Etappe 7 auf dem Jakobsweg. Ich habe ausnehmend schlechte Laune bis zum ersten Kaffee, zapfe als Gegenmaßnahme Gratisrotwein, tausche meine Begleitung aus und lasse den Nachmittag und Abend mit viel zu viel Bier ausklingen (5. Mai 2016, 22 km)
Heute ist der erste Tag, an dem ich mit ausnehmend schlechter Laune auf die Bahn gehe. Es ist viertel nach sieben und anders als gedacht kommen wir an keinem Café auf unserer Route vorbei. Zumindest an keinem, das offen ist. Stattdessen latschen wir bald oberhalb eines Industriegebiets mit Blick auf einen Lidl und einen Decathlon. Wirklich zauberhaft.
Unterwegs mit Grummelgriesgram
Missmutig stapfe ich vor mich hin, während Rob neben mir fröhlich summt, sich um mein Gemecker wenig schert und seine gute Laune einfach beibehält. Das macht es bei mir keineswegs besser. Das Summen geht mir tierisch auf den Senkel. Meine Aggressionen wandern in solchen Situationen übrigens immer direkt in meinen Bauch, wo sie dann einen kleinen Wutklumpen bilden, der unangenehm kribbelt.
Um Acht hat das Elend ein Ende, bzw. es bessert sich ein wenig, denn an einer Weggabelung findet sich ein Autoreparatur-Shop, der über einen Minisupermarkt verfügt und mit Kaffee wirbt. Rob kann gar nicht so schnell gucken, wie ich nach drinnen verschwinde. Drinnen ist die Enttäuschung über Automatenkaffee groß, aber die Not ist größer. Ich zapfe mir mein braunes Elixier und verschwinde zusammen mit einer Banane umgehend auf die Holzbank vor dem Laden. Meine Laune steigert sich binnen weniger Minuten. Während mir das gar nicht so bewusst ist, scheint es Rob umso heftiger wahrzunehmen, und so kommentiert er auch gleich, dass man künftig besser dafür Sorge tragen möge, dass es für mich ausreichend Kaffee gäbe. Es sei wirklich interessant gewesen, wie sehr das meine Laune beeinträchtigt habe, schmunzelt er.
Halbwegs zufrieden geht es weiter. Wir nähern uns einem Camino-Highlight. An einem Weingut am Wegesrand findet sich nämlich ein Brunnen, der Fuente de Irache, an dem man sowohl Wasser als auch Wein zapfen kann. Um halb neun sind wir da. Nach einem kurzen Brainstorming, ob wir wirklich bereits vor dem Frühstück Wein trinken wollen, entscheiden wir uns für eine kleine Probierration.
Gut, dass ich seit Tag eins einen Plastikkaffeebecher mit mir rumschleppe. Der kommt jetzt endlich mal zum Einsatz. Ich zapfe und probiere. Es schüttelt mich ordentlich, was sowohl daran liegt, dass es einfach noch viel zu früh ist, als auch daran, dass der Wein extrem sauer ist. Ich bin umso verwunderter, dass es Leute gibt, die sich hier eine Wasserflasche voll Wein abzapfen. Entweder haben die das Gesöff nicht vorher probiert, oder sie feiern alles, was umsonst ist. Ich zapfe jedenfalls im Anschluss lieber Wasser. Das war ja ein ziemlicher Reinfall.
Wenige Meter weiter befindet sich das Kloster von Irache. Leider sind alle Türen zu, und so gehen wir weiter.
Schnatterliesen unter sich
Der Weg besteht nun aus steinigen Pisten, die wenig Spaß machen. Das flache Geradeauslaufen ist anstrengender als das Auf und Ab der letzten Tage, weil es so monoton ist und man die Füße nicht bewusst aufsetzt, sondern eher vor sich hin trottet. Mein Knie meckert leise, aber zumindest meine Füße machen brav mit. Ich löse mich von Rob und laufe allein, um ein wenig Musik hören zu können. Das hilft mir immer am besten, wenn ich gerade nicht so motiviert bin.
Während ich mit Sting & The Police versuche, meine Laune auf Vordermann zu bringen und eine längere Zeit Blick auf das Areal eines riesigen Campingplatzes zu meiner Rechten habe, taucht eine langsam laufende Frau mit großem Rucksack vor mir auf. Schlagartig identifiziere ich sie als „Mädels“, die schreiende Kommandozentrale aus Obanos. Die hat mir heute gerade noch gefehlt! Also pirsche ich mich möglichst nah an sie heran, murmele dann Buen Camino und gehe schnellen Schrittes weiter. Auf die habe ich nun wirklich gar keine Lust. Offensichtlich gilt das Gleiche für ihre Begleiterinnen aus Obanos, denn Mädels läuft alleine, ohne ihre Mädels. Weit und breit ist niemand zu sehen, und ich gebe Gas, damit das auch ja so bleibt. Mädels sieht vermutlich nur eine Staubwolke, als ich an ihr vorbei bin.
