Für Tag 6 & 7 auf dem Stormarnweg begebe ich mich zur absoluten Sendepause ins Kloster, schwäche meine Stärke, treffe Schnatter und Liese, bewege mich wie Mr. Bean, vergleiche mein Leben, verstehe Goethe, finde die große Schwester vom Wandern und in Max Herre meinen Bruder im Geiste und natürlich auch den ein oder anderen schönen Wanderweg (7.-8. Juli 2020)
Die Erwartungshaltung an diesen Beitrag ist groß, das weiß ich wohl. Wie ist es, mehrere Tage nicht zu kommunizieren, welche Gedanken und Geistesblitze ereilen einen, welche Wunder geschehen?
Das Wichtigste vorweg: ja, es ist mir völlig überraschend gelungen, zwei Tage schweigend zu verbringen und das war nicht annähernd so schwer wie ich dachte.
Wer auf Spektakuläres hofft, hofft vergebens. Bis zu dem Moment, wo ich diesen Artikel schreibe, war ich ehrlicherweise der Meinung, keinerlei wirkliche Erkenntnisse zu haben.
Kloster Nütschau – Katholisches Bollwerk im Norden
Das Kloster St. Ansgar in Nütschau ist ein wahrlich traumhaft gelegenes Örtchen, das ich jedem Hamburger als kleinen Auszeitort ans Herz legen kann. Die Anlage ist weitläufig und schließt fast unmittelbar an das wunderschöne Brenner Moor an, durch das man weite Spaziergänge unternehmen kann, etwa ins gut fünf Kilometer entfernte Bad Oldesloe. Und auch die Trave fließt gleich um die Ecke.
Es ist nicht nur das nördlichste Benediktinerkloster Deutschlands, sondern ein sehr junges Kloster noch dazu, das erst 1951 gegründet wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg mit den Geflüchteten aus dem Osten die Zahl der Katholiken in Schleswig-Holstein stark an. Um diesen Menschen eine seelsorgerische wie kirchliche Stütze zu bieten, entsandte der Bischof von Osnabrück Benediktinermönche aus Westfalen in den Norden und erwarb das Gutshaus zu Nütschau.
Benannt ist es nach dem heiligen Ansgar, dem Apostel des Nordens, einem aus Frankreich stammenden Benediktinermönch, der als späterer (und erster) Bischof Hamburgs 845 mitansehen musste, wie die Stadt von den Wikingern beim großen Brand zerstört wurde und nur knapp entkam.
Die heutige Anlage wurde seit den Fünfzigern ständig erweitert und modernisiert. Hier leben knapp 20 Mönche, die ihr Haus nicht nur für Studium und Gebet nutzen, sondern viel Jugend- und Männerarbeit machen und ein breit gefächertes Seminarangebot vorzuweisen haben, bei dem von Ikonenmalkursen, über Achtsamkeitsseminare, bis hin zu Zen-Meditationskursen alles dabei ist.
Es verwundert nicht, dass sich die Mönche zur Mission gemacht haben, dass ihre Gäste spüren sollen, „dass Gott den Menschen Hoffnung und Zukunft gibt.“ Man fühlt sich gleich sehr willkommen. Erst vor wenigen Tagen hat das Hamburger Abendblatt einen Beitrag über meditative Ferien an diesem herrlichen Ort geschrieben.
Schweigen im richtigen Moment
Wie beginnt man denn nun seine Schweigezeit, frage ich mich um 17:10 Uhr. Also schon klar, man beschließt in einem bestimmten Moment, dass es das jetzt war mit dem Gerede und verfällt in Stille. Aber wann ist der richtige Moment? Ich stehe nun vor dem Gästehaus, in dem ich meinen Schlüssel in Empfang nehmen will, doch die Rezeption ist bereits geschlossen.
Während ich noch etwas ratlos vor der Tür stehe, nähern sich zwei Gestalten. Ein Mann mit Koffer und eine Frau mit bepacktem Fahrrad. Ich habe gelesen, dass am Kloster Nütschau nicht bloß der Jakobsweg vorbeiführt, sondern auch ein Rad-Pilgerweg, der Mönchsweg. Jana ist jedoch, wie sich herausstellt, keine Pilgerin, sondern einfach aus Spaß von ihrem gut 30 Kilometer entfernten Zuhause her geradelt. Sie sei zum wiederholten Male hier, erzählt die junge Mutter von drei Kindern, weil sie hier so gut zu sich komme. Karl kommt aus dem Hamburger Norden und will sich in Ruhe auf einen wichtigen Termin vorbereiten. Auch für ihn ist der Aufenthalt keine Premiere.
Wir holen unsere Schlüssel aus der Küche des Klosters, wo jeder von uns ein Zimmer im Stillen Bereich beziehen wird. Ich werde jedoch die einzige sein, die hier schweigen wird. „Dann sehen wir uns ja nachher beim Abendessen,“ verabschieden sich die beiden, als wir unsere Ruhezone betreten, in der es 18 Zimmer gibt. Karl senkt die Stimme und wispert noch, dass jedes Zimmer seinen eigenen Heiligen habe. Das mit der Ruhe wird hier offensichtlich wirklich ernst genommen.
Bonifatius‘ gute Stube
Als ich mein Zuhause für die nächsten zweieinhalb Tage betrete, bin ich wirklich überrascht, wie viel Platz ich habe und wie gemütlich es aussieht. Falls sich jemand Sorgen gemacht hat, dass ich mein Dasein in einer kargen Zelle fristen müsse, kann ich diese Bedenken zerschlagen. Zwei Einzelbetten mit gemütlichen, weinroten Decken, eine lange Ablage, die auch als Schreibtisch genutzt werden kann, ein Kniebänkchen, für die richtig Krassen und ein geräumiges Badezimmer mit Dusche. Eine Tür samt Fliegengitter geht auf eine Rasenfläche hinaus, vor der zwei Stühle stehen. Ich bin wirklich begeistert.
Mein Zimmerpatron ist der heilige Bonifatius. Auch wenn sein Name mir geläufig ist, weiß ich mit dem Herrn vorerst wenig anzufangen. Das Internet im Zimmer bietet stabiles E mit einem Balken, sodass ich meine Recherche nach draußen verlegen muss. Das kommt mir übrigens absolut zupass, denn wenn ich schon schweige, heißt das für mich auch, die digital Kommunikation zu pausieren, die Benachrichtigungsfunktionen auszuschalten und die meiste Zeit komplett in den Flugmodus zu switchen.
So sehr ich mir gewünscht hätte, dass mein Zimmerheiliger irgendeinen tieferen Sinn auf irgendeiner Metaebene für mich bereithalten würde, muss ich passen. Bonifatius gilt als der Kirchengründer und zudem als der Heilige für Grammatik. Schon spannend, wofür man alles Heilige haben kann, das erinnert ja schon fast an antike Götterwelten. Nun gut. Bonifatius kann Grammatik und ich schreibe gern. So viel zu unseren Gemeinsamkeiten. Eigentlich ein bisschen wenig, um sich ein Zimmer zu teilen. Aber da Bonifatius schon vor mir da war, bin ich froh, dass er mich überhaupt reinlässt.
Schnapp dir einen Mönch
Längst habe ich entschieden, dass ich das Abendessen mit Jana und Karl noch redend mitnehmen möchte. Wer weiß, vielleicht hat einer von beiden ja noch eine Botschaft, mit der ich mich in den nächsten Tagen beschäftigen kann. So ein richtiges Nachdenk-Thema für mein Schweigen hat sich nämlich bisher nicht ergeben.
Um 19 Uhr stehen wir Corona-konform mit ordentlichem Abstand in der Schlange. Das Essen ist großartig. Neben klassischem Abendbrot mit Aufschnitt und Salaten gibt es auch noch ein warmes Gericht. Abstände werden weitestgehend eingehalten, alle tragen brav ihre Maske, an den langen Tischen stehen immer nur zwei Stühle, sodass meine beiden Mitstreiter und ich uns über zwei Tische verteilen.
