Tag 4 auf dem Harzer Hexenstieg schickt uns lauter kuriose Gestalten und so bewegen wir uns zwischen Schatzsuchern, Vogelforschern und Waldteufeln vorbei an einem Tröpfchenfall in Richtung Rübeland und stellen uns dabei so talentiert an, dass die Hexe uns mit der Popcorn-Tüte in der Hand sprachlos zuschaut – so sprachlos, wie wir, als uns die acht Köstlichkeiten von Rübeland serviert werden (14. Juli 2018, 15 Kilometer)
Die erste, bange Frage beim Wachwerden gilt Julies Knie. Hat es sich beruhigt, oder muss sie kürzer treten oder gar aufhören? Erste vorsichtige Test ergeben, dass sie zumindest akut keine Schmerzen hat. Ich bin wahnsinnig erleichtert.
Zwischen Schatzsuchern und Vogelforschern
Im Restaurant sind einige Tische belegt. Ich frage mich, ob das alles Wanderer sind. Sie sehen nicht so aus. Aber wieso sollte man sonst in dieses verschlafene Nest kommen? Die Auswahl am Buffet ist groß. Wir versorgen unsere Grundbedürfnisse und lassen wie immer ein Brötchen in unseren Taschen verschwinden.
Am Tisch neben uns sitzen zwei Herren, die aussehen wie eine Mischung aus Daktari und Indiana Jones. Sie brüten über Landkarten. Ich male mir aus, dass sie entweder auf Schatzsuche sind oder als Ornithologen einer aussterbenden Art hinterherjagen.
Hol schon mal den Wagen, Harry
Nach dem Frühstück rauche ich auf den Treppenstufen in der prallen Sonne und beobachte ein Ehepaar beim Auschecken. Sie besteht vorwiegend aus Louis Vuitton, verkünden große Lettern auf ihrer Bekleidung und den Taschen. Hinter ihrer großen Sonnenbrille ist ihr Gesicht nicht zu erkennen. Ich schätze sie auf irgendwas in den Siebzigern.
Ihr Göttergatte, den sie kratzbürstig anweist, das Auto doch gefälligst näher ran zu fahren, sieht hingegen aus, als käme er gerade vom Angeln. Interessantes Pärchen. Was die wohl hergetrieben hat? Das fragen sich auch die Hotelangestellten, die wenig später hinter mir sitzen und pausieren, während sie sich über die unfreundliche Frau amüsieren.
Umwege und Kletterpartien – die Hexe lacht
Nachdem wir doch eigentlich gestern auf dem Weg der Besserung waren und es vor zehn auf die Bahn geschafft haben, sind wir heute wieder von der gemütlichen Truppe. Um sage und schreibe halb elf bequemen sich die Damen, ihren Weg fortzusetzen. Man muss uns jedoch zugutehalten, dass es heute eher gemütlich wird mit gerade mal 15 Kilometern.
Vorbei an Kukkis Erbsensuppe, dem Verschlag, der auch heute nicht besetzt ist, geht es schnell wieder in den Wald. Auf dem Weg nach Königshütte durchqueren wir das Steinbachtal. Von einem Bach ist nicht so viel zu sehen, wie von Steinen, oder genauer gesagt, Gesteinsformationen. Zu unserer Rechten schimmern bereits erste steinerne Riesen durch das Grün.
Eine Stunde später kreuzen wir die kalte Bode und sind wenig später kurz vor Königshütte, genauer gesagt an einer wenig königlichen Kreuzung, bei der wir die Beschilderung aus dem Auge verlieren und falsch laufen. Zu verlockend wirkt die kleine Brücke über die Bode.
Julies Kartenleser-Auge warnt bereits vor der Brücke, dass wir falsch sind. Ich benötige ein paar Schritte mehr bis zu dem Schild, das auf Privatbesitz verweist. Ich bin tatsächlich auf dem falschen Weg. Man hört ein leises Kichern. Die Hexe ist zurück.
