VI (Rheinsteig) – Von Rengsdorf nach Vallendar

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Tag 6 auf dem Rheinsteig – ich lege einen unfreiwilligen Striptease im Wald hin, klettere anmutig wie Cheetah einen Hang hinab, fühle mich wie der Knabe im Moor, freunde mich mit einem Strohballenwesen an, erwische Master Yoda im Urlaub und entscheide mich weiter zu wandern statt mit dem Pizzalieferanten durchzubrennen (6. Oktober 2017, 26 km).

Nach einer erholsamen Nacht (wie ich Rollos liebe, die den Raum komplett abdunkeln) weckt mich das Geräusch von prasselndem Regen. Na super, denke ich. Es ist eine Sache, beim Laufen mit und mit nass zu werden, aber etwas völlig anderes, bei Regen zu starten. Zumindest mir geht das augenblicklich auf Lust und Laune.

Ich begebe mich also erst einmal zum Frühstück und lasse mir Zeit. Vielleicht ändert sich ja noch was. Laut Wetter-App soll es heute zumindest nicht durchregnen. Das Buffet lässt keine Wünsche offen. Zu allem Überfluss gibt es auch hier Papiertütchen, damit man sich etwas für unterwegs mitnehmen kann. Ich schmiere mir also mal wieder Brote wie ein Weltmeister und schnappe ein Gespräch am Nebentisch auf.

Das Paar wollte wohl auch ein paar Tage auf dem Rheinsteig laufen, doch sie hat Probleme mit Fuß und Knie und so müssen sie abbrechen. Ja, sie hätten die Schwierigkeiten völlig unterschätzt, erzählen sie meiner Wirtin. Ich kann nur innerlich nicken. Das ist hier schon eine andere Nummer als beispielsweise mein Jakobsweg. Der war zwar deutlich länger, und ich musste durch die Pyrenäen, aber das betraf nur einzelne Tage. Aktuell gilt es, täglich mehrmals Steigungen zu verkraften. Das ewige Auf und Ab geht ordentlich auf die Knochen. Netterweise dürfen die beiden also ihr Zimmer vorzeitig kündigen. Das nenne ich Kundenservice!

Schlingerei im Wald

Ich breche kurz vor zehn auf. Der Regen hat tatsächlich aufgehört. Vor mir liegt ein langer Tag bzw. zwei offizielle Etappen, wenn man dem Rheinsteig-Führer glaubt. 15 Kilometer schienen mir zu kurz, und so habe ich mich entschieden, 27 daraus zu machen. Ich weiß, dass ich das schaffe. Eine 20 km Zwischenlösung gibt es leider nicht.

Es wäre zu schön, wenn auf jeder Höhe Orte mit Unterkünften zu finden wären. Doch hier gibt nur die Möglichkeit, über Zubringerwege in Ortschaften abzusteigen. Ich versuche hingegen, nach Möglichkeit Orte zu wählen, die nah am Steig sind, um nicht noch Extrastrecke zu machen.

Gleich um die Ecke des Hotels geht es auf den Rheinsteig und in nur wenigen Minuten bin ich im Wald. Der Regen der letzten zwölf Stunden hat deutliche Spuren hinterlassen. Ich stehe stellenweise knöcheltief im Matsch, und oft gibt es nur einen Weg, um die Pfützen zu überwinden: mitten hindurch. img_7916-1Was lobe ich mir meine Wanderschuhe, in denen meine Füße trotzdem trocken bleiben und wie schade, dass sie, nur wenige Stunden, nachdem sie blitzeblank waren, schon wieder komplett versaut sind. Immerhin bleibe ich halbwegs trocken. Ab und an kommt sogar die Sonne raus.

Ich laufe durch einen ziemlich düsteren Tannenwald aufwärts den Wingertsberg hoch und anschließend wieder runter, immer weiter in Richtung Sayn. Das Laufen läuft nicht so richtig, denn die schlammige Wegbeschaffenheit sorgt dafür, dass ich jeden Schritt mit äußerster Vorsicht unternehme. Fuß aufsetzen, belasten, Stock aufsetzen, andere Seite. Es ist recht nervig, weil der Fuß entsprechend häufig wegglitscht. Man muss schon sagen – der Rheinsteig entschleunigt.

