neben Kati und mir gibt es nur eine weitere Frau. Da ist ein schönes Schnarchprogramm ja schon wieder vorprogrammiert.

Wir marschieren zu den Duschen, wo eine unschöne Überraschung auf uns wartet. Als wir in der Duschkabine stehen, in der es noch nicht mal Halterungen für Duschgel und Co gibt, stellen wir mit Erschrekcen fest, dass aus der Brause gerade mal vier schmale Rinnsale tröpfeln, die abwechselnd brütend heiß und eiskalt sind. Alle Duschen im Raum haben das gleiche Problem. Es reicht gerade mal für eine Katzenwäsche, Haare waschen fällt aus. Was für ein Mist. Die Dusche ist immer eins der Highlights nach so einem Tag, aber man kann halt nicht immer gewinnen.

Zurück in unserem Zimmer kommen wir mit Ursula ins Gespräch. Die 72-jährige Österreicherin hat das Bett neben Kati und zeigt uns ihren beeindruckend dekorierten Hut, der mit Blumen, Federn und gelben Pfeilen geschmückt ist. Ursula ist nicht zum ersten Mal auf dem Jakobsweg. Dies ist ihr fünfter Camino. Seit sie gleich zweimal an Krebs erkrankt ist und diesen beide Male überwunden hat, hat sie sich vorgenommen, auf ihre Art Danke zu sagen und geht den Weg seitdem jedes zweite Jahr. Als Kati Ursulas Geschichte hört, kann sie die Tränen nicht zurückhalten. Das Thema Krebs war in ihrem direkten Umfeld gerade sehr aktuell, und Ursula triggert offensichtlich einiges, was sich jetzt seinen Weg nach draußen bahnt. Dass es aus unserer sonst so resoluten Kati so herausbricht, berührt uns alle sehr. Torsten eilt mit Taschentüchern herbei, Ursula nimmt sie in den Arm und ich halte ihre Hand. Danach geht es ihr sichtlich besser. Weinen kann ja durchaus befreiend sein, auch wenn es Kati eher unangenehm ist, dass wir Zeuge waren.

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Um auf andere Gedanken zu kommen, macht sich unser Quartett auf die Suche nach einer Bar. In der Nähe der Kirche werden wir fündig und bestellen zu unseren Getränken noch jeder zwei Pintxos gegen den ersten Hunger. Ich klöne gerade mit den Jungs, als Kati aufgeregt an unseren Tisch gestürzt kommt. Sie hat sich in der Zwischenzeit die Kirche angeschaut und ist dabei angeblich auf ein ziemliches Highlight gestoßen, das wir uns unbedingt anschauen müssen.

Glitter and Gold

Etwas widerwillig folgen wir. Wenn es auf dem Camino von irgend etwas mehr als ausreichend gibt, dann sind das Kirchen. Während ich anfangs noch in jede rein bin, reduziert sich mein Bedarf inzwischen auf zwei Kirchen pro Tag. Irgendwann hat man eben alles gesehen. Denke ich – bis ich in der Kirche von Navarrete stehen. Was uns dort erwartet, war wirklich nicht vorherzusehen. Noch mal zur Erinnerung: wir befinden uns in einem 2.000-Seelendorf, in dem kein Medizinkongress der Welt jemals tagen wird. Und ausgerechnet hier funkelt es uns pompös und golden entgegen.

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Spot an, Mund & Augen auf

Der ganze Altarraum ist ein einziges Schmuckwerk. Wenn man Geld einwirft, gehen Spots an und beleuchten das viele Gold. Es verschlägt uns tatsächlich die Sprache. Wir werfen mindestens drei Münzen ein, weil wir uns an dem Anblick gar nicht satt sehen können. So etwas habe ich tatsächlich noch nie gesehen. Ich bin selten sprachlos. Hier schon.

Als wir uns im Anschluss in der Kirche umsehen, finden wir nicht nur einen Stempel, sondern auch noch eine Weltkarte, in die man kleine Pins stecken kann, um den eigenen Herkunftsort zu markieren, was wir natürlich pflichtschuldigst erledigen.