Der Königshütter Tröpfchenfall
Zurück gehen auch wir und wählen für kurze Zeit den Weg entlang der Straße. Als ein kleiner Pfad links von uns sich gar idyllisch aufwärts windet, bin ich überzeugt, dass auch wir hier hinauf müssen. Ich sehe sogar eine verblichene Markierung. Wir kraxeln das kleine, aber steile Stück aufwärts. Mitten im Dickicht stehen wir wenig später in einer Sackgasse. Aussicht gibt es wegen zu dichten Bewuchses nicht.
Stimmenwirrwarr erklingt. Eine Dreigenerationengruppe quält sich durch das Geäst. Auch sie wirken nicht, als wären sie freiwillig hier. Sie faseln etwas von einem Wasserfall. Wenig später schauen wir auf eben diesen hinunter. Genauer gesagt handelt es sich momentan wohl eher um einen Tröpfchenfall. Der heiße Sommer hat offensichtlich dafür gesorgt, dass ihm die Puste ausgegangen ist.
Für uns heißt es Abstieg. Wir müssen am Wasserfall vorbei, weiß die kluge Karte. Na prima. Wir machen uns ob der bescheidenen Markierung laut Luft. Schon wieder haben wir einen völlig unnötigen Schlenker eingebaut. Im Hintergrund schnappt etwas nach Luft und schüttelt lachend den Kopf. Die Hexe ist fassungslos – Julie und ich sorgen ganz ohne ihr Zutun für ein wenig Slapstick.
Wenig später laufen wir am Wasserfall vorbei. Wenn er genug Wasser führt, sicher eine beeindruckende Sache. Aktuell eher ein Stein, an dem auf der rechten Seite etwas Wasser hinabläuft. Für ein Foto reicht die Kulisse aber allemal.
Hexenheimspiel
Wir gehen weiter durch den Ortsteil Rothehütte. Der Weg führt an einem kuriosen Häuschen vorbei. Eine Sammlung aus Wappen, Masken und Geweihen ziert die Außenwand. Neben einem Plastikstuhl steht eine Figur, die fast schon afrikanische Züge hat.
Hier sitzt die Hexe also für gewöhnlich auf ihrem Stuhl, streichelt die Figur neben sich und beäugt das wandernde Volk. Aus Angst vor unserem Zorn hat sie sich aber vermutlich lieber in Sicherheit gebracht.
Der Asphalt wird nicht lange begangen, da biegt der Hexenstieg schon wieder ab. Ein holzgeschnitzter Fliegenpilz weist uns märchenhaft den Weg.
Entlang trockener Wiesen laufen wir neben der kalten Bode. Die nächste Viertelstunde ist geradezu idyllisch. Unsere gute Laune kehrt zurück.
Als wir durch die Hintertür den Ortsausgang erreichen, werden wir standesgemäß verabschiedet. Die Hexe hockt (erneut in sicherer Entfernung) auf ihrem Besen und lässt uns vorbei.
Von hier kann man zwei Wege einschlagen. Die südliche Variante über Hasselfelde und den von uns gewählten, nördlichen Weg über Rübeland. Wir nutzen die Gunst der Stunde. Es gibt eine Picknickbank. Wir machen unser erstes Päuschen. Nicht, dass wir schon weit gekommen wären (wir sind bei Kilometer sechs), aber nach unserem unfreiwilligen Abstecher hinauf auf den Wasserfall wollen wir uns belohnen.
An unserem Knotenpunkt ist einiges los. Wir beobachten eine Gruppe junger Männer, die, völlig unpassend in Anzügen, an uns vorbeimarschieren. Sie tragen allerlei technische Gerätschaften. Etwas hinter uns befindet sich die Ruine Königsburg. Wir vermuten, dass dort oben gefeiert wird. Vielleicht eine Hochzeit? Die Braut bleibt fern. Dabei hatten wir gehofft, sie zu treffen, damit sie uns für den Rest des Weges Glück bringe.
Wassermarsch mit Wassermangel
Julie bekommt einen Anruf und so nutzen wir die Zeit für ein Päuschen und tanken Sonne. Wir haben Zeit. Erst nach einer halben Stunde machen wir uns wieder auf den Weg. Uns erwartet ein Spaziergang entlang der Überleitungssperre. Wir laufen durch eine Auenlandschaft, können das Wasser aber nur in der Entfernung vermuten, weil sich optisch eine Art Graben abzeichnet.