Jana erzählt, wie viel sie bei ihren letzten Besuchen hier aus den Gesprächen mit den Mönchen gezogen habe. Ich solle mir auf jeden Fall einen Mönch zum Reden schnappen. Mich erheitert die Vorstellung. Wie um Himmels Willen schnappt man sich denn einen Mönch? Momentan steht das für mich nicht zur Diskussion, schließlich will ich schweigen.
Eine letzte Positionierung
Karl bringt das Thema auf Glaubensfragen und Gottesbilder und erkundigt sich, wie das bei uns sei. Ich erzähle, dass es für mich hauptsächlich zwei Orte gäbe, an denen ich mich verbunden fühle und eine besondere Energie wahrnähme: in der Natur und an sehr alten Kultstätten. Begeistert berichte ich von meinem Erlebnis im Zauberwald gestern, von der Wanderung auf dem Stormarnweg, dem Zauber der Jakobswege, der Begegnungen und überhaupt.
Erst am nächsten Tag, als ich in meinem Zimmer sitze und meine nunmehr schweigenden Erfahrungen ins Tagebuch schreibe, frage ich mich, wieso es mir so unfassbar wichtig war, bei diesem Abendessen noch zu sprechen. Das Ergebnis fällt recht ernüchternd aus. Ich wollte mich unbedingt noch mal in meinem vollen Glanz zeigen, unterhaltsame Geschichten erzählen, schlagfertig und witzig sein, den ein oder anderen tieferen Gedanken äußern, Leute in meinen Bann ziehen, kurz: ich wollte ein Bild von mir schaffen, bevor ich für immer (oder zumindest vorerst) schweige.
Erkenntnis Nummer Eins
Mir ist die Meinung, die andere Menschen von mir haben, offensichtlich verdammt wichtig. Jana und Karl sind zwei wirklich nette Zeitgenossen, die ich aber vermutlich nie wiedersehen werde. Es könnte mir völlig egal sein, was sie von mir halten oder was sie über mich denken. Doch mir ist es ein Anliegen, diesen beiden die Audrey-Show zu zeigen, die ohne Sprache auf ein recht kleines Häufchen schrumpfen würde. Statt mich also sofort meiner Schweige-Challenge zu widmen, die nur mit mir und meinem Innen zu tun hat, bleibe ich noch einen Moment im Außen und inszeniere mich, bevor ich die Bühne verlasse. Eine durchaus interessante Beobachtung, wenn auch keine besonders schmeichelhafte.
Der Startschuss ist Komplet
Um zehn vor neun mache ich mich auf den Weg in die kleine, recht schmucklose Klosterkirche. Sie ist ein eindeutiger Bau der Siebziger, in dem sich die Reihen wegen des großen, einzuhaltenden Abstandes schnell füllen. Ich sitze in der gleichen Reihe wie Jana und habe ein feierliches Gefühl. Irgendwie passt es, dass ich mich mit dem Abendgebet, das sich vom Tag verabschiedet, vom Reden verabschiede.
Als die Mönche in ihren schwarzen Kutten die ihnen vorbehaltenen Plätze einnehmen, in dem sie schwungvoll die Kutten zurückschlagen, registriere ich interessiert ihre Vielfalt. Es handelt sich keineswegs um einen in die Jahre gekommenen Altherrenverein. Prior Johannes ist Ende Vierzig, es gibt noch zwei deutlich jüngere Männer und natürlich auch ältere Semester. Sie alle eint ihre freundliche, ernste Ausstrahlung. Mein persönlicher Favorit ist allerdings bereits 82 und sieht aus wie Herbert Feuerstein. Er hat sich die Kapuze über den Kopf gezogen und sitzt zurückgelehnt in seinem Stuhl und träumt.
Die Komplet ist kurz, im Anschluss singen die Mönche noch im Vorraum, auch das eine Corona-Begleiterscheinungen. Singen ist gefährlich geworden. Allen Anwesenden wird in der Kirche der Segen durch den Prior erteilt, dann ist die Komplet vorbei. Es ist viertel nach neun, und ich verabschiede mich nickend von Jana.
Kleine Ausrutscher bei der Fragestunde
Auf dem Weg zurück in den Stillen Bereich, der gleich an die Kapelle anschließt, grüßt mich der Prior im Vorbeigehen, und ehe ich mich versehe, grüße ich zurück. Na toll, das geht ja gut los mit dem Schweigen. Ich verbuche den kleinen Ausrutscher als gebetsähnliche Aktion und mache einen kurzen Abstecher in die Kücheninsel, in deren Kühlschrank Getränke warten, die nach dem Vertrauensprinzip bezahlt werden.
Mit meiner Bionade setze ich mich an den Schreibtisch und schreibe lauter Fragen in mein Tagebuch. Was mache ich hier? Verzichte ich, wie mein Freund vermutete, auf meine stärkste Waffe, die Sprache, um mir selbst so noch näher zu kommen? Ist es das? Will ich mich selbst schwächen? Schauen, wie ich rüberkomme, wenn ich nicht ausdauernd meinen blitzschnellen Verstand vorführen kann? Werde ich ruhiger werden? Wird etwas von selbst passieren? Oder warte ich so sehr auf etwas, dass dann gar nicht passieren wird, wie damals, als Rob und ich auf dem Camino auf unseren Gottesmoment warteten, der nicht kam?
Sollte ich mir, wie von Jana empfohlen, einen Mönch schnappen? Und wie schnappt man sich einen Mönch? Oder eine Yoga-Matte, wenn man nicht spricht? Da die Rezeption nicht mehr offen war, konnte ich das heute nicht klären. Morgen geht es auch nicht, denn da fehlen mir die Worte.
Ich nehme einen kräftigen Schluck aus meiner Bionaden-Pulle und sage: „Oh, lecker.“ Da! Schon wieder gesprochen. Herrje, wie viele unkontrollierte Hallos werden mir noch rausrutschen? Wie lange werde ich noch laut Dinge kommentieren? Und ist mein momentanes Schreiben nicht auch Reden light? Mein Handy habe ich bereits erfolgreich in den Schlafmodus geschickt. Ich werde ihm jetzt einfach folgen und dann schauen wir mal, was morgen so bringt.
Tag 1 – Frühstück mit Schnatter und Liese
Ich habe geschlafen wie ein Stein. Die Ruhe hier ist wirklich unglaublich, in meinem Zimmer höre ich rein gar nichts, außer dem Zwitschern der Vögel draußen und das ist wirklich herrlich. Draußen wartet ein richtig schöner Tag. Blauer Himmel und strahlende Sonne leiten in die erste, große Schweigesession ein. Still stehe ich in der Schlange und träume vor mich hin, belade dann meinen Teller mit lauter Köstlichkeiten, nicke Jana im Vorbeigehen zu und steuere auf einen Tisch zu, der senkrecht im Raum steht und den Blick nach draußen bietet. Er scheint wie gemacht für eine Person, die mit niemandem spricht.
Schnell stelle ich fest, dass das Schlimmste am Schweigen das Gerede der Anderen ist. In meinem konkreten Fall sind das lediglich zwei Personen, die sich aber derart lautstark austauschen, dass der ganze kleine Saal etwas davon hat. Die beiden Damen Ende Sechzig verbringen ihre Zeit hier gemeinsam. Die Grauhaarige war schon einmal da, für die Dunkelhaarige ist es Premiere, und sie möchte wirklich jeden Eindruck und jeden noch so abwegigen Gedanken mitteilen.
Das Kissen sei ja unglaublich dick, das habe sie schon gestört heute Nacht. Aber sie hätte doch gut geschlafen, wirft die Grauhaarige ein. Ja, das stimme wohl, sie habe sogar von ihrem Medikament nur einen statt der üblichen drei Tropfen genommen, aber dennoch, das Kissen sei schon wirklich sehr dick. Wieso das Kissen wohl so dick sei? Und wer so dicke Kissen möge?
