Etappe 4 auf dem Stormarnweg von Bargteheide nach Nütschau hat Romantik im Keller und Weltuntergangsstimmung in stormy Stormarn im Gepäck, den Geschmack von Johannisbeeren und der großen Freiheit auf den Lippen und führt durch den Zauberwald auf dem Weg ins Paradies, wo eine beharrliche Funkstille eingeläutet wird (6. Juli 2020, 23 km)
Man kann es nicht anders sagen, Bargteheide bereitet mir einen absolut standesgemäßen Abschied. Um 5:30 Uhr weckt mich die Sonne, die durch die hellrosa Gardinen direkt auf mein Gesicht knallt. Ich gebe mir redlich Mühe und schlafe noch mal ein, doch spätestens als ich um viertel nach sieben Schritte im Treppenhaus höre, bin ich wach.
Während ich meine Siebensachen zusammenpacke, zieht sich der Himmel langsam aber eindeutig zu. Mein Check-Out ist kurz und schmerzlos. Wenigstens ist heute Morgen jemand da. Die Dame fragt nicht, wie es mir gefallen habe, und ich sage nicht, dass die Kommunikation im Vorfeld ausbaufähig gewesen wäre.
Französische Italiener
Frühstücken will ich bei Bäcker Kock in der Nähe des Marktplatzes. Meine Wahl fällt auf das italienische Frühstück, aber Italien und ich scheinen in Bargteheide auf keinen gemeinsamen Nenner zu kommen. Der Mozzarella sei aus, informiert mich der junge Mann schuldbewusst. Aber er hätte als Alternative Brie. Innerlich nenne ich meinen Latte Macchiato ab sofort Café au Lait und segne das nunmehr französische Frühstück ab.
Die Portion, die man mir aushändigt, ist so riesig, dass sich die Frage nach ausreichend Proviant für unterwegs nicht stellen wird. Gemütlich trödle in den Tag hinein und verlasse den Laden erst um zwanzig nach zehn. Auf nach Nütschau.
Draußen hängen inzwischen dicke Regenwolken in der Luft. Gerade habe ich die Bushaltestelle erreicht, um meinen Rucksack noch einmal umzupacken und die Regensachen nach weiter oben zu verlagern, da platzen die Wolken auf, und dicke Gewittertropfen schießen abwärts. Sturm kommt auf, und ich bleibe vorsorglich, wo ich bin.
Hier bleibe ich der Einfachheit halber die nächste halbe Stunde. Es ist unglaublich. Vor mir geht die Welt unter, und der Regenradar macht mir keine Hoffnung. An Wegkommen ist vorerst nicht zu denken. Vielmehr kann ich froh sein, dass es mich nicht unterwegs erwischt hat. Ich hätte keine trockene Faser mehr am Leib, denn der Regen kommt von allen Seiten.
Um elf traue ich mich aus meinem Bushaltestellendomizil hinaus in den inzwischen sanften Nieselregen. Doch kaum biege ich gegenüber von meinem Hotel in Richtung Kirche ab, muss ich mich – diesmal unter den verwunderten Blicken der Landschaftsgärtner – erneut unterstellen. Der Regen verkompliziert meine Navigation. Noch bin ich nicht zurück auf dem Stormarnweg und brauche mein Handy und den GPS-Track zur Orientierung. Gleichzeitig möchte ich verhindern, dass das Gerät nass wird, und so laufe ich unabsichtlich einen Bogen durch den Ort, bis ich wieder zurück auf meinem Weg bin.
Sonne raus, der Spuk ist aus
Es klingt pathetisch, aber entspricht der Wahrheit: kaum habe ich die Stadtgrenze von Bargteheide hinter mir gelassen, reißt der Himmel auf. Hinter mir graue Suppe, vor mir strahlendes Blau. Damit ist dann wohl alles gesagt. Dies ist eine Trennung in beidseitigem Einvernehmen, Bargteheide und ich stehen unter keinem guten Stern.