Als wir den Stausee dann das erste Mal erblicken, kann ich das Gesehene erst gar nicht zuordnen. Was sich neben uns erstreckt, sieht aus wie die schuppigen Landschaften, die man von Salzseen kennt. In unserem Fall ist das Wasser auf ein Minimum zurückgegangen. Drumherum ist alles grünlich und trocken. Es hat etwas Gespenstisches. Gestern der Wald im Reich des Borkenkäferkönigs, heute ein See ohne Wasser.
Besuch vom Waldteufel
Als Entschädigung für den Wassermangel lässt sich ein mir unbekannter Schmetterling gleich neben uns auf einer Blüte nieder. Wir haben ja gestern bereits rund um den Brocken unglaublich viele Schmetterlinge beobachtet. Heute erklärt sich das possierliche Tierchen bereit, für ein Foto stillzuhalten.
Es handelt sich um den weißbindigen Mohrenfalter, auch – und das passt auf dem Hexenstieg natürlich mal wieder ganz vortrefflich – unter dem Namen Waldteufel bekannt. Er wurde vom BUND NRW übrigens zum Schmetterling des Jahres 2003 gekürt, weil er dort vom Aussterben bedroht ist und deutschlandweit gefährdet. Kein Wunder also, dass ich ihn vorher noch nie gesehen habe. Nun gibt er sich für die beiden gebürtigen NRW-Ladies die Ehre.
Zwanzig Minuten später sehen wir dann Gott sei Dank auch Wasser im See. Bei meinem Abstecher in die Büsche stolpere ich sogar beinahe in zwei Angler. Sie sitzen mit dem Rücken zu mir und bekommen Gott sei Dank nichts mit. Von meinem Plätzchen habe ich freien Blick auf die Trogfurther Brücke.
Eine weitere Viertelstunde später sind wir auf der Brücke und haben einen tollen Blick auf die drei großen Ws: Wald, Wasser und Wolken.
Vorgeschmack auf das Bodetal
Wir folgen ein Stück weit dem Naturlehrpfad entlang der Bode, die uns zwischen den Bäumen schelmisch entgegenblitzt.
Stellenweise bekommen wir schon mal den ersten Vorgeschmack auf das Bodetal, das wir in zwei Tagen durchqueren werden und das mit Sicherheit eins der Highlights auf der gesamten Tour wird.
Aber auch jetzt türmen sich schon einzelne, beeindruckende Granitwände neben uns auf.
Das Schaulaufen der seltenen Schmetterlinge geht in die nächste Runde. Es sind die Kollegen, die ich bereits gestern ablichten wollte, die sich da aber noch zierten. Heute sind sie zu zweit und mutig genug, auf ihrer lila Blüte so lange sitzen zu bleiben, bis Julie dieses tolle Bild von ihnen gemacht hat. Wenn ich richtig recherchiert habe, handelt es sich um den Kaisermantel.
Nach so viel Naturerlebnis ist mir mal wieder nach einem Päuschen. Ich erzähle Julie im Brustton der Überzeugung, dass hinter der nächsten Kurve eine Bank kommen wird. Weit gefehlt. Weder Kurve noch Bank tauchen auf. Dafür finden wir aber irgendwann einen Tisch, auf dem wir uns umständehalber niederlassen und unser verbliebenes Proviant aus Drei Annen Hohne verköstigen.
In der Kürze keine Würze
Wir nähern uns Susenburg. Ich muss die ganze Zeit an meine gleichnamige Freundin aus Mecklenburg denken und habe etwas Malerisches vor Augen. Ich werde enttäuscht. Es handelt sich um eine aufgegebene Bergbausiedlung, die uns von der anderen Seite der Bode entgegenblickt und von Tagebau abgerundet wird. Schön ist anders.