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Als wir aus der dunkeln Kirche wieder nach draußen kommen, gehen die anderen noch mal auf einen Abstecher in die Bar, während ich mir endlich mal die Zeit nehme, in Ruhe mit meinem Freund zuhause zu telefonieren. Das Gespräch kommt irgendwie nicht so richtig in Gang. Ich erzähle von meinen Erlebnissen und er berichtet, was bei ihm so geht. Nachdem jeder seinen kleinen Vortrag gehalten hat, sagt er, er habe das Gefühl, dass ich schon ewig weg sei und er endlich mal wieder Zeit habe, sich mit seinen Freunden zu treffen und Dinge zu unternehmen. Auch wenn ich mich freue, dass er ebenfalls eine gute Zeit zu haben scheint, klingt das nicht so richtig gut. Eher so, als fange er an, sich an die Strohwitwerschaft zu gewöhnen. Das Gespräch hallt noch etwas länger in mir nach und gibt mir zu denken. Ich selbst kann nämlich ehrlich gesagt auch weiß Gott nicht behaupten, dass ich mit meinen Gedanken ständig zuhause und bei ihm bin. Dazu erlebe ich einfach viel zu viel. Vermutlich ist es ziemlich naiv zu glauben, dem anderen ergehe es anders, nur weil er im gewohnten Umfeld ist.

Die negativen Gedanken werden jedoch schnell verscheucht, denn völlig überraschend entdecke ich plötzlich Rob. Wie immer ist die Wiedersehensfreude groß, zumal mein Lieblingsniederländer froh und überrascht ist, uns hier anzutreffen. Er war davon ausgegangen, dass wir in Logroño bleiben. Genau wie wir ist er in der öffentlichen Herberge untergekommen. Da sehen wir uns später sicher wieder.

Ich schicke ihn auf direktem Wege in die Kirche, während ich mich mit meiner Gang auf den Weg zum Supermarkt mache. Nachdem wir gestern so grandios geschlemmt haben, wollen wir unser Konzept „spanische Brotzeit“ wiederholen. Wir müssen bis ans Ende des Ortes laufen, bis wir einen Supermarkt finden, der offen hat. Dieser hat dann aber alles, was wir uns wünschen. Zudem entdecken wir noch eine Bäckerei, in der wir frisches Brot erstehen und die angeblich auch morgen früh auf hat.

Abendessen mit Katzen und Idioten

Während die anderen den Tisch decken, gehe ich noch einmal kurz nach oben. Ursula ist im Zimmer und als sie erwähnt, dass der Supermarkt in der Nähe der Herberge ja leider geschlossen hatte, lade ich sie kurzerhand ein, mit uns zu essen. Die Österreicherin lehnt erst einmal ab und behauptet, dass sie heute bereits genug gegessen hat und das schon okay sei. Ich glaube ihr kein Wort und lasse das nicht gelten. Nach einigem Hin und Her kann sie überzeugen, uns Gesellschaft zu leisten. Rob hole ich ebenfalls dazu, und so sitzen wir kurz darauf zu sechst im Speisesaal.

Es ist total gemütlich. Ursula erzählt, dass es ihr reich dekorierter Hut vor zwei Jahren zu einer Facebook-Berühmtheit gebracht hat. Sie selbst hat natürlich keine Social-Media-Accounts, aber andere Peregrinos haben Fotos von ihr gemacht und vermutlich in einer Gruppe geteilt, und so wurde Ursulas Ankunft immer schon im nächsten Ort erwartet. Wildfremde Menschen erkannten sie und sprachen sie an. Wir müssen alle über die Geschichte der ehemaligen Kindergärtnerin lachen. Als Dankeschön für die Essenseinladung lässt sie es sich nicht nehmen, unser aller Geschirr zu spülen.