Ich seufze still in mich hinein, während das Thema gewechselt wird. Also dieses Müsli, das sei wirklich köstlich. Ob da wohl Zucker drin sei? Sie müsse ja schon darauf achten, dass das nicht zu viel Zucker habe. Andererseits könne man ja auch nicht lebendig im Sarg liegen. Mein Seufzen wird etwas lauter. Die Tante bekommt überhaupt nicht mit, dass sie wirklich die EINZIGE Person im gesamten Raum ist, die in einem fort plappert.
Das seien ja auch bestimmte Schwingungen hier. Ein Ort der positiven Energie. In mir schwingt langsam aber sicher das Bedürfnis, sie zu bitten, mal fünf Minuten den Rand zu halten. Ach, welch unglaubliche Ruhe dies Umgebung ausstrahle, kommentiert die Dunkelhaarige derweil ungestört weiter, und ich denke: „Ja, kein Wunder, außer dir halten hier ja auch alle den Mund.“ Aber das Kissen, das Kissen sei wirklich dick.
Achtung, Kamera läuft
Ich muss an Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ denken, in dem er von dieser unangenehmen, deutschen Dame verfolgt wird, die er aufgrund ihres unendlichen Gesabbels Schnabbel nennt. Ich greife die Idee auf und taufe das dunkelhaarige Exemplar Schnatter und ihre Freundin Liese.
So sehr mir Schnatter auf die Nerven geht, so sehr bereitet es mir eine diebische Freude, ihre wirren Dialoge in meinem Tagebuch festzuhalten und sie innerlich zu kommentieren. Ob die Anwesenden sich wohl fragen, was ich da in mein Buch schreibe? Ob sie ahnen, dass ich schweige? Was würden sie wohl davon halten? Die junge Frau notiert so viel in ihr Heft. Vielleicht schweigt sie? Oder sie ist Schriftstellerin? Herrje, was mache ich hier eigentlich? Wieso denke ich allen Ernstes, dass es irgendjemanden interessieren könnte, was ich in mein kleines Buch schreibe? Oder ob ich schweige, stumm bin oder einfach nur ein Morgenmuffel?
Mir fällt auf, dass ich das eigentlich dauernd tue. Es ist manchmal geradezu eine Obsession, mich zu fragen, was andere Leute in mich hineininterpretieren. Ich könnte ganze Theaterstücke mit den potenziellen Gedanken anderer Leute füllen. Und wieso um alles in der Welt störe ich mich so an Schnatter und Liese? Ich könnte sie einfach ganz entspannt ausblenden und mich auf den blauen Himmel vor mir konzentrieren, auf das Brötchen oder einfach mal nichts machen. Stattdessen verschwende ich meine Energie darauf, Stellung zu beziehen, eine Meinung zu haben, es irgendwie zu beurteilen, im schlimmsten Fall sogar zu verurteilen.
Ich muss an die Meditation aus meiner 21-Tage-der-Fülle-Challenge denken. Es war Tag Acht, der mich zum Schweigen hierher gebracht hat. Der zentrale Satz des Tages lautete damals „Today, I will judge nothing that occurs“ – heute werde ich nichts bewerten, das passiert. Es ging darum, wie viel Ruhe uns geschenkt wird, wenn wir die Dinge um uns herum einfach sein lassen. Interessant, dass ich ausgerechnet in der Stille nun in genau die Falle tapse. Ich nehme mir schwer vor, Schnatter lieb zu haben, auch wenn sie mich nervt und ansonsten bestmöglich zu ignorieren.
Erkenntnis Nummer Zwei
Nicht nur, dass ich offensichtlich regelmäßig darum kreise, mich zu fragen, was andere Leute gerade denken, nein, ich habe auch noch das nervige Bedürfnis, mich zu vergleichen und im Bestfall diesen Vergleich zu „gewinnen“, also besser zu sein oder eben stiller oder schlauer oder witziger oder was auch immer. Mein Leben, ein Komparativ, notiere ich. Wie weit bin ich weg von mir, wenn ich meine eigene Bestätigung in der Abgrenzung zu anderen suche?
Von Mahlzeit zu Mahlzeit
Weil die Sonne so schön scheint und ich nichts Besseres zu tun habe, drehe ich eine kleine Runde in der näheren Umgebung des Klosters, nachdem ich mit meiner Yoga-Session fertig bin und meditiert habe. Die lange Tour, die ich daheim geplant habe, mache ich nach dem Mittagessen.
Nun laufe ich vorerst über eine Wiese mit Wildblumen in Richtung Wald, an dessen Eingang ein abgestorbener Baum steht, der mich an einen Mönch oder einen Vertreter des Ku-Klux-Klans erinnert. Er steht da, als würde er den Eingang bewachen.
Im Waldstück, in dessen Mitte ich einen großen Teich finde, kommen mir zwei Leute entgegen. Hochkonzentriert schenke ich ihnen mein schönstes Lächeln und nicke ihnen freundlich zu, während sie mich grüßen. Wie gut, dass wir in Norddeutschland sind. Da fällt man mit Wortkargheit nicht weiter auf, stelle ich erleichtert fest.
Nach einer knappen halben Stunde bin ich zurück, pünktlich zum Mittagsgebet um viertel vor zwölf. Wenn ich schon das Morgengebet verschlafen habe, ist es wohl das mindeste, hier teilzunehmen. Jana nickt mir zu, die Mönche rauschen in ihren Kutten an mir vorbei und nehmen ihre angestammten Plätze ein und Herbert Feuerstein macht sein Nickerchen.
Das Gebet endet mit den Glockenschlägen um zwölf. Zeit für das Mittagessen, auch wenn wir gefühlt gerade eben erst gefrühstückt haben. Wie muss das sein, wenn man täglich diesem Rhythmus folgt? Beten, Essen, Schlafen, täglich aufs Neue, mit den gleichen Brüdern und immer anderen Zaungästen?
Mittagessen mit Mr. Bean
Ich setze mich mit meinem Essenstablett zu Jana und stelle fest, wie erleichternd es ist, im Beisein derer zu sein, die wissen, dass man schweigt. Sie fragt, wie es mir bisher ergangen ist, und ich hebe den Daumen und lächle. Ob es denn okay sei, wenn sie mit mir spreche. Ich nicke. Natürlich ist das okay. Zu gern würde ich sie fragen, ob es für sie okay ist, dass ich nicht spreche. Das stelle ich mir blöder vor. Aber leider kann ich nicht fragen.
Überhaupt ist bisher das Unangenehmste am Schweigen, dass man sich entweder total unhöflich fühlt oder in Mr. Bean-artige Pantomime-Moves verfällt. Bei den Spaziergängern hat es mich noch nicht so wirklich gestört, aber dass mich Bruder Elijah, der sich um den Stillen Bereich kümmert, nun schon zweimal gegrüßt hat, während ich immer nur huldvoll lächle, finde ich schon lästig.
Schlimmer noch die freundliche Nonne, die mir heute bereits zwei Mal die Türe aufgehalten hat und die beim zweiten Mal lange warten musste, bis ich endlich meine Maske aus dem Rucksack genestelt hatte. Nach meiner Gesichtskirmes, gepaart mit vielen, großen Gesten wird sie vermutlich ahnen, dass ich schweige, aber dennoch. Es nimmt dem Ganzen ein wenig Würde, wenn man sich wie in einem Slapstick vorkommt.
Stolz registriere ich aber immerhin, dass ich es bei dieser Mahlzeit schaffe, nur ein einziges Mal die Stirn über die Unterhaltung von Schnatter und Liese hinter mir zu runzeln. Während die beiden diskutieren, ob die Mönche hier wirklich zölibatär leben, summt mein Mantra mit wenig Überzeugung: ich hab euch lieb, ich hab euch lieb, today I will judge nothing that occurs, ommmm.