Meine Freundin und ich halten uns für besonders schlau, als wir mit einem Blick auf die Karte entscheiden, einfach weiter entlang der Bode zu traben, statt auf dem Hexenstieg nach rechts in den Wald abzubiegen und zum Aussichtspunkt Hoher Kleef zu kraxeln. Aussicht ist bekanntermaßen mit Aufstieg verbunden. Das schenken wir uns. Anschließend müssen wir vermutlich eh wieder runter. Die Hexe schaut gebannt zu, die Hand erstarrt in der Popcorn-Tüte. Das hätte sie sich wirklich nicht besser ausdenken können.
Uns erwartet nicht bloß ein Weg in der prallen Sonne entlang der Straße. Zudem steuern wir auf eine riesiges, unattraktives Fabrikgelände zu. Hier wird Kalk verarbeitet, lesen wir. Es ist wahrlich alles andere als pittoresk. Daran ändern auch die vielen Gleise der Rübelandbahn nichts. Wer hatte noch gleich die bombige Idee, hier entlang ein wenig abzukürzen? Unsere Bequemlichkeit wird bestraft und unsere Stimmung kippt kurzzeitig.
Ein Hoch auf Rübeland
Endlich erreichen wir Rübeland. Die weltberühmten Tropfsteinhöhlen befinden sich auf der anderen Seite des Flusses, wo auch der Ortskern ist. Unsere Lust auf irgendwelche zusätzlichen Umwege tendiert gegen Null. Wir bleiben, wo wir sind und versuchen nachzuvollziehen, wie wir zur Harzbaude Susanne kommen. Der Hexenstieg führt eigentlich daran vorbei, nur dummerweise sind wir gerade nicht auf dem Hexenstieg.
Vorbei an zwei Bewohnern des Ortes, die uns verwundert anschauen, als wir einen schönen Tag wünschen, lassen wir uns von Google leiten. Wir erinnern uns: wir haben den offiziellen Weg verlassen, um uns einen Aufstieg zu sparen. Und was erwartet uns jetzt? Richtig, ein Aufstieg. Wir müssen in Richtung des Friedhofes aufwärts und zwar ordentlich. Die Sonne ballert und mir geht zunehmend die Lust aus.
Als wir oben sind, sehen wir auch endlich wieder die vertrauten Symbole. Hier wiedersprechen sich nun Google und die Hexenmarkierung. Wir entscheiden uns zugunsten von Google und kommen kurz darauf ins Ziel. Wie sich später herausstellt, wäre der Hexenstieg auf der Rückseite des Gebäudes angekommen.
Böhse Onkelz und nette Tanten
Vor uns erstreckt sich ein ziemlich verwirrendes Gebäudearrangement: ein verschlossener ehemaliger Gasthof, verschiedene Trakte im Stil einer Kaserne, ein bestuhlter, aber verschlossener Raum. Wo müssen wir hin? Wir sind müde. Es ist inzwischen halb vier.
Ich höre Stimmen. Also nicht im Kopf sondern in einiger Entfernung und folge ihnen. Vor einem der Gebäude sitzt eine lärmende Gruppe unter Sonnenschirmen. Im Hintergrund läuft Schlager. Niemand reagiert, als ich sie vorsichtig anspreche. Man redet offensichtlich nicht mit Menschen, die man nicht kennt. Ich versuche es noch einmal. Wo der Eingang sei, wenn ich hier ein Zimmer habe. Schulterzucken. Ich könne ja mal klingeln, wird mir endlich mit viel Lokalkolorit in der Stimme nahegelegt. Hilfsbereitschaft geht echt anders.
Im Hintergrund singen nun die Böhsen Onkelz. Mein Blick fällt auf die jüngeren Herren in der Runde, deren Haare für mein Dafürhalten gern ein paar Millimeter länger sein dürften. Ich versuche, mich von den typischen Klischees frei zu machen und sie nicht gleich politisch einzusortieren, aber es gelingt mir nicht. Das Klingeln an der Tür des Gebäudes führt zu gar nichts.
Endlich erbarmt sich eine der Damen der Feier und geht mit mir in den angeschlossenen Partyraum, wo sie nach der Bedienung ruft. Diese kann mir zwar nicht wirklich weiterhelfen, ruft aber zumindest netterweise ihre Chefin an. Dann schickt sie mich zurück zu einem der Gebäude in der Mitte des Komplexes.