Tatort Haus am Pilz

Es gibt wahrlich wenige Highlights heute, dementsprechend auch überhaupt keine Fotos von diesem Abschnitt. Ich laufe am Leistungszentrum der rheinland-pfälzischen Reiter vorbei, den Geruch von Pferdeäpfeln in der Nase, weiter durch die Pampa zum Haus am Pilz. Es handelt sich um ein an einer Straße mitten im Wald gelegenes Restaurant oder Café mit dem Charme eines Hundehaufens.

Der Bumms ist natürlich geschlossen und sieht auch nicht so aus, als sei das irgendwann in den letzten Monaten mal anders gewesen. Es wäre die perfekte Location für einen Tatort zum Thema Zwangsprostitution oder verschleppte Kinder. Als dann auch noch aus dem Nichts, passend zum heimeligen Flair des Ortes, das aggressive Bellen und Knurren eines Hundes ertönt, sehe ich zu, dass ich weiterkomme.

Rückblickend finde ich es spannend, wie sehr Wetterverhältnisse meine Etappenerlebnisse prägen. Ich kann mich z.B. an diesen Teil des grauen Tages kaum erinnern, während mir andere Tage mit schönem Wetter unheimlich präsent geblieben sind. Meine Hauptbeschäftigung zwischen Rengsdorf und Sayn ist wohl inneres Schrittezählen, kombiniert mit der Frage, wo ich heute schlafen werde. Ich habe online leider keine passende Unterkunft in Vallendar gefunden. Meine Rengsdorfer Wirtin hat mir allerdings verraten, dass es eine Tourist-Info im Schloss Sayn gibt, die mir sicher weiterhelfen kann.

Striptease in der Waldhütte

Ich bin gerade mitten im Wald, als ich wie so häufig in den letzetn Tagen mal wieder dringend auf Klo muss. Ich habe Glück und muss nicht lange warten, bis eine Schutzhütte auftaucht, in der ich meinen Rucksack trocken abstellen kann. Kaum fertig, fängt es an zu nieseln. Und während ich noch überlege weiterzugehen, weil ich heute noch viele Stunden vor mir habe, wird aus dem Niesel astreiner Regen. So richtig. Es klattert um mich herum.

Ich bleibe also kurzerhand in der Hütte und warte. Und warte. Und warte. So langsam wird mir kalt, und ich passe mich bestmöglich der Situation an, entledige mich meines verschwitzten Langarmshirts (geht doch nichts über einen kleinen Striptease in einer Waldhütte), werfe mir drei neue Lagen über und setze mich auf die Bank. Nach zehn Minuten wickle ich mich zudem noch in ein Handtuch, das als Deckenersatz herhalten muss und harre der Dinge, die da kommen werden.

Es dauert geschlagene 25 Minuten, bis der Regen aufhört, und ich kann euch verraten, dass sich 10 Grad ganz schön frisch anfühlen können, wenn man sich nicht bewegt. Der Regenradar ist mein bester Freund. Seine Prognose, dass es um 13:15 Uhr vorbei ist, trifft ein, und so mache ich mich also weiter auf den Weg. Ärgerlich nur, dass ich ausgerechnet heute so viel Zeit verloren habe.

Sayn muss nicht sein

Im erneuten Nieselregen erreiche ich den Zoo von Neuwied. Ich sehe nur die bunt bemalten Außenwände, auf denen kindgerechte Darstellungen der Zoobewohner zu sehen sind und höre das ein oder andere Tier. Es ist nichts los. Kein Wunder bei dem Wetter. Weiter geht es. Es ist nun nur noch eine gute halbe Stunde bis Sayn. Das Schloss soll einen schönen Schmetterlingsgarten haben, den ich mir aber schenken werde. Ich muss weiter. In Sayn ist ja gerade mal die Hälfte des heutigen Tages geschafft.