Paradiesisches Brenner Moor
Nach dem Mittagessen springe ich in meine Wandersachen. Ich kann ja nicht dauernd in meinem Zimmer hocken und meditieren. Zeit für die geplante Tour durch das Brenner Moor – übrigens eine der schönsten Strecken auf dem gesamten Weg.
Auf einem Feldweg geht es bei immer noch strahlendem Sonnenschein zum nördlichsten Bildstock Deutschlands, der von einer Ranke verziert eine Marienstatue beherbergt.
Bald wird der Weg, vorbei an unzähligen Himbeersträuchern, von denen ich nasche, schmaler und steuert auf eine Wiese mit lauter faul daliegenden schottischen Hochlandrindern zu, die mit deutlichem Desinteresse an mir vorbei schauen.
Nur fünf Minuten später stelle ich überrascht fest, dass ich bereits mitten im Moor bin. Zu beiden Seiten meines Weges entdecke ich Wasserflächen, aus denen Gräser und Schilf wachsen.
Besonders erfreut bin ich beim Anblick eines zierlichen Stängels mit intensiv rosafarbigen Blüten. Meine schlaue App iNaturalist, mit der ich inzwischen sämtliche Botanik-Fragen kläre, verrät, dass es sich um eine Schwanenblume handelt.
Nun habe ich die Wahl, ob ich die Trave über eine kleine Brücke in Richtung Altfresenburg quere oder lieber nach rechts über einen Bohlenweg gehe. Die Bretter sehen so einladend aus, dass ich abbiege. Wann hat man so einen Weg schon mal für sich allein? Im Bestfall komme ich auf dem Rückweg über die Brücke zurück.
Leider ist der Zugang zu den Salzfeldern gesperrt, sonst hätte ich vielleicht noch weitere Exoten gefunden. Ein Schild gibt Aufschluss, welch seltene Tier- und Pflanzenarten sich in Schleswig-Holsteins größtem Salzmoor zuhause fühlen. Über ein Blaukehlchen hätte ich mich schon gefreut.
Das letzte Stück laufe ich oberhalb der Trave (oder wie Komoot behauptet direkt durch das Wasser) und stehe nach einer Stunde in Bad Oldesloe vor dem alten Badehaus. Momentan stelle ich mir ein Bad in der Trave mit den vielen Algen nicht so verlockend vor, aber es muss Zeiten gegeben haben, wo sich das anders verhielt.
Drohendes Donnerwetter
Bad Oldesloe würdige ich heute keines Blickes. Mir ist gerade nicht nach Kleinstadt und Menschen, außerdem wird mich der Stormarnweg übermorgen noch einmal herführen. Stattdessen suche ich den Weg ans andere Traveufer. Gar nicht so einfach, denn der vorgesehene Weg über ein Sportgelände scheitert an einem verriegelten Zaun.
Zurück in der Natur spaziere ich entlang eines Kornfeldes und bewundere die Mohnblüten und einen Raubvogel bei der Mäusejagd.
So komme ich nach Altfresenburg, einer losen Sammlung von Häusern und Höfen, die eine große Gutsanlage einrahmen.
Auch hier weisen mich Schilder freundlich auf den Privatbesitz hin, aber heute lasse ich mich nicht aufhalten und gehe mutig weiter, um einen Blick auf das weiße Herrenhaus zu ergattern, das immerhin Drehort für Til Schweigers „Honig im Kopf“ war.
Kurz hoffe ich noch, das Gutshaus von außen umrunden zu können, um so wieder auf meinen ursprünglichen Weg zurückzukommen, doch der Karpfenteich versperrt mir den Weg. Außerdem fürchte ich ein Donnerwetter, sollte mich jemand sehen, wie ich quasi durch den Vorgarten stiefle. Ich male mir bereits aus, wie ich mit meinen neu erworbenen Pantomime-Künsten zu erklären versuche, wieso ich nicht sprechen kann, und was ich hier verloren habe. Also lieber nichts wie weg.
Donnerwetter ist eh mein Stichwort, denn über mir ziehen sich die Wolken heftig zusammen, wie sollte es anders sein? Schließlich ist das hier der Stormarnweg und den läuft man nun mal nicht ohne Segen von oben. Als ich nach einem kurzen Waldstück entlang der Trave an der kleinen Brücke ankomme, die ich vorhin ausgeschlagen habe, macht mir das Wetter unmissverständlich klar, dass ich nun lange genug trocken war.
Nass auf die faule Haut
Wie sich das für so ein Moor gehört, gibt es wenig Schutz. Als der Regen einsetzt, kauere ich mich an eine Hecke, die das Allerschlimmste abhält, aber nicht verhindern kann, dass ich nach einer Viertelstunde wirklich nass bin. Meine Regenjacke liegt wohlbehütet im Kloster.
Eine Frau mit Hund und Fahrrad hält extra neben mir an. Was das doch für ein fürchterliches Wetter wäre, und ob ich es noch weit hätte? Ich schüttle den Kopf, zucke mit den Schultern, lächle und fühle mich wie ein absoluter Vollidiot, noch dazu ein unhöflicher. Schweigen ist Gold? Ich weiß nicht.
Klatschnass wie ich bin, laufe ich los. Es gibt nichts mehr, auf das ich warten müsste, jetzt wo ich komplett durchweicht bin. Meine gute Laune begleitet mich. Der Spaziergang war traumhaft, und zum Kloster samt trockener Kleidung ist es nicht mehr weit.
Eigentlich wollte ich an der Eucharistiefeier teilnehmen, aber ich bin so erschöpft, dass ich mich stattdessen auf die faule Haut lege und tatsächlich selige anderthalb Stunden schlafe und ausgeruht pünktlich zum Abendessen wach werde. Meine Müdigkeit verwundert mich sehr. Ich habe genug geschlafen und heute auch nicht sonderlich viel gemacht. Ob es am fehlenden Dauerfeuer liegt, daran dass nicht immer irgendeine Benachrichtigung auf dem Handy leuchtet und Alarm macht?
Das Ende meines Essens-Traumas
Diesmal sitze ich beim Essen allein, noch dazu in sicherem Abstand zu Schnatter und Liese. Normalerweise hasse ich es, allein zu essen. Genuss steht ganz hinten, wenn ich ohne Begleitung in ein Restaurant gehen muss. Ich versuche dann, die Mahlzeit so schnell es geht zu verzehren und mache mich aus dem Staub. Mir ist immer so, als würden sich die anderen Gäste die Frage stellen, was mit einem schief gelaufen sei, dass man alleine essen müsse, wieso man keine Freunde habe etc. Wenn ich dann auch noch in Wanderklamotten dort bin, ist es umso unangenehmer.
Heute fällt es mir wahnsinnig leicht, mein Essen zu genießen. Das Schweigen heilt das Alleinesstrauma. Wenn man sich nicht mitteilt, findet man für die anderen nicht statt. Man wechselt unbemerkt in die Rolle des Beobachters und nimmt gar nicht so viel weniger wahr, als würde man mit den Leuten sprechen. Es sind nur andere Dinge. Eigentlich eine sehr interessante Erfahrung und neu für mich, die ich in der Regel damit beschäftigt bin, selbst stattzufinden.
Als das Essen vorbei ist, beende ich meine heutige Wandertour, die noch einen Schlenker entlang der Trave vorgesehen hatte. Inzwischen ist der Regen vorbei, und zahllose Weinbergschnecken säumen den Weg. Tritt man etwas fester mit dem Fuß auf, ziehen sie sich ratz fatz in ihr Schneckenhaus zurück, die kleinen Schisser.
Auch der alten Mühle und der kleinen, fast ganzjährig geschlossenen Bäckerei statte ich einen Besuch ab.
Hier biege ich in den Waldweg ein, der mich entlang der Trave zu einer wunderbaren, in einen Holzstamm gehauenen Bank führt.
