Tag 8 auf dem Rheinsteig entpuppt sich als absoluter Durchschnittstag, der nicht mal genug Potenzial hat, um an dieser Stelle einen witzigen Einleitungsteil zu erhalten. Macht ihr doch mal was Spektakuläres aus einem Fuchs, einer Hexe, laufen, klettern, waten und rutschen. Na also (08. Oktober 2017, 18 km)
Die vorbeifahrenden Züge haben mich nicht weiter gestört heute Nacht, und so wache ich ausgeruht auf. Ich trödele herrlich rum, schließlich ist Sonntag. Als ich gegen halb zehn beim Frühstücksbüffet auftauche, sind die meisten anderen Gäste schon durch. Mehrere zehn- bis zwanzigköpfige Großgruppen sitzen schnatternd zusammen und eine Kellnerin weist mir meinen Platz (natürlich direkt hinter der 20er Gruppe) zu.
Ich stelle mir in Ruhe mein Frühstück zusammen, lasse ein Brötchen in einer Serviette eingewickelt zusammen mit einem Ei im Rucksack für später verschwinden, trinke gemütlich Kaffee und lasse mich von den neugierigen Blicken der Truppe vor mir nicht weiter stören. Ich bin total entspannt. Heute liegen gerade mal 18 km vor mir, und die ersten fünf werden davon dank selbst recherchierter Wegvariante entspannt am Rhein entlang gehen.
Wie sich das anhört – nur 18 km. Man wird auf Dauer wirklich nerdig. Würde mir jemand in Hamburg sagen, dass ich „nur“ 18 km laufen müsse, würde ich ihm vermutlich einen Vogel zeigen. Da sind mir die 500 Meter zur Bushaltestelle manchmal schon zu weit.
Geradeaus auf der Rheinrennstrecke
Gegen elf bummele ich los. Mein selbstgewählter Weg führt mich direkt ans Rheinufer, von wo aus ich auf dem Radweg einfach immer geradeaus gehe. Alternativ hätte ich 3,5 km zurück laufen müssen, um durch sicherlich ausreichend Schlamm zurück auf den Steig zu kommen. So feiern der Wanderweg und ich also in Braubach Wiedervereinigung. Eine kleine Trennung schadet uns nicht.
Die Strecke ist nicht sonderlich spektakulär. Ich laufe durch Wiesen und Schrebergärten, später dann entlang einer Chemiefabrik. Überall begegnen mir Gassi gehende Menschen, während ich nach einer weniger einsehbaren Stelle suche, um mal kurz zu verschwinden (erfolglos). Nach einer Stunde komme ich in Braubach an. Herrlich wenn man einfach mal unkompliziert geradeaus gehen kann.
Die letzten 20 Minuten habe ich bereits immer wieder Blick auf die imposant auf ihrem Hügel thronende Marksburg. Meine Rheinrennstrecke endet an einem Campingplatz, in dessen Nähe ein Kiosk steht. Der Laden hat zu, aber die angeschlossenen Toiletten sind zu meinem großen Glück offen. Nachdem ich im wahrsten Sinne des Wortes um eine Unannehmlichkeit erleichtert bin, gehe ich in den Ort. Ich möchte die immer mal wieder durchblitzenden Sonnenstrahlen ein wenig genießen.
Der längste Milchkaffee der Welt
Beim Café Maaß ergattere ich einen Platz draußen. Noch ein Milchkaffee für die Stimmung, bevor es dann „richtig“ losgeht. Als die endlich an der Spitze der langen Schlange angekommen bin, schickt man mich directamente und vor allem unverrichteter Dinge wieder nach draußen. Es komme jemand.
Ich versuche vergebens, zumindest meine Bestellung auf den Weg zu bringen, aber keine Chance. Hier gibt es klare Regeln und die Regel lautet, wer draußen sitzt, bestellt auch draußen. So füge ich mich in mein Schicksal und gehe zurück auf die Terrasse, wo ich geschlagene 15 Minuten warte, bis sich endlich jemand erbarmt. Nach weiteren 15 Minuten ist der bestellte Milchkaffee immer noch nicht da. Todesmutig gehe ich rein. Ich habe zwar Zeit, aber so viel dann auch wieder nicht. Wie vermutet, haben sie mich tatsächlich vergessen.