Als ich vor dem Schloss stehe, bin ich irgendwie enttäuscht. Hatte mir etwas mehr Glanz und Gloria versprochen. Stattdessen liegt das Gebäude an der Straße direkt im Ort.img_7918 Die Tourist-Info ist schnell gefunden, nachdem ich mich erfolgreich durch eine Hochzeitsgesellschaft gewühlt habe. Als ich nach zehn Minuten an der Reihe bin, muss ich erst mal erzählen. So oft verirren sich Menschen mit großen Rucksäcken wohl nicht hierher.

Ich habe ein latent schlechtes Gewissen, mit meinen dreckigen Schuhen auf dem sauberen Boden zu stehen, doch die nette junge Frau hinter dem Tresen zerstreut all meine Bedenken. Sie fragt mich aus, wie es ist, den Rheinsteig am Stück zu laufen. Sie habe selbst auch schon ein paar Etappen gemacht. Die Vorstellung mehrere Tage am Stück zu laufen, fasziniere sie. Mit dem Jakobsweg habe sie deshalb auch schon immer mal geliebäugelt. Auch wenn sie damit noch ein paar Jahre warten müsse, weil ihre Kinder klein seien, werde sie sich diesen Traum eines Tages erfüllen.

Ich schmunzle und erzähle ihr, dass der Jakobsweg „Schuld“ an meiner Wanderbegeisterung ist. Nachdem ich auch von diesem Abenteuer ein bisschen erzählt habe, schildere ich ihr mein aktuelles Anliegen. Ich suche eine Unterkunft in Vallendar. Sie guckt überrascht. Das sei aber noch ein ziemliches Stück, und so viele Möglichkeiten gäbe es da leider nicht. Die Tourist-Info habe zumindest keine großen Tipps. Ich frage, wie es in Sayn selbst aussehe und sie schüttelt den Kopf. Hier sei alles furchtbar teuer und ausgebucht. Ich erkläre ihr, was ich brauche – einfach nur ein Bett und eine Dusche. Sie zwinkert mir zu – sie könne mir trotzdem helfen. Ich habe Glück. Sie selbst wohne nämlich in Vallendar. Auch wenn ihre eigene Ferienwohnung gerade belegt sei, habe sie eine Freundin, die ebenfalls vermiete und die würde sie jetzt mal schnell anrufen.

Sayner Seilschaften in Vallendar

Sie holt ihr privates Handy raus, erkundigt sich kurz, wie es allen geht, und fragt dann nach dem Zimmer. Trauriger Blick, „ach ihr seid schon voll, kennst du sonst jemand, ah ok, wie heißt die, aha, und wer ist das? Ich habe hier nämlich eine sehr nette junge Frau stehen.“ Sie legt auf und ruft die neue Nummer an, stellt sich kurz vor, schildert die Lage, Pause. „Ach, Sie renovieren gerade! Hmm. Ich reiche Sie mal direkt an die junge Frau weiter!“

Ich übernehme und werde mir mit der Dame am anderen Ende der Leitung schnell einig. Es handelt sich um eine Einliegerwohnung gleich im oberen Ortsteil von Vallendar. Durch die aktuellen Renovierungsarbeiten seien leider nicht alle Zimmer nutzbar, sagt sie. Ich lache und erkläre, dass mir das herzlich egal ist, solange Schlaf- und Badezimmer bewohnbar seien und das sind sie. Kurz darauf habe ich für 45€ eine Bleibe, wenn auch ohne Frühstück. Aufgrund der Umstände bietet mir die Vermieterin an, dass sie auf die 25€ Entreinigung verzichten will (das wäre mir dann aber auch wirklich zu viel gewesen).