Der Weg nach Jersbek erinnert mich stark an gestern. Ich bewege mich hauptsächlich auf Wirtschaftswegen, die an Feldern entlang zu meinem kleinen Traumort führen. Anders als am Vortag weiß ich den Asphalt heute aber wirklich zu schätzen, denn es gibt kaum Pfützen zu umschiffen, sodass ich gut vorankomme.
Die Sonnenstrahlen auf dem nassen Mais sorgen für intensive Farben. Meine Lust am Laufen meldet sich zum Dienst bereit.
In einem Feld beobachte ich ein Reh, beziehungsweise seine Ohren, die immer wieder neckisch aus dem Korn aufblitzen. Wie idyllisch es hier ist! Die unendliche Weite, die sich auftut, bietet eine perfekte Leinwand für die Wolkenkulisse am Himmel. Corona scheint einen schönen Nebeneffekt zu haben: die Wolken fallen durch so viel schärfere Konturen auf als sonst. Staunend fühle ich mich mehr als winzig – eine meiner häufigsten Begleiterscheinungen beim Wandern.
Die Romantik ist im Keller
Ein kurzes Stück folgt der Stormarnweg nun dem Fahrradweg, flankiert von einer gut befahrenen Straße. Meine Regenjacke, die zum Trocknen über dem Rucksack hängt, schaukelt bei jedem Schritt. Inzwischen ist es richtig warm. Stimmt, da war ja was, eigentlich haben wir Sommer.
Nach gerade einmal 45 Minuten biege ich auch schon in die Kurve ein, in der das Gutshaus von Jersbek liegt. Es versteckt sich wie immer erfolgreich vor neugierigen Blicken, aber zumindest habe ich von den Leitplanken aus volle Sicht auf den Weiher.
Ein paar Meter weiter auf der linken Seite befindet sich der idyllische Eiskeller, der mich wie schon letztes Jahr in seinen Bann zieht. 1736 erbaut, wurde drinnen in einem sechs Meter breiten und sieben Meter tiefen Trichter Eis gelagert, damit im Vorraum Milchprodukte gekühlt werden konnten, lese ich auf einer Tafel.
Um einen guten Kontrast zur Eiseskälte in meinem Kopf zu bieten, gibt die Sonne passenderweise richtig Gas und hüllt die Felder in sanfte Pastelltöne.
Privatsphäre für Fortgeschrittene
Nach meiner ausgiebigen Fotosession überquere ich die Straße und betrete die Anlage rund um das Gutshaus. Den Anfang macht das gelbe Torhaus, das in großen Lettern stolz sein Baujahr 1678 verkündet.
Hinter einem Fenster im Nebengebäude sitzt eine Frau am Rechner. Als sie meinen neugierigen Blick sieht, lächle ich freundlich, doch sie wendet sich ab. Auch die beiden Männer, vermutlich Gärtner, grüßen nicht zurück, als ich das weit offenstehende Tor zum Barockgarten wenig später durchschreite.
Zu gern würde ich einen Blick auf das Herrenhaus werfen, aber überall warnen Schilder, dass dies hier Privatbesitz sei und dessen Betreten verboten. Mit so was kriegt man mich ja. Genau wie rote Ampeln gehören Schilder zu den Dingen, denen ich mich nur schlecht widersetzen kann. Unverrichteter Dinge gehe ich weiter, um den Park der Länge nach zu durchqueren.
Wildnisromantik oder langsamer Untergang?
Bei der imposanten Anlage handelt es sich um den besterhaltenen, barocken Gutspark Schleswig Holsteins. Ein Schild erklärt, dass er seinen guten Zustand der stetigen Erhaltung durch die Eigentümer unter Bezuschussung des Kreises verdankt. Ein weiteres zeigt, wie der Park ursprünglich konzipiert war.
Je näher ich komme, desto mehr erschrickt mich der heutige Zustand. Vielleicht bin ich durch die top gepflegten, bunt bepflanzten Hamburger Parks verwöhnt, aber hier wuchert das Gras, Unkraut durchzieht die Beete, in denen rein gar nichts blüht, die Bäume schlagen am Stamm in alle Richtungen mit neuen Ästen aus.