Fünf Minuten später ist es endlich so weit, der Kaffee kommt. Den fehlenden Zucker bringe ich Ihnen sofort, verspricht mir die Dame und klar, auch der Zucker lässt auf sich warten. So gehe ich also ein letztes Mal in den Laden. Der Dame ist es inzwischen leicht peinlich. Läuft heute irgendwie nicht wirklich rund bei ihr. Ich kann hingegen schon wieder darüber lachen. Wenn es schon schief geht, dann so richtig. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit trinke ich kurzerhand meinen Kaffee auf Ex.
Zaungast an der Marksburg
Eine vierköpfige Frauengruppe zieht an mir vorbei. Ich erkenne sie als das Quartett, das mir gestern am Hang in der Nähe der Klamm begegnet ist. Trotz Winkens sehen sie mich leider nicht. Auch ich breche auf und schnappe mir den Aufstieg zur Marksburg. Oben angekommen, wimmelt es auf dem Parkplatz vor Leuten, die sich die Burg ansehen wollen.
Da hinter das Eingangstor nur der gelangt, der Eintritt zahlt, gehe ich auf direktem Wege weiter und so führt mich der Rheinsteig an der Burg vorbei wieder abwärts, um die Mauern herum und noch weiter runter zur Martinikirche.
Die Kirche hat leider geschlossen. Ich werfe einen kurzen Blick auf den Friedhof, bevor ich mich dem Auf und Ab der folgenden Serpentinenwege stelle, die als Finale steil zum Dinkholder Berg hoch führen. Oben angekommen macht der Ausblick die Anstrengung allerdings sofort wieder wett.
Schweinische Unterkunft
Ich nutze meine kleine Pause und greife zum Handy, um mich um eine Unterkunft für morgen zu kümmern. Die Recherche hat diesmal etwas länger gedauert. Der Weg bis St. Goarshausen scheint mir am Stück etwas zu weit, zumal die beiden nächsten Etappen die anspruchsvollsten auf dem ganzen Rheinsteig sein sollen.
So bin ich auf die Unterkunft „Zum Saustall“ gestoßen, die in Wellmich am Fuße von Burg Maus liegt und deren Inhaberin Schweine in sämtlichen Formen, Größen und Farben sammelt. Ich bin latent verunsichert, nicht nur aufgrund der Sammelwut, sondern auch weil die Homepage ankündigt, dass ein Käufer für das Etablissement gesucht wird. Hoffentlich haben die überhaupt noch auf, sonst gehen mir die Ideen aus.
Wie so häufig habe ich Glück. Wirtin Doris ist zuhause und erklärt sich bereit, morgen nur meinetwegen zu öffnen, obwohl sie eigentlich Ruhetag hätte. Das Geld würde sie gern mitnehmen, sagt sie unverblümt. Sie gehe montags immer einkaufen und sei vermutlich gegen halb sieben wieder da, aber das würde schon passen, informiert sie mich. Da ich von Osterspai starten würde, wäre ich eh nicht früher da.
Ich bin etwas perplex. Ohne mich zu kennen, weiß diese Expertin, wann ich ankomme? Ich sage ihr, dass ich – wenn alles nach Plan läuft – vermutlich spätestens um halb sechs da sein werde, so wie eigentlich jeden Tag. Na gut, sagt sie, dann einigen wir uns eben auf sechs Uhr. Was soll ich erwidern außer einem schwachen Okay.
Auf dem Trimm-Dich-Pfad
Ich verschwinde wieder in dichtem Wald und habe offensichtlich übersehen, dass ich unfreiwilliger Weise ein Ticket für einen Trimm-Dich-Pfad gelöst habe. Hier hat wohl kürzlich ein Sturm gewütet, denn immer wieder sind mir umgestürzte Bäume im Weg, die es entweder zu übersteigen, zu unterwandern oder zu umrunden gilt.