Ostalgische Einöde
Die Inhaberin der Harzbaude, die im Übrigen nicht Susanne heißt, nimmt uns kurz darauf in Empfang. Sie gibt sich wirklich Mühe, nett zu sein und fragt, ob wir etwas trinken möchten, als sie uns in den großen Speisesaal mit Bar führt, in dem sie die Registrierung mit uns macht. Ich bestelle mir eine große Limonade und setze mich damit an die Theke. Mit uns ist gerade noch eine weitere Wanderin angekommen, die als erste abgefrühstückt wird.
Mein Blick schweift durch den Raum. Es ist ein riesiger Saal, mit einer Trennwand, hinter der ein zweiter Saal wartet. Der Rübeländer feiert offensichtlich gern im großen Stil. Hier ist die Zeit stehen geblieben. Es wirkt alles ziemlich muffig. Die Einrichtung mit den dunkelblau gepolsterten Holzstühlen mit traurigen Mustern an langen Tischreihen mit Tischdecken. Es hat absolut kein Flair und ist zudem ziemlich dunkel.
Andrea fragt, ob wir heute Abend hier essen wollen und ob wir irgendwelche Spezialwünsche hätten. Ob wir zum Beispiel Vegetarier seien. Die Augen meiner Freundin leuchten überrascht auf. Ich bin ebenfalls angenehm überrascht. Ich hätte eher erwartet, dass in einer Gegend wie Rübeland eine gute Mahlzeit aus einer ordentlichen Portion Fleisch besteht. So kenne ich es zumindest ovn den ländlicheren Gebieten Deutschlands. Ein Salat würde ihr reichen, sagt Julie, aber unsere Gastgeberin will es dabei nicht belassen und verspricht einen schönen Auflauf mit Gemüse. Ich schließe mich an, Gemüseauflauf klingt super.
Leben auf der Schattenseite
Als wir wenig später in unser Zimmer kommen, fehlt auch hier heimeliges Flair. Erneut komisch gemusterte Stühle, geblümte Bettwäsche, die sich gut in jedem Jugendzimmer der Neunziger gemacht hätte, ein Mini-Fernseher auf einem Tischchen, Lamellen vor dem Fenster und Teppich auf dem Boden. Für unsere Bedürfnisse ist das absolut zweckmäßig, wir wollen nicht meckern. Außerdem ist es penibel sauber. An einem Regentag möchte ich hier aber wahrlich nicht festsitzen.
Julie geht nach dem Duschen mit Buch und Handtuch nach draußen. Sie will noch ein bisschen in der Sonne liegen. Ich folge, nachdem meine Klamotten und ich sauber sind. Zwischen den Kasernentrakten ist ausreichend Rasen. Leider verliert die Sonne angesichts der fortgeschrittenen Uhrzeit schnell an Kraft und verschwindet dann ganz hinter den Wolken.
Ich bleibe trotzdem draußen auf dem Handtuch liegen. Es gibt ja sonst nichts zu tun. In den Ort wollen wir nicht mehr. Julie hat in ihrem Leben genug Tropfsteinhöhlen gesehen, ich bin da zwar weniger erfahren, aber meine Lust, noch mal vom Berg runter in den Ort zu gehen, tendiert ebenfgen Null. Außerdem gibt es um sieben Essen und wie an jedem Tag sind wir ausgehungert.
Die acht Kostbarkeiten von Rübeland
Um viertel vor sieben machen wir uns auf den Weg zurück zum Speisesaal. Er ist noch verschlossen. Obwohl wir hier eigentlich komplett ab vom Schuss sind, ist die Geräuschkulisse beachtlich. An der Harzbaude führt die L-96 in einer engen Kurve vorbei. Das Bremsen und Gasgeben der Auto- und Motorradfahrer begleitet uns.