Des Wanderns große Schwester
Nach einer Runde Yoga, ein bisschen Meditieren und dem Besuch der Komplet resümiere ich über den Tag. Ein Satz ist bei der heutigen Tour immer wieder durch meinen Kopf geflogen: „Wandern (strenggenommen natürlich pilgern) ist Beten mit den Füßen.“
Wie oft habe ich schon betont, dass ich gern alleine laufe. Ich dachte immer, dass es mir dabei um die Freiheit der Zeiteinteilung geht. Alleine zu entscheiden, wann man anhält, pausiert und sein eigenes Tempo läuft. Nach der heutigen Wanderung im Schweigen habe ich erstmals erkannt, dass ich beim Weitwandern fast ausschließlich in Stille unterwegs bin, ohne dass es mir je dezidiert aufgefallen wäre.
Vielleicht ist diese Stille, dieses ganz bei mir Sein, ein Stück der Magie des Wanderns, ein Bedürfnis, das ich mir sowieso schon immer erfüllt habe und das sich mit dem Wunsch nach einer Klosterauszeit deutlich Bahn gebrochen hat. Vielleicht ist Wandern ja die kleine Schwester von Schweigen?
Tag 2 – Wo bleibt die verflixte Erkenntnis?
Am nächsten Morgen, nach einer erneuten Nacht mit unglaublich tiefem Schlaf, wache ich mit einer ordentlichen Portion Frust im Bauch auf. Ich habe seit mehr als 24 Stunden kein Wort gesprochen, und was hat diese ganze Schweigenummer bewirkt? Gar nichts. Es fühlt sich an wie beim Wandern, was entweder daran liegt, dass ich gestern so viel draußen war, oder eben daran, dass Stille durchaus bereits ein vertrauter Lebensbestandteil ist. Nichts fühlt sich anders an als sonst.
Das einzige, was sich verändert hat, ist die Zeit. Ohne Internet und Social Media habe ich so viel mehr davon. Schon verrückt, wie oft man sein Handy zückt, um irgendetwas nachzuschauen. Diesen Part vermisse ich erstaunlich wenig, und ich nehme mir vor, die Benachrichtigungsfunktionen mancher Apps einfach ausgeschaltet zu lassen. Draußen wartet ein zur Abwechslung grauer Tag auf mich, passend zu meiner Grummelstimmung.
„Today, I will judge nothing that occrus“, denke ich, als beim Frühstück mein Blick auf die Birkenstocks mit Socken fällt, die sich der ein oder andere mitgebracht hat, Version Halbschalenpantoffel. Euer Ernst? Wir sind hier doch nicht im heimischen Wohnzimmer! Den absoluten Vogel schießt aber eindeutig Schnatter ab, die ihre Füße in blütenweiße Socken gehüllt hat, die in marinefarbenen Lederriemchensandalen mit Troddeln stecken.
Wieso rege ich mich über so etwas auf? Wieso denke ich, die Frau im lachsfarbenen Sport-Hoodie mit Leuchtbändern an Armen und Rücken, dass ich es irgendwie besser drauf habe? Mal abgesehen davon, dass es total irrelevant ist, wer hier was trägt. Ist ja keine Modenschau! Kann diese Stimme in meinem Kopf vielleicht einfach mal schweigen? Deepak Chopra hat mit seiner Theorie schon Recht, dass wir Stille finden, wenn wir nicht alles beurteilen. Da habe ich wirklich noch einige Schritte vor mir, denn in meinem Kopf sitzt Marcel Reif und kommentiert das Spiel um mich rum ununterbrochen.
Das Wetter treibt einen nicht gerade nach draußen und so lege ich in meinem Zimmer eine lange Yoga-Session auf meiner Tagesdecke ein und meditiere. Die Wut verraucht. Ich schreibe weiter Tagebuch. Lasse Sätze ungefiltert aufs Papier. Wenn ich sie heute, sechs Wochen später, lese, muss ich schmunzeln. Ich weiß nicht, auf welche große Art von Erkenntnis ich gewartet habe, denn mir ist durchaus schon einiges klar geworden.
Erkenntnis Nummer Drei
Ich kenne Stille. Ich kann Stille, kann gut nur mit mir sein. Stille macht manches leichter, denn sie zieht einen aus der Verantwortung, Stellung zu beziehen, schickt einen von der Bühne in den Zuschauerraum. Stille ist Sein. Aber Stille nimmt einem auch viel. Sie wirft einen auf sich selbst zurück und macht einen Austausch unmöglich. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die allein über einer Idee brüten, irgendwann aus ihrem Kabuff kommen und ein Ei der Erkenntnis legen. Ich brauche den Austausch, um zu tieferen Erkenntnissen zu gelangen.
Die Unwiederbringlichkeit des Moments
Nach dem Mittagessen breche ich zu einer neuen Wanderung auf. Ich habe mich noch so oft an mein Erlebnis im Zauberwald erinnert, dass es mich heftig dorthin zurückzieht. Ein märchenhaftes Schloss in der unmittelbaren Nähe rundet die Tour ab.
Als ich nach einer knappen Stunde mein Waldstück erreiche, beschert es mir eine extrem wichtige Erkenntnis: Dinge lassen sich nicht wiederholen. Ich stehe in einem Wald. Nicht mehr und nicht weniger. Es ist ein stinknormales, schnödes, kleines Waldstück mit ein paar Bäumen, in dem sich erneut zwei Rehe die Ehre geben. Das ist es aber auch schon. Der Wald hat sonst nichts von seinem vorgestrigen Zauber behalten.
Und obwohl von der smaragdenen Funkelmagie nichts mehr übrig ist, sehe ich sie vor meinem inneren Auge, spüre ich sie zwischen den Bäumen auf und mit ihr das Glück, sie erlebt zu haben. Als ich Karl und Jana beim Mittagessen in Ermangelung einer Erzählung einfach die Bilder meiner gestrigen Tour durch das Brenner Moor gezeigt habe, sagte er: „Vielleicht sollten wir alle mehr rausgehen. Die Erfahrung dort ist so viel unmittelbarer.“
Die ganze Kraft hinter „Augenblick verweile doch, du bist so schön“ wird mir in diesem Moment bewusst. Wir haben die Aufgabe, kleine Wunder richtig wertzuschätzen, denn sie sind Momentaufnahmen, unwiederbringlich, und prägen sich doch so heftig ein. Goethe hat es verstanden.
Der Bann ist gebrochen
Um diese ganzen Eindrücke nicht zu vergessen, diktiere ich sie der Einfachheit halber in mein Handy. Ein kleiner Moment von Schuldbewusstsein lodert auf. Breche ich gerade durch das Diktieren mein Schweigen? Gilt Schweigen auch für Selbstgespräche?
Ich glaube, ich bin mit diesem Schweigen durch. Alleine weitzuwandern ist Schweigen in seiner für mich schönsten Form, die abends in Begegnungen aufgelöst wird und das werde ich heute Abend tun.
Mit diesem Beschluss setze ich meinen Weg auf der offiziellen Wegführung des Stormarnweges fort, entlang des Feldrandes, wo sich mir wieder eine dramatische Wolkenshow bietet.
Begleitet wird sie von einem konstanten, lauten Summen. Ganz in der Nähe muss ein Hornissen- oder Wespennest sein, auch wenn ich die Tierchen nicht sehen kann.
Vorbei an der recht schmucklosen Martin Luther Kirche nähere ich mich Schloss Tralau. Auch dieses ist in Privatbesitz, auch hier ist das Betreten verboten. Höchst illegal setze ich mich über sämtliche Schilder hinweg und erfreue mich an dem wirklich hübschen Gebäude. Was soll schon passieren?
(Einschub Oktober 2024: Was soll schon passieren?