Als i-Tüpfelchen meiner heutigen Fitnessübung lauern mir zudem Schlammpfützen auf, die ich durchqueren darf, während mir aufgrund der schleimigen Beschaffenheit immer mal wieder einer meiner Stöcke oder Füße nach oben oder unten wegzurutschen drohen.
Endlich lichtet sich der Wald und macht einem Feld Platz. Ich träume gerade ein wenig vor mich hin, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnehme. Ich schaue genauer hin und tatsächlich, am Rande des Feldes schleicht ein Fuchs entlang. Ich habe Füchse noch nie in freier Wildbahn gesehen und bleibe wie angewurzelt stehen, schwankend zwischen Faszination und Vorsicht. Mich wundert, dass das Tier sich von mir nicht aus der Ruhe bringen lässt. Es ignoriert mich geradezu. Keine Ahnung ob der Fuchs alt, krank oder gelangweilt ist, aber ich betrachte ihn lieber aus sicherer Entfernung.
Wo die Hexen brennen
Kurz vor Osterspai stoßen verschiedene Wege aufeinander, denn auf dem Pflock vor meiner Nase sind gleich drei Markierungen zu bewundern: Rheinsteig, Jakobsweg und Westerwaldsteig (glaub ich zumindest?) geben sich die Ehre.
Von hier ist es nicht mehr weit bis zum heutigen Etappenziel. Der Rheinsteig führt nun für kurze Zeit entlang einer Straße steil nach oben. Wenig später stehe ich vor einer riesigen Schutzhütte. Leider ist sie verschlossen, so dass ich mich mit ihrem Außenbereich begnügen mus. Ich mache noch ein letztes Päuschen, bevor ich in ein kleines Waldstück eintauche. Ich bin auf dem Hexenköpfel.
Der Name lässt nichts Gutes ahnen. Hier wurden einst vermeintliche Hexen verbrannt und tatsächlich, kurz darauf laufe ich an der Figur einer nackten, leidenden Frau vorbei, die aus einem Holzstamm geschlagen worden ist. Die Szene ist mehr als gruselig und laut Beschilderung wird die Statue abends rötlich angestrahlt, so dass die Frau in Flammen steht. Ich bin fast schon froh, dass gerade helllichter Tag ist.
Quer durch die grüne Hölle
Die letzten Meter sind noch mal aufregend. Ich folge einem kleinen Weg, der so heftig zugewachsen ist, dass ich erst nach einigem Hin und Herlaufen endlich den kleinen Trampelpfad entdecke, der steil abwärts führt und natürlich ausschließlich aus Matsch besteht. Ich versuche, mich weitestgehend an Ästen über mir fest zu halten, während mir immer wieder die Füße wegrutschen. Ein Adrenalinstoß jagt den nächsten, als ich auf die Häuser zu schlittere.
Sturzfrei schaffe ich es nach unten und freue mich, endlich wieder fester Boden unter meinen Füßen zu haben. Quer durch die Häuserreihen marschiere ich in direkter Luftlinie zum Hotel und ignoriere Google Maps, das mich im Zickzack schicken will. Google gewinnt das Spiel (wie eigentlich immer), denn auf einmal sind zwischen mir und der anderen Straßenseite Schienen. Diese lassens ich an genau einer Stelle überqueren, nämlich mit Hilfe der Unterführung 400 Meter links von mir. Na gut. Punkt für Google.
Aus der Touri-Falle durch die Hintertür
Als ich endlich am Hotel ankomme, hält zeitgleich mit mir ein vollbesetzter Bus mit Berliner Kennzeichen, dem ein Schwall Rentner entsteigt. Ich gehe schon mal von mindestens 30 Minuten Wartezeit an der Rezeption aus. Die Schlammlandschaft meiner Beine kann ich wirklich niemandem zumuten, denke ich und kürze meine Hose. Die Wanderschuhe lasse ich gleich aus und schlüpfe stattdessen in meine Turnschuhe. Ohne Angst, etwas dreckig zu machen, steuere ich die Rezeption an. Die Busladung ist schon nicht mehr zu sehen.