Der alte Gutsherr muss sich im Grabe herumdrehen, denn man kann sich mit etwas Fantasie nach wie vor problemlos vorstellen, welches Potenzial hier schlummert und wie dieses Fleckchen Erde wohl einst ausgesehen haben mag.
Griechische Amphoren flankieren Eckpunkte und stehen auf Sichtachse. Vor meinem inneren Auge ranken daraus blühende Pflanzen nach unten, aus den Beeten leuchten Blumenarrangements in verspielten Ornamenten, der Rasen ist gepflegt, Damen mit Sonnenschirmen und aufgebauschten Kleidern flanieren über die Wege und auf dem Rasen spielt ein Streichquartett. Was wäre das für ein Anblick! Schon klar, das hier ist Stormarn und nicht Versailles, aber man kann dem einstigen Besitzer nicht vorwerfen, dass er klein geträumt hätte.
Besonders nachdenklich macht mich einer der Bäume, für die eine Patenschaften übernommen wurde. Letztes Jahr zu Ostern hat mich das kleine Schild so gerührt, auf dem „Zur Erinnerung an unsere liebe Anna“ steht. Die Geschichte dahinter kenne ich nicht, aber in meinem Kopf trauern hier Eltern um ihr Kind. Damals blühten Tulpen am Fuße des Baumes, nun wuchert das Unkraut hüfthoch.
Einen kleinen Farbklecks hält der Weg dann aber doch noch für mich bereit. Wie in Witzhave, auf Etappe Eins meines Weges, finde ich auch hier eine bunt bemalte Steinreihe, die als Projekt gegen die Corona-Langeweile ins Leben gerufen wurde.
Mein letzter Wille, viel Kamille
Wenig später betrete ich den Wald. Zur Rechten wird ein Stück als Begräbniswald genutzt. Ich werde derweil durch die goldene bzw. grüne Mitte geleitet. Neuerlich macht der Weg ein Verlaufen schlichtweg unmöglich, denn er führt schnurgerade aus.
Letztes Jahr kam ich aus umgekehrter Richtung und erinnere mich an die Faszination, als ich den Wald verließ und sich der Park samt Alleen urplötzlich vor mir auftat. Heute ist von derlei Magie nichts zu spüren. Wer also die Wahl hat, sollte die Strecke andersherum laufen.
Auf gestapelten Baumstämmen lege ich eine kurze Pause ein, bevor ich meinen endlos wirkenden Wanderweg fortsetze. Nur die Vögel unterhalten mich, Spaziergänger gibt es keine und auch das Wild zeigt sich nicht, so sehr ich ins Unterholz spinkse. Dann biege ich endlich ab und laufe fortan schlängelnd, teils auf sehr matschigem Grund, so dass ich zur Abwechslung mal wieder den Kopf einschalten muss, um nicht wegzurutschen.
Ich steuere auf den Ortsteil Scheidekate zu, wo ich letztes Jahr erstmals über den Stormarnweg stolperte, als ich den Wegweiser mit allen Wegepunkten entdeckte. Leider finde ich ihn nicht wieder. Ob er von einem Wanderer entfernt und mitgenommen wurde? Von derlei Trophäensammlern hört man ja leider immer wieder.
Selbst finde ich wenig später meine ganz eigene Trophäe, denn ein Schmetterling hält freundlicherweise still und lässt sich fotografieren. Es handelt sich um einen C-Falter und nicht, wie ich erst denke, um einen Kleinen Fuchs. Wie kann man einem so possierlichen Tierchen einen solch langweiligen Namen geben?
Das nächste Highlight rieche ich, bevor ich es sehe. Eine Kamillenwiese hüllt mich mit ihrem Duft ein. Sie ist für die nächsten knapp viereinhalb Kilometer mein letzter, wirklicher Höhepunkt.