Ich wurde von der Besitzerin überaus freundlich mit der Bitte kontaktiert, das Bild zu entfernen, da es – wie ich ja unumwunden zugegeben habe – vom Privatweg aus geschossen wurde. Um ganz ehrlich zu sein, habe ich mich nicht nur ertappt gefühlt, sondern auch ein wenig geschämt. Das Bild ist, wie ihr seht, nicht länger hier zu finden und meine Einstellung zu Privatwegen werde ich künftig auch noch mal überdenken. Ehrlich gesagt hätte ich auch wenig Lust, wenn dauernd Leute mit Kameras vor meinem Zaun stünden und versuchen würden, einen Blick zu erhaschen. Also Finger bzw. Pfoten weg von Schloss Tralau. Wer das märchenhaftes Gebäude begutachten möchte, tue es hier.
Um das Gutshaus herum finden sich auch hier wieder alte Bauernhäuser und Scheunen. Der Weg führt vom Gelände weg und endet an einem großen, schmiedeeisernen Tor, das natürlich zugekettet ist. Es wird flankiert von zwei großen Steinen, über die man mühelos hinübersteigen kann. Ich bin zurück auf dem mir bekannten Fahrradweg, und ich bin zurück in meinem normalen Leben.
Max Herre, mein Bruder im Geiste
Den Rückweg zum Kloster gehe ich nun bereits das dritte Mal, so dass ich mir eine weitere Runde Hotel Matze gönne und dem Interview mit Max Herre lausche.
Es ist schon wirklich immer wieder beeindruckend, wie alles zusammenkommt, wenn man im Flow ist, und das bin ich. Nur wenige Minuten, nachdem ich eingeschaltet habe, wird der Musiker zu seinem Kreativitätsprozess befragt. Wie genau er seine Texte schreibe, will Matze Hielscher wissen, ob er da bestimmte Rituale habe? Und Max Herre erzählt schmunzelnd, wie er sich früher ins Ausland abgesetzt und zu Einsamkeit verdonnert hätte. Da hätte er dann beispielsweise in einer Wohnung in Jaffa gesessen und täglich für eine festgelegte Anzahl Stunden vor einem weißen Blatt Papier gebrütet.
Es hätte gedauert, bis er erkannt hätte, dass diese Selbstkasteiung nicht zu guten Texten führe. Ins Ausland flöge er nun immer noch, aber er würde andere Musikerkollegen einladen und gemeinsam Songs schreiben. Er brauche einfach den Austausch, erst dann würde es richtig gut. Ich lache laut auf. Max Herre, I feel you. Wir sind Brüder im Geiste, denn das fasst zusammen, was ich heute im Laufe des Tages auch für mich herausgefunden habe.
Es gibt nicht eine einzige, gravierende Entscheidung, die ich getroffen habe, keine Erkenntnis, die mir gekommen ist, ohne sie vorher im Gespräch mit anderen hin und her geschoben, von links nach rechts gedreht zu haben, um dann aus den Einzelaspekten das Bestmögliche für mich zu weben. Deswegen begeistern mich die Jakobswege, wo man abends im Gespräch ist, zuhört, erzählt, rät und hinterfragt, deswegen sitze ich so gern mit Freunden zusammen, teile meine Gedanken, hole mir Meinungen ein, entwickle sie weiter und deswegen habe bisher vermutlich keine bewusst getroffene Entscheidung jemals bereut.
Howgh, ich habe gesprochen
Entspannt sinke ich auf eine Bank, die in einen Baumstamm gehauen wurde und genieße das Nichtstun. Als zwei Spaziergänger näher kommen, sehe ich, dass sich die Dame, die heute Mittag am Buffet im Kloster gebeten wurde, die Abstände einzuhalten, einen Mönch geschnappt hat. Sie beglückwünschen mich zu meinem lauschigen Fleckchen und ich biete an, den Platz zu räumen, da ich gleich weitergehen werde. Howgh, ich habe gesprochen, nun ist es offiziell.
Am Kloster angekommen bedanke ich mich fröhlich bei der Frau, die mir freundlicherweise die Tür aufhält. Das Schweigen ist vorbei, es lebe das Gespräch. Und tatsächlich, kaum stehe ich kurz darauf artig in der Schlange, die auf das Abendessen wartet, komme ich mit der Spaziergängerin ins Gespräch, eine kleine Unterhaltung, die bestätigt, wie schön Austausch sein kann.
Die Dame, die vermutlich locker über 70 ist, erzählt mir, dass sie in Nütschau versuche, Hilfe für eine deutsche Ordensschwester zu organisieren, die in Chile seit Jahren Übermenschliches leiste. Sie selbst war ihr Leben lang OP-Arzt (sie sagt wohlgemerkt nicht Ärztin, und ich kann mir vorstellen, dass sie sich da als Frau oft behaupten musste) und hat besagte Karoline Mayer, die Mutter Theresa von Chile, kürzlich vor Ort unterstützt. Begeistert erzählt sie vom Wirken der mutigen Deutschen.
Als diese sie um Hilfe bat, fühlte es sich für die Ärztin wie ein Ruf an, dem sie sofort folgte. Ihre Geschichten aus Südamerika von Menschen, die uneigennützig anderen helfen und deren Leben verändern, beeindrucken mich. Allein dafür hat es sich bereits gelohnt, das Schweigen zu brechen.
Coaching im Sonnenuntergang
Jana und Karl schauen derweil ordentlich verwirrt aus dem Speisesaal zu mir herüber. Eigentlich müssten sie jetzt beleidigt sein, dass ich nicht als Erstes mit ihnen gesprochen habe, witzeln sie, als wir uns über die letzten 48 Stunden austauschen.
Jana hat einige Antworten, vor allem aber ihre Ruhe gefunden, und Karl konnte sich auf sein Bewerbungsgespräch vorbereiten, auch wenn er noch nicht ganz fertig ist. Nach dem Essen bittet er mich um ein Gespräch. Er sei froh, dass ich wieder spreche, er habe sich gewünscht, dass wir uns noch einmal unterhalten könnten. Mir schwebte eigentlich ein Gespräch bei einer Flasche Wein vor, doch den Hamburger zieht es nach draußen.
In der Abendsonne geht es um Wandern und um Sprachkünste, schnell aber auch um sein anstehendes Bewerbungsgespräch. Ich plaudere aus dem Nähkästchen derer, die auch schon auf der anderen Seite des Tisches gesessen hat und erzähle, was mir bei Bewerbern immer wichtig war. Ob wir nach der Komplet noch einen kleinen Spaziergang machen wollen?
Ich stimme zu, und so laufe ich um viertel nach neun mit Karl noch einmal die kleine Schleife vom Kloster an der Mühle vorbei zur Trave und zurück. Wir haben Glück. Die untergegangene Sonne taucht den Himmel in die wundervollsten Pastelltöne. Ein würdiger Abschluss meines Aufenthaltes.
Kloster-Schweigefazit
In meinem Zimmer angekommen, fasse ich noch einmal alles für mich zusammen. Schweigen ist mir vertraut. Ich kenne es, mit meinen Gedanken zu sein, Dinge auf mich wirken zu lassen und die Dialoge mit mir selbst nach innen zu verlegen. Manche gehen dazu ins Kloster, ich gehe dazu offensichtlich wandern.
Unter Menschen zu sein und nur mit Gesten zu danken oder zu grüßen, hat mich gestört, weil ich mir permanent unhöflich oder wie in einem Slapstick vorkam. Schweigen ist sicher noch einmal eine andere Nummer, wenn man es in einer Gruppe macht, in Eigenregie würde ich es nicht unbedingt wiederholen.
Einmal ausschließlich die Beobachterrolle innezuhaben, fand ich hingegend spannend, vor allem aber auch entspannend. Die Gedanken darüber, was man sagen oder wie man wirken will, fallen weg, die Dinge gehen an einem vorbei, gehen einen aber nichts an.
Wunschzettel an mich selbst
Ich habe einige Verhaltensmuster entdeckt, die ich perspektivisch gern anders angehen möchte, und so schreibe mir einen Wunschzettel für mich selbst.