Wir treffen auf die andere Wanderin und tauschen uns kurz aus. Sie ist ziemlich bedient. Das sei ein grauenhafter Ort hier. Sie sei froh, wenn sie morgen weg könne. Sie habe einen Freund, der in der Gegend wohne, und er habe ihr einen Tipp gegeben, wie sie das eher öde Anfangsstück des Hexenstiegs umgehen könne. Der offizielle Weg führe bis Neuwerk stumpf an der Bode entlang. Man könne aber auch über den Stahlberg dorthin und sei dann die ganze Zeit in der Natur. Wir horchen auf. Das klingt tatsächlich deutlich ansprechender. Im schlimmsten Fall ist das offizielle Stück nämlich vergleichbar mit dem, was wir heute rund um Susenburg erlebt haben.
Endlich wird der Saal für uns geöffnet. Ich hatte eigentlich mit der Festgesellschaft gerechnet, die ich bei der Ankunft getroffen hatte, doch die scheinen unter sich zu bleiben. Wir sind vorerst zu fünft und verteilen uns über den riesigen Saal. Es ist eine reine Frauenrunde, denn die anderen Gäste sind eine Mutter mit ihrer vielleicht zehnjährigen Tochter.
Wir werden von einem sehr netten jungen Mann bedient. Er lernt gerade Deutsch, erklärt er uns, als er nicht versteht, was wir trinken möchten. Alster und Radler sind neu für ihn. Wir unterhalten uns, und er erzählt, dass er aus Syrien stamme. Gleich ein Gebäude weiter seien viele Geflüchtete untergebracht worden, und er freue sich, dass er in der Harzbaude aushelfen dürfe und etwas Geld verdienen könne. Ich finde es ganz großartig von den Inhabern, dass sie ihm dies ermöglichen.
Dann kommt unser Essen. Andrea bringt es persönlich vorbei. Es gibt für jeden eine Schälchen mit Salat und dann eine riesige Auflaufform. Ob das ernsthaft alles für uns sei, wollen wir wissen. Natürlich, Wanderer seien schließlich hungrig. Dann stellt sie ihre Kochkunst auf den Tisch. Vor uns liegen die acht Kostbarkeiten von Rübeland: Kartoffeln mit Dosenerbsen, Dosenmöhren, Dosenspargel, Blumenkohl, Ei und Käse. Das ganze kreativ abgeschmeckt mit einer großen Portion Maggi Fondor.
Ich schaue meine Freundin an und fange herzhaft an zu lachen. Die Enttäuschung steht ihr wirklich quer über das Gesicht geschrieben. Mit einem Blick auf unser Abendessen resümiert sie, dass der Kartoffelauflauf es wirklich schaffe, fast alles zu vereinen, wovor sie eine erklärte Abneigung habe: Erbsen- und Möhren und Dosenspargel. Auch ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ich habe selten eine so fantasielose Zusammenstellung gesehen. Die Situation ist so absurd. Da sitzen wir ausgehungert vor unserem enttäuschenden Essen und müssen doch beide heftig lachen. Hunger ist bekanntlich der beste Koch und so schieben wir uns unser Festessen rein. Satt sind wir im Anschluss. Dass dieses Essen im Nachhinein übrigens genauso teuer war, wie die Fleischgerichte um uns herum, finden wir semi-witzig.
Um halb neun verlassen wir den Speisesaal und ziehen uns in unser Zimmer zurück, wo ich versuche, im Schneegestöber des Bildschirms den Fußball zu erkennen, während Julie einmal mehr vergeblich versucht, das WLAN zu finden. Der Empfang ist wahrlich ausbaufähig. Irgendwann geben wir beide auf und quatschen lieber noch eine Runde und lassen den Tag Revue passieren. Wie immer fallen uns die Augen schnell zu. Wandern macht müde. Morgen erwartet uns die gigantische Rosstalsperre und auch die Bode wird uns erhalten bleiben. Das Wetter wird übrigens wieder top. Wir sind schon zwei Glückspilze.
Kommentare und Ergänzungen
Bist du selbst schon auf dem Hexenstieg unterwegs gewesen? Wie hat es dir gefallen? War zu deiner Zeit vielleicht etwas mehr Wasser in der Überleitungssperre? Hast du auch so viele Schmetterlinge gesehen? Und wo bist du untergekommen?
Ich freue mich wie immer, wenn du deine Erlebnisse teilst oder einen Kommentar zu meinem Beitrag abgibst.