Ich bin froh, etwas gefunden zu haben und beschließe, ab jetzt meine Unterkünfte vorab zu buchen, auch wenn das heißt, dass ich konkrete Etappenziele bereits morgens festlegen muss und nicht meine tägliche Kondition darüber entscheiden lassen kann, wo es hingeht. Die romantische Vorstellung, wie ich in einen Ort einlaufe, mich spontan entscheide, dort zu bleiben und mir einfach schnell eine Unterkunft suche, ist hiermit begraben. Das mag auf dem Jakobsweg funktionieren, wo wirklich jedes Örtchen ein Hostel hat, aber nicht auf dem Rheinsteig. Ich verabschiede mich herzlich von der Mitarbeiterin des Touristenbüros und bedanke mich für ihren grandiosen persönlichen Einsatz.

img_7921Der Aufstieg zur alten Burg geht direkt am Schloss vorbei, über die Terrasse und zu einem romantischen Eingang, durch den man zum Standesamt kommt.Standesamt von Sayn am Rheinsteig

Cheetah wäre stolz auf mich

Kurz darauf kraxle ich auf einem kleinen Schleichweg durch ein Wäldchen. Es ist absolut abenteuerlich, weil der Weg maximal als Trampelpfad durchgehen würde, und ich fluche, als mein Rucksack mehrfach am Astwerk hängen bleibt. Links unter mir verläuft eine kaum befahrene Straße, aber ich schlage mich lieber durchs Dickicht. Na toll. Und dann bricht der Weg auf einmal ab. Eine Markierung sehe ich auch nicht. Ich stehe mitten im Wald. Nützt nichts. Zurück gehe ich ganz bestimmt nicht noch mal.

Cheetah-mäßig hangele ich mich von Baum zu Baum die Böschung hinunter auf die Straße. Und tatsächlich, kurz darauf stoße ich wieder auf die vertraute Markierung. Ich hätte also einfach den geteerten Weg nehmen sollen, statt mich durch Flora und Fauna zu kämpfen. Oben angekommen erwartet mich auf einem Parkplatz eine Baustelle samt Bauarbeitern und schwerem Gerät.

Die Herren schauen ein wenig verwundert, als ich sie frage, ob sie wüssten, ob ich richtig laufe, wenn ich hier nach rechts in den nächsten Wald abtauche. Wissen sie nicht. Ich versuche es einfach trotzdem und ja, ist richtig. img_7922

Der Rheinsteig schlängelt sich hoch und runter, alles auf hübschen schmalen Pfaden. Ich sehe riesige Pilzformationen und bewundere einen Greifvogel, der auf einem Baumstumpf sitzt, aber leider majestätisch von dannen fliegt, als ich ein Foto machen möchte. img_7924

Niesel und Sonne wechseln sich ab, und ich bin froh, dass der Weg von so vielen Wurzeln durchzogen ist. Das ist zwar beschwerlich beim Gehen, aber zumindest finde ich so auf den schlüpfrigen Stellen Halt.

Ich steige über Serpentinen hinab ins Brexbachtal, passiere ein Viadukt und überquere den Bach, in dem sich ein großer Hund begeistert austobt. Anschließend steigt der Weg (natürlich) wieder an. Ich verschnaufe kurz auf einer überdachten Bank.

Ein Schild klärt mich derweil über das Leben des Bonner Archäologen Georg Loeschke auf, dem wir eine Rekonstruktion eines römischen Wehrturms verdanken.img_7925 Wenig später laufe ich an ihm vorbei.

Der Rheinsteig gönnt mir kurz einen tollen Blick auf das Rheintal, bevor ich den Wald wieder verlasse und ein flaches Stück an Feldern vorbei laufe.img_7926 Zu meiner Rechten taucht mitten im Nichts die Waldgaststätte Meisenhof auf, die sogar geöffnet hat. So viele Tage, an denen ich gern einen Kaffee getrunken hätte, und ausgerechnet heute habe ich keine Zeit. Ich will auf jeden Fall vor Einbruch der Dunkelheit in Vallendar sein. Da hat Kaffeetrinken leider das Nachsehen.

Um vier erreiche ich das Wohngebiet von Bendorf. Die Sonne kommt noch einmal raus. Auf einem Mäuerchen mit einer lustigen Oktoberfest-Figur im Rücken, mache ich eine Mini-Pause.img_7928 Dann geht es, an einem Sportplatz vorbei und durch den Ort, weiter. Ich verirre mich, treudoof einer Beschilderung folgend, kurz auf das Gelände des Hotelkomplexes Friends, bemerke meinen Fehler und gehe zurück zum Bürgersteig, vorbei an einem weiteren, sehr dunkel gestrichenen Budget-Design-Hotel.