Überbrückungsarbeiten zur Prinzeninsel
Durch Scheidekate und Petersfelde führt eine Straße. Punkt. Man könnte auch sagen: Scheidekate und Petersfelde sind eine Straße, um genau zu sein eine schmale Straße mit Häusern zu beiden Seiten und – zumindest im Fall von Scheidekate – ohne Bürgersteig. Wie schon gestern hoffe ich, dass die Autofahrer mich sehen und nicht zu doll Gas geben, wenn sie an mir vorbeibrausen.
Doch selbst entlang der schmucklosen Straße gibt es wieder stattliche Höfe von beachtlicher Größe und hübsche, alte Häuser zwischen den Neubauten zu bewundern.
Ich biege nach rechts in Richtung Sülfelder Tannen ab, wo sich einige wenige, dafür aber riesige Häuser samt dicker Autos zu einer Wohngemeinschaft versammelt haben und gehe von dort in das nächste Waldstück, wo ich zufällig einen bemalten Stein von Lena entdecke. Auf der Rückseite gibt es einen Hinweis auf eine Facebook-Gruppe. Es handelt sich vermutlich um sogenannte Wandersteine, die bemalt und versteckt werden und dann gern weitergetragen und neu versteckt werden dürfen. Mehr Informationen dazu hat Shelly von Weltenspatz für euch.
Nach dieser insgesamt eher ereignisarmen Stunde taucht am Ende meines Weges ein Kreuz auf. Kurz denke ich, es erinnere an einen Verstorbenen, aber nichts da. Es liefert den Hinweis auf den Prinzeninselweg vor Grabau.
Was nun folgt, ist Idylle pur. Eine hölzerne Brücke führt mich zur Insel mit dem romantischen Namen. Wer es etwas abenteuerlicher mag, könnte stattdessen auch über einen umgestürzten Baum zur anderen Seite balancieren.
Es folgen lauter kleine Fischteiche, einer davon erneut mit Schwanenfamilie. Mutter, Vater und zwei kleine Schwäne ziehen würdevoll und friedlich ihre Bahnen auf der anderen Uferseite. Eine umgestürzte Eiche ragt majestätisch ins Wasser.
Kurz überlege ich, mich hier für eine weitere Pause niederzulassen, entscheide aber anders. Ich würde mich in dieser friedlichen Atmosphäre wie ein Eindringling fühlen und möchte nicht stören, sondern verlasse das kleine Paradies durch ein blühendes Kornfeld.
Sie haben mir ein Denkmal gebaut
Am Ortseingang von Grabau erwartet mich ein alter Bekannter: ich bin mal wieder auf dem Jakobsweg, ganz konkret auf der Via Baltica, und freue mich über den vertrauten gelben Pfeil samt Muschel. Der Camino wird mich für den Rest des Tages begleiten, schließlich liegt mein heutiges Etappenziel, das Kloster Nütschau, direkt am Weg.
Nachdem ich Grabau auf seiner langen Straße durchschritten habe, muss ich lachen. Da steht doch tatsächlich extra für mich ein Backhaus, formschöne Beschriftung inklusive, damit auch ja keine Missverständnisse entstehen. Ehre, wem Ehre gebührt oder so ähnlich. Wirklich nett, aber das wäre natürlich nicht nötig gewesen.
Zur Rechten könnte ich in den Dorfkrug einkehren, der auch Übernachtungsmöglichkeiten bereithält, doch ich entscheide mich gegen die sonnige Außenterrasse und zugunsten des Proviants im Rucksack und kehre stattdessen in die gemauerte Bushaltestelle an der Hauptstraße ein, um mir die benötigten Kalorien einzuverleiben.
Vor lauter Appetit mache ich, wenn auch unbewusst, einen großen Fehler. Wäre ich kurz nach links abgebogen, hätte ich das Herrenhaus Grabau in seiner ganzen Pracht bewundern können.