Für mich gibt es noch einen kurzen Schockmoment, als die Rezeptionistin meinen Namen nicht im System finden kann. Schnell klärt sich das Missverständnis – ich bin im falschen Hotel. Die nette junge Frau lässt mich durch den Hinterausgang raus und erklärt mir, wie ich auf schnellstem Wege an mein Ziel komme.
Wenige Minuten später komme ich am Landgasthof, der in einer kleinen, zuckersüßen Straße mit lauter Fachwerkhäusern gelegen ist an. Eine Lady mit Reibeisenstimme nimmt mich herzlich in Empfang. Sie führt mich in mein Zimmer und bietet mir an, später unten zu essen. Es ist vermutlich auch das einzige, was man hier machen kann. Also dusche ich, wasche meine Sachen und gehe runter.
Abkürzungstips von Einheimischen
Ich setze mich auf ein Bier an die Theke im Festsaal, der hinter dem Restaurant gelegen ist und als Raucherzone der Lokalität dient. Dort komme ich mit einem Mann aus dem Ort ins Gespräch, der sich schnell als erfahrener Rheinsteigler zu erkennen gibt. Wo ich morgen hinwolle, fragt er. Ich erkläre ihm, dass ich mangels ausreichender Unterkünfte bis Wellmich gehen möchte, dem letzten Ort vor St. Goarshausen. Damit erwarten mich 25 km auf einem anspruchsvollen Stück.
Der Herr gibt mir ein paar Tipps, wie und wo ich abkürzen kann und empfiehlt, querfeldein nach Filsen zu laufen, statt zurück auf den Steig zu gehen. Da ich mit morgendlichen Abkürzungen heute bereits gut gefahren bin, werde ich mir das auf jeden Fall anschauen.
Mein Abend endet mit den vom Wirt empfohlenen Florentinern, die, mit Spinat und Sauce Hollandaise überbacken, geschmeidig wie ein Stein in meinen Bauch purzeln und klingt vor dem Fernseher mit dem Tatort und der zweiten Hälfte des Länderspiels aus.
Zeitreise
Vorwärts: Du bist gespannt, wie es weitergeht? Dann geh mit mir von Osterspai nach Wellmich und sei dabei, wenn ich meine denkwürdige Nacht unter Schweinen habe.
Rückwärts: Hast du den Beitrag vom Vortag verpasst? Dann komm unbedingt noch mal mit von Vallendar nach Oberlahnstein und triff die belgischen Sinatras und sei dabei, wenn das Wunder von Lahnstein verhindert, dass ich meinen Weg vorzeitig beenden muss.
Hast du den Anfang verpasst und möchtest die ganze Wanderung nachlesen? Dann geht es hier entlang zu Etappe eins von Bonn nach Königswinter.
Kommentare und Ergänzungen
Warst du selbst auf dem Rheinsteig unterwegs? Wie gehst du mit Tagen um, die keine besonderen Höhepunkte liefern? Oder passiert dir das nicht, weil du allem etwas Gutes abgewinnen kannst? Kennst du meine heutige Etappe? Hast du sie vielleicht ganz anders wahrgenommen? Was hat dir gefallen, was eher nicht so und gibt es noch etwas zu ergänzen?
Ich freue mich wie immer über deinen Kommentar.
Wie merkst du dir, was alles passiert? Machst du dir Notizen? Spannend zu lesen, dass man auch an einem unspektakulären Wandertag einiges erlebt. Und das Kloproblem ist wirklich nicht zu unterschätzen …
Tatsächlich Tagebuch, Fotos und der WhatsApp-Tagesbericht für meine Freunde.
Dummerweise endet das Tagebuch an Tag 11/14 – ab Tag 11 werden die Berichte also vermutlich kürzer 😂😂
Die Hexenfigur hätte doch besser zum Harzer-Hexen-Stieg gepasst. Das man die auch am Rheinsteig sieht, ist mehr als unerwartet. Und am Tag könnte man sie auch leicht übersehen, wenn ich das Bild so betrachte.
Ich fand sie ziemlich gruselig im Zusammenhang mit der Geschichte des Ortes. Übersehen wird schwierig, sie ist recht groß 🙂