Nachdem ich ein Stück durch einen Wald gelaufen bin, steigt der Camino leicht an. Unterwegs komme ich am mittelalterlichen Maurenbrunnen vorbei. Ich hatte mir irgendwie etwas Hübscheres darunter vorgestellt. Der Reiseführer sagt nämlich, man möge zwar das Wasser besser nicht trinken, sich dafür aber an seinem Plätschern erfreuen. Mich erinnert die gemauerte Konstruktion eher an eine frühzeitliche Bushaltestelle, in der mich eine recht triste Kloake erwartet, von deren Wänden es langsam tröpfelt.
Ich lasse den Ort, der sicher an heißen Tagen ein willkommener Schattenspender ist, ohne ein Foto zu machen schnell hinter mir und steuere vorbei an blühenden Rapsfeldern auf Villamayor de Monjardín zu.
Um zwölf im Ort angekommen, sinke ich auf ein kleines Mäuerchen. Ich muss mal kurz pausieren. Einige Minuten später läuft eine junge Frau auf mich zu und ruft mir ein freundliches Hallo zu. Gott sei Dank ist es nicht Mädels, sondern ich erkenne Kati aus Berlin, die mir in Pamplona in der Casa Paderborn von ihrem Regen-Schnee-Trip über die Pyrenäen erzählt hat.
Wir kommen umgehend ins Gespräch. Katis Begleitung, mit der sie damals unterwegs war, hat in Pamplona aus Zeitgründen per Bus ein paar Etappen übersprungen. Kati hat sich daraufhin einem Deutschen angeschlossen, der mit Hund unterwegs war. Das hat sie aber irgendwann genervt, erzählt sie. An jedem Bauernhof mit Hund kam es zum Bell-Battle zwischen dem vierbeinigen Lokalmatador und dem fremden Herausforderer, und auch die Unterkunftssuche gestaltete sich deutlich schwerer. Sie haben als letztes in einem AirBnB übernachtet, was ihr dann irgendwie ein bisschen zu viel geteilte Privatsphäre und zu wenig Pilgerfeeling war. So läuft sie momentan allein.
Wir gehen gemeinsam weiter und schaffen es, die im Reiseführer als eher langweilig beschriebene Strecke quatschend zurückzulegen. In rasantem Tempo kommen wir vom Hölzchen aufs Stöckchen, reden über Freunde und Exfreunde, unsere Familien, Gründe für den Camino, unsere bisherigen Erlebnisse und albern herrlich rum. Es hat ein bisschen was von Klassenfahrt, als wir uns gegenseitig unsere seltsamsten Begegnungen aufzählen. Während Kati mit Mädels nicht viel anfangen kann, ist sie überzeugt, Laber-Opa im selben Café in Cizur Major angetroffen zu haben wie Torsten und ich.
Nach einer guten Stunde machen wir ein gemeinsames Raucherpäuschen, das sich zu einem halbstündigen Sit-In entwickelt. Die anderen Pilger sehen lachend zu uns kicherndem Duo herüber und wünschen uns schmunzelnd Buen Camino. Es ist wirklich total schön, zur Abwechslung mal wieder jemand Neues zu treffen. Die Zeit fliegt nur so an uns vorbei, die insgesamt 12 Kilometer durch Felder und Blumenwiesen ebenso.
Ehe wir uns versehen, liegt Los Arcos vor uns. Wir wollen beide in die gleiche Unterkunft, die Casa Austria, eine von österreichischen Hospitaleros betriebene Herberge, in der es laut Reiseführer bayerisches Weizen für €2,50 und selbstgemachtes Brot zum Frühstück gibt.
Vatertag in der Casa Austria
In Los Arcos angekommen haben wir Glück und ergattern tatsächlich ein Bett in der Albergue. Nach dem Check-In machen wir uns auf die Suche nach unseren Betten (Kati und ich landen beide oben, aber das Hochklettern macht uns schon lange nichts mehr aus). Auf dem Weg dorthin krache ich fast mit Olli zusammen. Die Freude ist groß. Er ist mit Torsten und Nadine hier, sowie ein paar anderen Deutschen, die alle mit uns in der Casa Paderborn waren, sagt er. Sie sitzen alle im Innenhof an den Biertischen und lassen es sich zum Vatertag gut gehen.