Bleibe bei dir und löse dich aus dieser Scripted Reality, wo du Gedanken und Energie dafür nutzt, dich zu fragen, was andere denken. Sei einfach du. Ohne Hintergedanken und den dauerkommentierenden Sportreporter in deinem Kopf. Höre auf, Leute beeindrucken zu wollen. Es reicht zu wissen, dass du es könntest, aber musst du es? Nimm dir Zeit, die Leute zu beobachten und einzuschätzen, bevor du Vollgas gibst. Mach dich nicht abhängig von den Urteilen der anderen.
Sowieso – vergiss die anderen, denn es geht um dich. Lass diesen Komparativ im Kopf los, sei zufrieden, dass dich etwas glücklich macht, nicht weil du es besser machst. Hol deine Bestätigung aus deinem Inneren. Sei nett zu dir, sei nicht so hart zu dir, sei zufrieden. Du hast allen Grund dazu.
Kommentare und Feedback
Puh, das war ein langer und stellenweise doch sehr persönlicher Text – schön, dass du bis zum Ende durchgehalten hast. Nun hast du hoffentlich eine Ahnung, wie es sein könnte, zum Schweigen ins Kloster zu gehen.
Könntest du dir das für dich vorstellen? Was wäre deine größte Herausforderung? Und womit würdest du dir die Zeit vertreiben? Hat dich etwas an meinen Erlebnissen oder Erkenntnissen gewundert oder konntest du alles nachvollziehen? Hast du vielleicht schon einmal etwas Ähnliches gemacht?
Wie immer freue ich mich über eine Nachricht von dir in den Kommentaren.
Und keine Sorge: beim nächsten Beitrag geht es wieder mit den ganz normalen Wanderberichten weiter, ohne tiefsinnige Selbstkritik und Seelenstriptease 😉
Verfolgungswahn
Solltest du einmal in der Gegend des Klosters Nütschau sein, kann ich dir meine beiden Tagestouren absolut ans Herz legen. Sie lassen sich auch in Kombination laufen. Lass dich nicht davon täuschen, dass ich angeblich quer durch die Trave gelaufen bin – dort gibt es einen ganz normalen Weg.
Zeitreise
Vorwärts: Können wir dann jetzt bitte weitergehen? Natürlich und zwar auf Etappe 5 vom Kloster in Nütschau nach Reinfeld, getreu dem Motto „Hurra, die Welt geht unter“, denn der Tag besticht durch alle Arten von nass und endet mit einer Premiere: ich breche ab.
Rückwärts: Bist du zufällig hier gelandet und fragst dich, was es mit dem Zauberwald auf sich hatte? Dann komm mit von Bargteheide nach Nütschau zu Eiskeller-Romantik und Weltuntergangsstimmung, dem Geschmack von Johannisbeeren und der großen Freiheit und in den funkelnden Zauberwald auf dem Weg ins Paradies.
Ich war auf diese „Etappe“ ja sehr gespannt. Toll, dass du deine Erkenntnisse hier mit uns teilst, auch wenn sie dich auf den ersten Blick vielleicht nicht im besten Licht erscheinen lassen. Aber wir alle haben eben nicht nur gute Seiten, sondern auch mal das Teufelchen auf der Schulter sitzen und das flüstert einem gemeine Kommentare über Socken in Sandalen oder sonstwas ein. Meiner Meinung nach ist das halb so wild, solange man sich dieses Teufelchens bewusst wird, um es dann von seiner Schulter zu schnipsen.
Zum Thema alleine essen in der Öffentlichkeit. Ich finde es gar nicht mehr schlimm, obwohl auch ich nicht ewig nach dem Essen sitzen bleibe, sondern lieber von dannen ziehe. Mache gerade Urlaub in Österreich und habe mich daran gewöhnt, jeden Morgen und jeden Abend alleine beim Essen zu sitzen. Die anderen Hotelgäste schauen schon immer noch etwas, aber ich lese entweder oder schreibe in mein kleines Büchlein und denke mir, dass sich das auch nicht jeder trauen würde, so ganz alleine 😉
LG
Yvonne
Hi Yvonne, erst mal guten Appetit – vermutlich sitzt du noch mit deinem Büchlein da und harrst aus. Ich habe eine Freundin, die mir letztens erzählt hat, dass sie das immer total abfeiert, wenn sie alleine Essen geht. Anders als ich, malt sie sich immer aus, wie sie die anderen Leute beneiden, dass sie das ganz für sich genießt und dass diese sie vermutlich für eine wahnsinnig verwegene Abenteurerin und gestandene Frau halten.
Das zeigt mir, a) dass ich nicht die einzige bin, die sich einen Kopf macht, was andere denken würden und b) dass das Bild, das man dabei entwirft, komplett in der eigenen Hand liegt. Wenn ich in drei Wochen die nächste Wanderung starte, werde ich versuchen, mich immer in genau diese Heldengeschichte zu begeben. Damit habe ich zwar den inneren Marcel Reif immer noch nicht ausgeschaltet, aber immerhin eine gute Vision.
Ich wünsche dir noch eine schöne Tour! Wo genau bist du unterwegs?
Audrey
Made our day! Ein schöner Tagesabschluss für den Sonntag. Annette und ich haben abwechselnd gelacht und gesagt: genau so – verstehe ich!
Toller Bericht!
Bleib Gesund und Grüße in den Norden – Du weißt wo du uns findest… 😇
Annette & Norbert
Puh – das freut mich. Ich bin immer noch versucht, ganze Passagen zu löschen 🙂
Ich bin übrigens Mitte Oktober bei euch ums Eck – zum Bloggerwandern in Bad Breisig und Bacharach. Ich habe mich schon bei einer Freundin in Köln, die ich viel zu selten sehe, am Vorabend angekündigt. Sonst wäre das die perfekte Gelegenheit gewesen, dass wir uns endlich mal vis-a-vis begegnen.
Schönen Abend euch und vielen Dank für eure Bestätigung 🙂 Das ist doch ein wenig beruhigend
Heldinnen im Restaurant 😀
Ich bin im Kleinwalsertal, hier kann man ganz tolle Tagestouren machen und ist mein Plan C in der Urlaubsplanung. Plan A wurde Corona- bedingt abgesagt und mein Plan B, den Eifelsteig weiter zu laufen, musste ich leider verschieben, weil ich zur Zeit keinen Rucksack tragen kann, da ich nach einem chirurgischen Eingriff eine offene Wunde an der Schulter habe. Jetzt renne ich hier mit prall gefüllter Hüfttasche durch die Gegend.
Was ich schon längst gefragt haben wollte: hast du mit dem Rauchen aufgehört? Es tauchen gar keine Raucherpäuschen mehr in deinen Berichten auf. Habe es leider noch nicht geschafft.
LG
Yvonne
Keine Sorge – ich mache nach wie vor Schmök-Pausen. Allerdings bin ich von klassischen Kippen auf IQOS umgestiegen und irgendwie schreibt es sich so komisch, wenn man sagt: Dann habe ich mich hingehockt, und eine geheetet 😀 Aber seit einem Jahr läuft das als Alternative echt erstaunlich rund.
Mit offener Schulter läuft es sich vermutlich nicht ganz so rund. Tut mir leid zu hören und gute Besserung, damit es schnell abheilt.
Den Eifelsteig hatte ich ganz kurz in Erwägung gezogen, falls es mit dem Albsteig nichts wird. Aber sieht so aus, als würde das durchaus wwas werden. In 3 Wochen weiß ich mehr. Viel Spaß dir noch!
Nun musste ich diesen Part auch noch rasch lesen (OMG, ich werde morgen früh viele Entfaltungsmöglichkeiten im Spiegel sehen).
Also, Audrey, du Unbekannte: Wer so unterhaltsam seine Erkenntnisse preis gibt und klug reflektiert, erzählt ja nicht nur Persönliches. Viel mehr dürfen sich die Lesenden als TrittbrettfaherInnen deiner inneren Reise über handfeste Inspirationen freuen.