Stormy Stormarn und der Geschmack der Freiheit
45 Minuten bleibe ich sitzen, esse und zähle die vorbeifahrenden Autos und die vorbeijagenden Wolken. Richtig, inzwischen ist das Wetter schon wieder im Wechsel und der Wind pfeift. Stormy Stormarn macht seinem Namen alle Ehre.
Bis zum Kloster sind es noch acht Kilometer. Ich hoffe, trocken dort anzukommen und rapple mich endlich auf, vorbei an einem imposanten Kornspeicher und geradewegs in den nächsten Abschnitt absoluter Landidylle.
Ein abgelegener Hof mit weitläufiger Pferdewiese und scharf umrissenen Wolken weckt meine Begeisterung. Ich muss zugeben, dass das wechselhafte Wetter eindeutig auch Vorteile hat. Solch dramatische Motive habe ich sonst selten vor der Linse.
Im Bauerngarten recken sich zwischen blühenden Hortensien Johannisbeeren durch das Zaungitter in meine Richtung. Während ich es gestern bei einer Beere beließ, schnappe ich mir mit dem Mut des neuen Tages gleich eine ganze Rispe und feiere die sauer-süße Geschmacksexplosion in meinem Mund.
Völlig unverhofft befinde ich mich auf einem der schönsten Stücke des gesamten Weges und das, obwohl ich auf einer Straße ohne Fußweg oder Grünstreifen unterwegs bin. Es ist nur einfach absolut beeindruckend, mit keinerlei Begrenzung über die saftig glänzenden Maisfelder in die Weite zu schauen, während der Himmel wie gemalt ist. Auf meiner Zunge schmecke ich neben dem Rest der Johannisbeeren eindeutig den Geschmack der Freiheit.
Flucht in den Zauberwald
Ich bin so beseelt von dem Blick über die Felder, dass ich offensichtlich nur in eine Richtung schaue. Zwar spüre ich, dass der Wind immer stärker wird (inzwischen nutze ich mein Stirnband als Schal und die Kappe wird mir mehrfach fast vom Kopf geweht), aber es dauert, bis ich meinen Blick eher zufällig zur anderen Seite wende, als ich an zwei Frauen mit fünf Hunden vorbeilaufe.
Die dunkelgraue Wand, die im Eiltempo auf mich zusteuert, jagt mir einen kleinen Schauer über den Rücken. Das sieht überhaupt nicht gut aus, zumal ich auf einem Feld in the middle of nowhere bin.
Der Regenradar bestärkt meine Vermutung. In spätestens 10 Minuten geht die Welt unter. Fährtenleser, der ich inzwischen bin, halte ich Ausschau nach einem passenden Unterschlupf. Mitten in den Feldern ist da wenig zu holen.
Der Stormarnweg würde eigentlich am Rande dieser Felder verlaufen, doch ein kurzer Blick auf die Karte zeigt, dass ich mein Ziel auch erreiche, wenn ich quer durch einen Wald gehe. Die zunehmende Dunkelheit lässt wenig Zeit für Abwägungen. Ein weiterer, heftiger Windstoß nimmt mir die Entscheidung ab, und so sprinte ich in den Wald, während erste Tropfen fallen.
Schon nach wenigen Metern finde ich Schutz unter einer riesigen Kastanie. Der Rucksack passt perfekt in einen kleinen Hohlraum im Stamm. Dann prasselt es machtvoll los, und ich presse mich an den mächtigen Baum. Meine Kapuze hätte ich vermutlich gar nicht benötigt, denn die Kastanie hält wirklich den Großteil des Regens ab.
Es dauert gerade einmal zehn Minuten, dann zieht das Unwetter weiter und here comes the sun. Und wie!
Vor mir tut sich ein Zauberort auf. Der Wald leuchtet wie ein Smaragd. Es gibt kein schöneres Grün, als dasjenige, das entsteht, wenn Sonnenlicht auf nasse Blätter trifft. In allen Schattierungen funkelt es um mich herum.