Im Anschluss spielen Torsten, Oli, Kati und ich erneut Mau-Mau. Traditionen wollen schließlich bewahrt werden. Als uns das Spiel zu langweilig wird, bringt uns Torsten Durak, ein russisches Kartenspiel, bei, das übersetzt Idiot heißt und bei dem man mit Strategie spielen muss und nicht nur mit Glück. Mir macht es riesig Spaß. Auch der Mazedonier und die Ukrainerin, die rechts von uns sitzen, kennen es, und wir kommen etwas holprig mit den beiden, die nur wenig Englisch sprechen, ins Gespräch.

Als wir ins Bett gehen, ist unser Schlafsaal komplett voll. Zwei weitere Männer sind hinzugekommen. Ein gutaussehender, aber sehr schweigsamer Italiener, der von mir kurzum den Namen Adonis verpasst bekommt und offensichtlich kein Englisch spricht und ein Deutscher in seinen 70ern, den ich schon einmal gesehen habe und gleich wiedererkenne, weil er mit seiner unwirschen Art unangenehm aufgefallen ist. Er schaut auch diesmal wieder unfassbar schlecht gelaunt, meckert in einem fort still vor sich hin und scheint niemanden zu haben, der ihn begleitet. Kein Wunder.

Ich unterhalte mich mit Ursula, die ihn ebenfalls kennt, über ihn. Sie erzählt, dass er sie in irgendeiner Herberge angefahren hat, als sie sich mit ihm unterhalten wollte. Seitdem ignoriert sie ihn. Ich frage mich, wieso man ein Unterfangen wie den Jakobsweg durchzieht, wenn es einem doch offensichtlich keinen Spaß macht. Ursula gibt zu bedenken, dass eben jeder den Weg aus anderen Gründen gehe. Manche machen es vielleicht nicht aus freien Stücken, sondern als Buße, andere werden unterwegs auf Dinge gestoßen, die sie bislang erfolgreich verdrängt haben und müssen sich fortan mit diesen Dämonen auseinandersetzen.

Wenig später bin ich umgeben von meinen ganz persönlichen Dämonen, die mich vom Schlafen abhalten. Wie erwartet schwillt der Geräuschpegel im Zimmer minutenweise an. Es pfeift und grunzt aus sämtlichen Öffnungen um mich herum. Zu meiner Linken wälzt sich Adonis von einer Seite auf die andere. Er scheint keine Ohrstöpsel dabei zu haben und kann offensichtlich überhaupt keinen Schlaf finden. Ich hingegen schließe die Dämonen kurzerhand aus, schraube mir die Oropax rein und zoome mich raus.

Zeitreise

Vorwärts: Du willst wissen, was als Nächstes passiert? Keine Sorge, die Nacht, die schon so turbulent anfing, wird noch viel turbulenter enden. Außerdem werde ich noch Tränen in Gedanken an Navarrete vergießen, und das liegt nicht daran, dass ich es hier so schön fand. Neugierig geworden, was es damit auf sich hat? Dann komm doch schnell mit von Navarrete nach Azofra.

Rückwärts: Du hast die letzte Etappe verpasst? Dann lies doch einfach noch mal den Beitrag über den Camino von Los Arcos nach Viana und finde heraus, was es mit der spanischen Brotzeit auf sich hat und wieso ich wohl nie beim Weitwurf für Deutschland antreten werde.

Bist du vielleicht zum allerersten Mal hier und möchtest bei Tag Eins loslegen? Dann hier entlang.

Kommentare und Ergänzungen

Bist du selbst dieses Stück des Jakobsweges gelaufen oder hast du vielleicht vor, das irgendwann einmal zu tun? Warst du vielleicht sogar auf meinem Stück dabei und hast noch etwas zu ergänzen oder zu korrigieren? Hat dir etwas besonders gefallen oder hat dich etwas gestört? Ich freue mich über deinen Kommentar.

Ich muss das weitersagen

3 Gedanken zu „Camino Frances #11: Von Viana nach Navarrete&8220;

    1. Vielen Dank für den Hinweis. Das hätte ich niemals bemerkt 🙂 Habe dem Ort nun pflichtschuldigst überall den korrekten Namen angedeihen lassen.

Und was sagst Du?