Kati und ich machen schnell unsere Betten fertig, duschen und massieren unsere Füße. Zum Waschen müssen wir in den Innenhof, wo es gleich zum großen Hallo kommt. Torsten und Olli sitzen mit 6 anderen an einer langen Bierbank vor ihrem Weizen. Ich stelle Kati vor, herze Nadine, die seit Eunate bei den beiden Mainzern geblieben ist und erkenne zudem Passau-Olli, der mich in Pamplona vor seinen Schnarchfähigkeiten gewarnt hatte, wieder. Außerdem sind da noch Siggi, Markus und der Pfarrer von Passau-Olli, dessen Namen ich vergessen habe, sowie die beiden Frauen – die Kurzangebundene mit den kurzen Haaren und die hübsche, jüngere Frau, die immer sehr nachdenklich und etwas spaßbefreit wirkt.
Wir geben Gas und waschen unsere Sachen. Dass wir dabei Zuschauer haben und angefeuert werden, ist mal ganz was Neues. Es gibt eine interessante Press-Konstruktion, die das Wasser aus den Kleidern drückt, wenn man ordentlich eine Kurbel schwingt. Passenderweise zeigt der eigene Hintern dabei in Richtung der Bierbänke, wie Kati erfahren darf, als das Gejohle zunimmt, als sie zu kurbeln beginnt. Kati nimmt es sportlich und posiert noch ein wenig. Nach getaner Arbeit sinken wir neben Olli und Torsten auf die Bank. Da die Jungs einen Vorsprung von vier Bier haben, machen wir uns an die Verfolgungsjagd. Die Stimmung ist ausgelassen. Wir lachen bei zunehmend sinkendem Niveau immer mehr. Den beiden Frauen werden die immer derber werdenden Witze zu bunt und sie gehen rein, nicht ohne uns alle noch mit einem vernichtenden Blick zu strafen.
Kati und ich schmunzeln, als am Tisch erste Befürchtungen laut werden, dass das der Stimmung morgen mit den beiden Ladies nicht unbedingt zuträglich sein wird. Wie gut, dass wir beide nicht in einer größeren Gruppe unterwegs sind. Die anwesenden Herren entscheiden jedoch scnell, dass Vatertag als Grund akzeptiert werden muss und es gerade viel zu lustig ist, um den Fuß jetzt vom Gaspedal zu nehmen und ordern die nächste Runde. Weiter geht es – es darf geflirtet werden. Welchen von ihnen wir nehmen würden, wenn wir uns entscheiden müssten, ist dabei noch eine der unverfänglichsten Fragen, die Kati und ich beantworten sollen.
Pilgermenü durch zwei
Abends gehen wir gemeinsam ins Ortszentrum und suchen nach einem Lokal, das Platz für uns alle bietet. Auf dem Marktplatz werden wir auf einer Terrasse fündig. Der Kellner hat ordentlich zu tun, denn neben uns befinden sich weitere Horden von hungrigen Pilgern auf dem Platz. Es dauert gefühlt Stunden, bis wir bestellen dürfen. Torsten und ich sind auf die grandiose Idee gekommen, uns ein Pilgermenu zu teilen. Die Berge, die in der Regel aufgetischt werden, überfordern meine Essenskünste nämlich nach wie vor. Als das Essen dann endlich kommt und wir mit unseren zwei Gabeln vor gefühlt einem Kilo russisch Ei als erstem Gang sitzen, feiern wir uns für diesen genialen und noch dazu budgetoptimierten Schachzug.
Während wir auf den zweiten Gang warten, entdecke ich plötzlich Rob auf dem Marktplatz. Was bin ich doch für eine treulose Tomate! Erst jetzt fällt mir auf, dass ich mir über den Verbleib meines Lieblingsniederländers vor lauter Kati-Time gar keine Gedanken mehr gemacht habe. Ich gehe schnell zu ihm rüber und erkundige mich nach seiner Unterkunft. Er ist woanders gelandet und mit Pilgern, die er heute kennengelernt hat, zum Essen verabredet. Ich muss mir also offensichtlich keine Gedanken um ihn machen. Vielleicht tut es uns beiden zur Abwechslung ja mal gut, auch andere Leute kennenzulernen, nachdem wir neun Tage gemeinsam unterwegs gewesen sind.
Zurück am Tisch wird bald darauf der zweite Gang serviert, gefolgt von dem unverzichtbaren Dessert. Merke: man wird auch von einem halben Menu del Peregrino satt. Im Anschluss sitzen wir noch eine Zeit lang zusammen und machen uns kurz nach neun alle gemeinsam auf den Rückweg in unsere Unterkunft. Kati und ich sind uns einig: das war mal eine nette Abwechslung, aber keine von uns kann sich vorstellen, jeden Abend so zu bechern und noch weniger, dauerhaft in einer so großen Gruppe unterwegs zu sein, die noch dazu ausschließlich aus Deutschen besteht. Aber das Schöne ist ja, dass wir das auch überhaupt nicht müssen. Wir beide werden morgen als Duo weiterlaufen.