Von diesem Schauspiel derart gefesselt, stelle ich verwundert fest, wie meine Augen feucht werden. Das ist der Grund, warum ich das Wandern so liebe. Das sind die Momente, in denen ich an die Kraft der Schöpfung glaube. Nichts kann mich so sehr beglücken, wie ein solches Erlebnis.
Als aus dem Nichts auch noch zwei Rehe nur wenige Schritte entfernt arglos vorbeilaufen, ist es mir fast ein bisschen zu viel der Romantik, aber eben nur fast. Mit leichtem Herzen fliege ich über den Waldweg und bin einfach nur glücklich. Glücklich, dass ich das erleben darf, aber eben auch glücklich, dass ich solche Momente erkenne und mit allen Fasern aufnehmen und abspeichern kann.
Auf dem Weg ins Paradies
Zum letzten Mal heute genehmige ich mir eine Portion Fahrradweg, der mich auf einem guten Kilometer von Tralau nach Nütschau bringt.
Nachdem ich unter der Autobahn durch bin, bekomme ich nur anderthalb Kilometer vom Kloster Nütschau entfernt, noch mal richtig was geboten.
Die goldenen Gerstenfelder begeistern mich so sehr, dass ich kurz vom Weg abkomme. Der Eingang zum Wald ist gesperrt und weist mich eindeutig auf meinen Fehler hin. Ich bin fast dankbar für den kleinen Schlenker, denn von hier habe ich einen besonders schönen Blick auf die sanft hügelige Landschaft vor mir.
Ein paar Kühe weiden am Hang einer grün-violetten Erhebung, über der sich erneut dramatische Wolkenfetzen türmen. Idylle pur. Ich stehe sicher zehn Minuten und sauge das Bild begeistert in mich auf. Alles ist gut. Ich bin hier. Es ist herrlich. Eine weitere Perle für meine Kette aus schönen Erinnerungen. Und was für ein Finale, bitteschön!
Kurz vor der Funkstille
15 Minuten später stehe ich am Kloster Nütschau. Ich zögere den Moment hineinzugehen noch ein wenig hinaus, denn dann beginnt mein großes Schweigen. So lasse ich mich auf einer der vielen Bänke nieder, die die Rasenfläche des ehemaligen Gutshauses umrunden. Zeit, die Gedanken zu ordnen und den Tagesbericht zu schreiben, letzte Gelegenheit, ein paar Telefonate zu führen.
Noch einmal schießen mir 1.000 Fragen durch den Kopf. Wie kommt man schweigend zurande? Baut man dennoch irgendeine Art von Kontakt zu anderen auf? Wird es weitere Menschen geben, die ebenfalls schweigen? Was mache ich mit der ganzen Zeit? Bekomme ich Entzugserscheinungen, wenn ich mal für ein paar Tage das Handy in den Flugmodus versetze? Wird es mir gelingen, die Stille auszuhalten? Werde ich es schaffen, mich komplett zurückzunehmen und andere Menschen ausschließlich zu beobachten, statt mich mit ihnen auszutauschen? Und was genau fesselt mich an dieser Idee?
Seit Anfang des Jahres habe ich mir in den Kopf gesetzt, dass ich unbedingt mal ausprobieren möchte, 48 Stunden (oder 60) in Stille zu verbringen. Bisher bin ich immer gut damit gefahren, wenn ich auf innere Wünsche gehört habe. „Schweigen wird dich auf eine andere Art zu dir bringen, weil Sprache sonst dein Schlüssel ist,“ hat mir ein Freund gesagt. Er hat Recht. Sprache ist mein Schlüssel, meine Waffe und meine große Stärke und so habe ich absolut keine Ahnung, was mich erwartet oder was ich erwarte, wenn ich auf sie verzichte. Aber bald werde ich es erfahren. Und ihr auch.
Verfolgungswahn
Wenn du auch mal die vierte Etappe des Stormarnwegs laufen möchtest, kannst du dich gern an meiner Wanderung auf Komoot orientieren. Und keine Sorge – bei den Zeitangaben handelt es sich um reine Laufzeit ohne Pausen, so schnell bin ich auch nicht.