Zeitreise
Vorwärts: Du bist neugierig, wie unser Abenteuer weitergeht? Dann geh mit mir von Rübeland nach Treseburg und lerne mehr über kalten Kaffee aus der Leitung, überraschende Aufstiegschancen und ein Leben auf dem Abstellgleis. Und auch im Bereich Verlaufen haben wir wieder etwas im Angebot – diesmal hat der Teufel seine Finger im Spiel.
Rückwärts: Bist du zufällig hier gelandet und hast unseren gestrigen Ritt über den Blocksberg verpasst? Dann komm noch mal mit von Torfhaus nach Drei Annen Hohne und durchquere das Reich des Borkenkäferkönigs, finde Teufelskanzeln und Spione und ende mit uns im Erbsensuppenzimmer bei den drei Annen.
Willst du zurück auf Los und den Hexenstieg von Beginn an mit mir laufen? Dann geht es hier zu Etappe Eins
Sehr fein.
Obwohl ich ja zumindest den West-Harz als Bergregion meiner alten Heimat einigermaßen kenne, bekomme ich jetzt bei Harz 4 doch zunehmen Lust, dort mal im Grünen Band des Harzes von West nach Ost zu wandern…
Danke, dass du uns immer wieder mitnimmst, Audrey.
🙂
Kann ich empfehlen – bis auf den vegetarischen Auflauf.
Das Bodetal ist der Oberhammer.
Liebe Audrey
Ich staune bei deiner Schilderung über die phantasievollen Namen der Gegend – irgendwie ein Real-Märchenweg. Manchmal konnte ich beim Lesen auch Düfte riechen – das ist doch eher selten.
Und dann die Abkürzungen, Varianten oder wie immer die verlockenden Wege heissen – meist ist der einfache Weg am Schluss der kürzeste und angenehmste – aber Abkürzungen reizen immer, das kenne ich gut.
Übrigens – heute vor einer Woche noch in Hamburg am ’scheenen‘ Konzert…..
Eine schöne neue Woche wünsche ich dir
Josef
Lieber Joseph,
ich musste tatsächlich ebenfalls gestern an unseren „scheenen“ Sonntag denken, zumal es immer wieder geregnet hat. Kaum vorstellbar, dass es die Woche zuvor noch so klasse Wetter gab.
Deine Beobachtungen passen zu meinen – ich finde auch, dass der halbe Harz nach einem Märchengebiet klingt. Und das an den meisten Stellen völlig Zurecht – wenn man nicht gerade selbstgewählte, unnötige Abstecher macht LG und einen super Woche, Audrey
Liebe Audrey,
da habe ich ja bezüglich der Unterkunft alles richtig gemacht, da ich bis Königshütte gelaufen bin. Die Höhle habe ich mir damals angesehen und auch einen Abstecher über die Hängebrücke gemacht. 2017 war deutlich mehr Wasser in den Bächen und ich bin mal gespannt, wie im letzten Jahr bei euch die Bode im engen Tal getost hat, oder eben auch nicht.
Grüße
Andreas
Oh je, ja ja, wer reist … die Unterkunft hört sich ja echt spukig an. Gut, dass ihr zu zweit wart!
Liebe Audrey,
laut deinen Schilderungen hätte ich mir den Speisesaal der Harzbaude schlimmer vorgestellt, als er dann am Foto tatsächlich aussah. Hätte es eigentlich in Rübeland unten eine leistbare Alternative gegeben? Wo liegt im Harz derzeit eigentlich das durchschnittliche Preisniveau?
Bin jedenfalls schon gespannt auf die Granitwände im Bodetal.
Liebe Grüße und danke für die Mühe, uns den Hexenstieg zu präsentieren
Bernhard
Hallo Bernhard,
Keine Sorge, das ist keine Mühe, sondern macht mir in erster Linie großen Spaß.
Die Preise der Unterkünfte schwankten zwischen 50 und 90 Euro mit Frühstück. Da wir zu zweit waren konnten wir Gott sei Dank halbieren. Aber im Vergleich zu Caminos on Spanien ist das ein recht teurer Spaß.
Liebe Grüße
Audrey