Um halb zehn sind wir in der Herberge. Im Schlafsaal wurde bereits das Licht ausgeschaltet und so tapsen wir im Schein unserer Handys zu unseren Betten, schnappen uns die Kulturbeutel, die natürlich griffbereit am äußeren Bettrand auf uns warten (man wird halt Profi) und machen uns schnell bettfertig.
Mit Kati ist übrigens eine ganz besondere Person in mein Leben getreten. Bis heute sind wir befreundet, besuchen uns regelmäßig und planen unsere nächste Wanderung. Da ich weiß, dass Kati mitliest, an dieser Stelle noch einmal eine virtuelle Umarmung, die Echte kriegst du nächsten Freitag, meine Liebe. Schön dass wir ineinander gelaufen sind!
Zeitreise
Vorwärts: Möchtest du wissen, wie es weitergeht? Bleiben Kati und ich zusammen, was wird aus unserer Casa Austria Gruppe? Das und vieles mehr erfährst du auf dem Stück von Los Arcos nach Viana.
Rolle Rückwärts: Du hast den Vortag verpasst und möchtest dir nicht entgehen lassen, wo es das beste Pan de Chocolate gibt, wieso einem die Welt zu Füßen gepflanzt wurde, wieso ich die alten Römer verflucht habe und Jan Böhmermann jetzt auch in Brasilien bekannt ist? Dann komm mit von von Obanos nach Estella.
Bist du vielleicht zum allerersten Mal hier und möchtest bei Tag Eins loslegen? Dann hier entlang.
Kommentare und Ergänzungen
Hat dir mein Beitrag gefallen oder hat dich etwas gestört? Sprich mit mir – ich freue mich über deine Kommentare.
Bist du selbst dieses Stück des Jakobswegs gelaufen oder gehörst du zu denjenigen, die an diesem Tag dabei waren und hast noch etwas zu ergänzen, was ich vielleicht vergessen habe? Dann teile dich gern mit.
Ach ich muss einfach wieder los! Immer nur diese Kurztrips! Einfach jedes Stunde des Tages für mich haben! Alles Liebe
Juhu – du liest mit. Das ehrt mich. Wie steht es denn um deine Pläne, mit deiner Schwester den Jakobsweg zu gehen? LG
ja wollen wir machen, aber ihr sohn ist n
in der schule, wir muessen warten, oder sie findet eine loesung, ich wuerde gern naechstes jahr gehen, im juni!!!!
…und so fing unsere Geschichte an 🙂
Wobei ich dich hier einmal korrigieren muss. Wir haben zwar nach unserer Ankunft die Betten bezogen, sind dann aber erstmal zum Bier übergegangen. Ein Auszug aus meinem Tagebuch:
„… Einer Einladung auf ein Weißbier im Hinterhof konnten wir nicht widerstehen. Da konnte selbst die Dusche warten. Sogar für 2 Stunden. Es fühlte sich einmal mehr an wie eine Klassenfahrt: herzliche Lacher, gute Geschichten, viel Bier und ein sinkendes Niveau.“ Nach 2h und etlichen Weißbier beschlossen wir endlich mal zu duschen und unsere Wäsche zu waschen, weil letztere sonst nicht bis zum nächsten Tag trocknen würde. Und ja, da war voller Körpereinsatz gefragt an dieser alten Kurbelkonstruktion. Ich grinse und lache jetzt noch, wenn ich daran denke.
Danke für diese tolle Erinnerung. Ich freue mich auf unser Wiedersehen nächste :-*
Oh weia. Da habe ich ja brutal die Tatsachen verdreht 😉
Gott sei Dank habe ich hier die Zeitzeugin. Und wie herrlich, dass es gleich zwei Beschreibungen in unsere Tagebücher geschafft haben: Klassenfahrt und sinkendes Niveau 🤣
Es ist immer wieder Interessant ueber Ihre Erinnerungen zu lesen. Vieles kommt mich bekannt hervor Mit freunliche Grusse Thijs
Feel free to write in English or in Dutch, Thijs. If you come up with „Ihre Erinnerungen“ and „Freundliche Grüße“ People might think we never met.
And – by the way – I love the fact that you are followin. Only a few more tours and we will meet 🙂
I too love KAS Limon
Zurecht – KAS Limon ist einfach das effektivste Mittel, um mich wieder nach vorn zu bringen 🙂
Wie schön, dass du meine Bgeisterung teilst, Hans-Jakob