Kommentare und Feedback
Klar, ich weiß, Fotos fangen die tatsächlichen Eindrücke immer nur annähernd ein, aber teilst du meine Begeisterung für die Weite, die man entweder hat, wenn man besonders hoch klettert oder wenn man eben in besonders flachen Gefilden unterwegs ist? Und hast auch du schon mal in einem Wald erlebt, wie sich die Sonne auf dem frisch benässten Grün ausbreitet und funkelt, als gäbe es einen Preis zu gewinnen?
Was hältst du von meiner Idee, mal für zwei Tage durchgehend den Mund zu halten? Wie würde es dir damit gehen? Was wären deine großen Befürchtungen? Wie immer freue ich mich über eine Nachricht von dir in den Kommentaren.
Zeitreise
Vorwärts: Na toll, so kurz vor dem wirklich spannenden Teil bricht die Geschichte ab? Was für ein mieser Cliffhanger. Du willst wissen, wie es weitergeht? Dann geh doch einfach mit mir ins Kloster Nütschau zu zwei Tagen Schweigen mit Schnatter und Liese, fühl dich wie Mr. Bean, verstehe Goethe und finde die große Schwester vom Wandern, Max Herre als Bruder im Geiste und natürlich auch den ein oder anderen schönen Wanderweg
Rückwärts: Bist du heute zufällig hier gelandet und wunderst dich, was es um Himmels Willen mit meiner angespannten Beziehung zu Bargteheide auf sich hat? Dann geh mit mir Etappe 3 von Ahrensburg nach Bargteheide und bleibe mit mir auf dem rechten Wege mit Cobra 11 und dem blauen Blitz, Kidnappern und tiefsinnigen Triebtätern, Gottesbuden und Prinzessinnenzimmern, aufgehendem Mohn, keinem Dolce Vita und ausreichend Rosé zum krönenden Abschluss.
Liebe Audrey, das hast du wieder sooooo schön geschrieben 🥾🥰. Danke!
Liebe Ulli, das hast du aber gleichfalls total schön geschrieben 😉 Danke dir
Ach, herrlich. Gestern Abend nach einer eigenen Wanderung (siehe Komoot) im Bett noch Deinen Blog gelesen. Wir haben gestern auch ein Wechselbad der (Witterungs-)Gefühle beim Wandern erlebt. Aber die Temperaturen waren ganz anders. Schöne Bilder und wunderschön verpackte literarische Stilblüten durchziehen mal wieder Deinen Text. Sei herzlich bedankt. Warte mit Spannung auf Teil 5! 😉
Ich war gestern ebenfalls unterwegs (deswegen kam der Beitrag erst so spät) und hatte mit dem Wetter zu kämpfen. In der Heide stellt es sich nämlich doch nicht ganz so einfach unter wie im Wald. War aber klasse. Nur das Tracking mit Komoot ging in die Hose, was mich richtig geärgert hat. Aber vermutlich waren es so ca. 18-20 Kilometer mit Sonne, Wind und Regen.
Teil 5 wird vermutlich sehr viel weniger aufregend als vermutet. Aber es gab 2 schöne Tagestouren durchs Brennermoor und zurück in den Zauberwald.
Schöne Woche dir,
Audrey
„Tracking mit Komoot ging in die Hose“ … das höre ich immer mehr! Und ich bin aktiv geworden: Seit meinem Geburtstag vor 10 Tagen bin ich stolzer Besitzer eines GPS-Handgerätes. Was soll ich sagen? ES LOHNT SICH, WIRKLICH!!! Ich plane nur noch in Komoot, ziehe mir den Track ins GPS-Handgerät, wandere und lade den gewanderten Track wieder in Komoot. Seit dem: keine Abbrücke, keine merkwürdigen Höhenmeter, keine gesplitteten Tracks. Wunderbar! Sehr zu empfehlen und nicht schwer. Komoot hat Schwierigkeiten auf dem Handy mit Tracken und gleichzeitig Fotografieren! Auc Dir eine schöne entspannte Woche! VG Jan
Einmal angefangen kann man nicht mehr aufhören zu Lesen. Du solltest deine Texte mal als Buch veroffentlichen.