Übrigens kenne ich diesen U-Turn vom Innen zum Außen statt umgekehrt sehr gut. Persönlich und hinwies. Sowie auch dieses Thema mit dem Bewertungs-Mindfuck. I feel you und ich feiere mich, weil das Leben so viel besser ist, seid ich einfach viel öfter die Schnauze halte:-).
Hier noch ein Buchtipp: „Draußen gehen“ von Christian Sauer (und der wohnt doch tatsächlich beim Bergedorfer Gehölz/meine alte Heimat).
So, nun aber Tschüss! Cornelia
Liebe Cornelia,
Ich würde jetzt gern sagen, dass es mir leid tut, dass du meinetwegen so wenig Schlaf bekommst. Tut es aber nicht. Dazu freue ich mich zu sehr über deine Kommentare. Danke dafür
Kurze Rückfrage zu deiner kleinen Party: Hältst du inzwischen wortwörtlich die Klappe oder ist es ein inneres Schweigen? Laut sage ich nämlich die wenigsten Dinge, die ich so vor mich hindenke. Wenn ich das jetzt noch innen ausschalten könnte…
Das Buch schaue ich mir an – und ich bin gespannt, wo dich dein Weg hinführt.
Stormarnweg ab Jersbek bis Oldesloe kann ich jedenfalls sehr empfehlen. Und die Etappe bis Reinfeld wäre im Trockenen sicher auch traumhaft. Ach, dieser Konjunktiv. Aber ich will nicht spoilern. Die Geschichte gibt es ja erst nächste Woche 😉
Liebe Audrey,
ich denke, mit der „Audrey-Show“ stellst Du Dich ein, zwei Stufen zu niedrig. Als Rheinländer ist es sicher genetisch, sich viel, oft und teilweise auch lautstark über die Sprache mitzuteilen. Kommt mir sehr bekannt vor… Aber da denke ich, dass Du den Dreh ganz gut raus hast, in den richtigen Momenten auch einfach Mal still(er) zu sein. Ich habe es schon erlebt, dass Leute sich in einer Kirche in einer Lautstärke (und über Themen…) unterhalten, dass man nicht anders konnte, als sich fremd zu schämen. Sowas kann ich mir z.B. bei Dir überhaupt nicht vorstellen.
Aber Kommunikation ist ja auch nicht nur Sprache. Einem Italiener beim Sprechen die Hände auf den Rücken zu binden, beraubt ihn wahrscheinlich auch 50% seiner Ausdrucksfähigkeit. Momentan geht durch den MNS ja auch einiges an Mimik verloren, da finde ich es immer sehr hilfreich, wenn mein Gegenüber sich vernünftig über die Sprache ausdrücken kann.
Beim Wandern, Pilgern oder selbst bei ausgedehnten Spaziergängen geht es mir da auch wie Dir. Da halte ich auch für eine Zeit lang gerne die Klappe. Dafür starten dann die Diskussionen mit mir selbst in meinem Kopf… So richtig forciert, am Stück ein paar Tage lang die Klappe zu halten, habe ich es aber bisher noch nie. Wäre es aber definitiv wert, es auszuprobieren.
Aber die beiden wichtigsten Fragen hast Du leider gar nicht beantwortet:
Warum war das Kissen denn jetzt so dick? …und: Wie schnappt man sich denn jetzt einen Mönch? 😂
Grüße
Stefan
Hi Stefan,
Danke für den Hinweis, das ist natürlich wirklich eine bodenlose Frechheit, diese Kernfragen offen zu lassen 😂😂 Aber das ist wie mit dem Gral und anderen Legenden: nur Auserwählten wird diese Antwort zuteil. Ich gehöre leider nicht dazu.
Was deine nette Relativierung der Audrey-Show anbelangt, danke ich dir für den rheinischen Credit Point. Da hast du nicht unrecht. Der Rheinländer ist insgesamt etwas raumgreifender. Das meinte ich auch nicht so ganz. Im richtigen Moment auch mal die Klappe zu halten, gelingt mir (inzwischen) durchaus. Mir ging es eher darum, dass ich gern lernen würde, mein Pulver nicht immer gleich an jeden zu verschießen. Vornehme Zurückhaltung ist mir nämlich ein ähnlicher Gral, wie die Frage, warum das Kissen so dick ist 😉
Hey!
Glückwunsch! Dass Du es tatsächlich gewagt hast und angegangen bist, finde ich richtig großartig. Deine Erkenntnisse sind jetzt auch nichts, was man einfach mal so nebenbei erfährt. Und persönlich hätte ich es sehr, sehr schade gefunden, wenn Du das Schweigen dabei als neue Lebenseinstellung gefunden hättest. #AudreyForPodcast
Insofern: alles richtig gemacht würd ich sagen. 😉
Danke für diesen dann doch auch sehr persönlichen Text. Freue mich schon, Dich ganz bald wieder zu treffen. Und mit Dir wandern bzw. schweigen zu gehen…
Viele Grüße aus Berlin
Sven
Ich freue mich auch wirklich sehr auf unser Wiedersehen. Für diesen besonderen Anlass würde ich dann übrigens vorzugsweise redend wandern – der Podcast muss ja raus 😉
Liebe Audrey
spannend zu lesen wie es dir ergangen ist. Bei Vielem habe ich ‚ja‘ genickt – z.B. dass beim Pilgern das Schweigen dazu gehört, vielleicht sogar ohne es zu bemerken. Auch das ganz auf sich Konzentrieren kenne ich vom Alleine-Pilgern gut, aber auch von Schweigetagen – zweimal waren es je eine Woche. aber schon lange her. (einmal als Zen-Woche, einmal in Taizé)
Ich war gespannt, ob du dir einen Mönch schnappst…. das wäre nach ein paar Tagen wohl passiert.
Zufällig komme ich grad von einem Mittagessen, das ich in einem Restaurant alleine eingenommen habe. Ich mache das hie und da gerne, aber meist doch lieber mit anderen Leuten zusammen.
Ich wünsche dir einen guten Übergang in den Herbst – mir fällt dieser nicht immer leicht, da ich gerne im Sommer hängen bleibe.
Liebe Grüsse
Josef
Lieber Josef,
schön, dass du mitgelesen hast. Das Schweigen ist tatsächlich unser regelmäßiger Begleiter, nur dass wir es vermutlich nicht immer so bewusst wahrnehmen. Eine beruhigende Erkenntnis in all dem Lärm. Ich werde mir den Herbst versüßen und einfach wieder wandern gehen. Vermutlich erneut sehr schweigsam, heißt es doch, dass mein auserkorener Weg nicht allzu stark frequentiert ist. Und auch bei dieser Tour (entlang der Schwäbschen Alb) werde ich mir wieder keinen Mönch schnappen können. Am vorletzten Tag führt der Albsteig an einem Kloster entlang, doch dort darf nur einkehren, wer einen Pilgerausweis hat. Das begrüße ich per se zwar sehr, nur hätte ich diesmal auf eine Ausnahme gehofft. Ich mag Klöster so gern!
Die Übung mit dem Essen werde ich dort dann auch täglich machen und habe mir schwer vorgenommen, es zu genießen zu versuchen.
Liebe Grüße und viel Sonnenstrahlen für dich, auf das sie dir den Herbst versüßen
Audrey
Fantastisch geschrieben, ich musste innerlich so viel grinsen!!! Ich sehe mich gerade vor ähnlicher Herausforderung, Waldbaden an der Ostsee! Und nein, bitte keine Bäume umarmen….bitte nicht! 😉
Liebe Delia,
toll, dass du dich amüsiert hast, das ist mit die Hauptsache 😉 Jetzt bin ich neugierig auf die Herausforderung: ist es dieser enge Kontakt zu den Bäumen oder badet man in Stille? Und vor allem – wie lange? LG Audrey