Dein Schreibstil ist Wunderbar. Man liest sich fest und ist fast
traurig wenn der Text zu ende ist.
Lieber Stefan,
jetzt werde ich fast ein bisschen rot. Danke dir für deine Worte, das freut mich sehr. Gestern fragte mich ein Freund, wie ich ernsthaft in solcher Länge über doch eher ereignisarme Etappen schreiben könnte. Tja, manchmal wundere ich mich selbst. Da ist es umso besser zu hören, dass es wirklich gern gelesen wird 😉
Und was das Buch angeht: eines Tages wird es zumindest meinen Camino Frances als Buch geben. Aber irgendwie fehlt mir momentan die Muße, die Beiträge zu überarbeiten und zu einem stimmigen Ganzen zu verwursteln. Aber es gibt ja keinen Grund zur Eile 🙂
Liebe Audrey. Danke für deine schnelle Antwort. Ich kann’s kaum erwarten 😊. Es ist wirklich ein Genuss deine Texte zu Lesen. Ich wünsche Dir voel Glück auf allen deinen Wegen.
Ich starte morgen auf den Altmühltal Panoramaweg von Eichstätt nach Kehlheim🤠
Das klingt super! Den hatte ich auf der Liste – genau wie den Schluchtensteig und den Albsteig. Letzterer wird wohl das Rennen machen 😊
Dann wünsche ich dir angenehme Wege und tolles Wanderwetter
Danke Dir. Wenn du drn ganzen Albsteig machst kommst du an meiner Haustür vorbei 😊
Das ist zumindest der Plan – vorausgesetzt, ich finde überall eine Unterkunft. Das gestaltet sich an ein paar Stellen gerade doch schwerer als gedacht, mit geschlossenen Wanderheimen, ausgebuchten Gasthöfen etc. Die Streckenplanung hab ich schon ein paar mal anpassen müssen. Und dann muss es auch noch ein freies Abteil im Schlafwagen geben. Wir werden sehen 😊 wenn es sein soll, wird es klappen.
Ich drück Dir die Daumen dass es klappt. Ich freu mich schon jetzt auf deinen Reisebericht.
Jetzt, wo ich endlich mit dem Lesen deiner Beiträge ‚up to date‘ bin, schweige ich nicht, sondern danke dir einmal mehr für deinen Schreibstil, der auch Tiefschläge wie (zumindest halbwitzige) Anekdoten erscheinen lässt. Dreht sich dann alles wieder ins Positive, könnten deine Schilderungen und Beschreibungen beinahe schon als Werbung für Schleswig-Holstein durchgehen. Wen wundert es da noch, dass man dir am Weg auch noch ein „Denkmal“ hingestellt hat.
Grüße
Bernhard
Jetzt war ich von deiner Lobeshymne so angetan, dass ich ganz vergessen habe, mich zu bedanken 🙂 Es freut mich wirklich, dass dir das Lesen Freude bereitet. Dafür ist es gedacht. Dass du nun aber auch up to date bist, ist ja noch eine viel größere Leistung. Chapeau – ich hoffe, du bleibst auch weiterhin am Ball.
Moin Aufrey,
auch dies wieder gerne gelesen. Gespickt mit manchen Tipps, denn ich bin demnächst ein ganzes WE nur mit mir unterwegs: ein kleines Stückchen Pilgerei „vor der Haustür“. Eigentlich wollte ich an die Küste. Jetzt ziehe ich die Strecke ab Kloster Nütschau in Erwägung.
Und schweigen, ein paar Tage? Als Frau der Sprache? Damit liebäugle ich ebenfalls konkret und stelle es mir so, so inspirierend und herrlich herausfordernd vor.
Herzlich grüßt, Cornelia 🥾