Ich wundere mich – sowohl über die Tatsache, dass es in diesem Kaff ein so großes Angebot an Übernachtungsmöglichkeiten gibt, als auch darüber, dass ich nichts davon wusste. Bendorf als Etappenziel wäre, was die Distanz anbelangt, gar nicht so schlecht gewesen. Andererseits möchte ich hier eigentlich auch nicht tot über dem Zaun hängen.

Es zieht sich wie ein Regenbogen

Der Weg biegt ab, und ich laufe an einem Bächlein entlang, über Steinplatten mitten hindurch und weiter, bergauf in Richtung Galgenberg, wo ein recht unspektakuläres Stück querfeldein auf mich wartet. Im Hintergrund höre ich das Rauschen der Autobahn.

Ich durchquere oder umgehe Pfützen und steuere auf den Sonnenhof, einem Reitstall, zu. Inzwischen laufe ich nur noch um des Laufen willen. Ich bin wirklich müde, aber vor mir liegen nach wie vor sechs Kilometer. img_7929Einziger Lichtblick auf diesem Stück ist ein Regenbogen, den ich eine Zeit zu meiner Linken bewundern darf.

Am Reiterhof angekommen freue ich mich über eine kleine Schutzhütte. Socken wechseln ist einer meiner letzten Tricks, wenn ich müde bin. Es sind die kleinen Dinge, die einem neue Kraft geben. Frische Socken gehören definitiv dazu. Vorher massiere ich sie noch mit einer Portion Hirschtalg.

Und tatsächlich, sie fühlen sich gleich deutlich wohler, so dass ich halbwegs frisch weiter stapfen kann (so frisch, wie man sich mit 20 km in den Beinen halt ist).

Der Knabe im (Schmatzenmühlen)Moor

Ich unterquere die Autobahn und marschiere durch das Wüstenbachtal, bevor es hinab zur Schnatzenmühle geht, Tiefpunkt meines heutigen Weges. Der Weg ist hier strenggenommen überhaupt nicht mehr passierbar. Riesige Pfützen, drum herum Matsch und keine Möglichkeit, dem Ganzen auszuweichen. Jede meiner Bewegungen wird von einem Schmatzgeräusch begleitet (Schmatzenmühle wäre irgendwie zutreffender). Bei jedem Schritt hoffe ich, dass mein Schuh nicht komplett einsinkt.

Ich komme mir ein bisschen vor wie Droste-Hülshoffs Knabe im Moor: „Unter jedem Tritt ein Quellchen springt, Wenn es aus der Spalte zischt und singt“. Die Schilder, die mir Betreten auf eigene Gefahr entgegenschleudern, sollte ich auf die verrückte Idee kommen, den Weg zu verlassen, machen es auch nicht gerade besser. Ich bin wirklich bedient und schlurfe meiner Wege (in etwa so wie man auf Schnee läuft, wenn man nicht weiß, ob es darunter vereist ist, nur dass man in diesem Fall nicht gleitet, sondern festhängt).

Auch dieser Abschnitt ist irgendwann absolviert, und so mache ich mich an das letzte Stück zum Wüstenhof, heute ein Restaurant. Hier schrieb Goethe angeblich sein Heideröslein. Ich muss noch das ein oder andere Auto vorbeifahren lassen. Die Insassen wollen vermutlich zum Essen dorthin. Ich unterdrücke den Wunsch, mich mitnehmen zu lassen.

Als ob mich irgendjemand mitnehmen würde! Meine Schuhe sind lehmverkrustet, die Versuche, sie im Gras halbwegs zu säubern sind gescheitert. Ich stoße mich vorwärts. Schritt für Schritt. Meine Stöcke schieben mich an, und dann ist es endlich geschafft. Hinter einer Kurve taucht der Wüstenhof auf.

Wo Master Yoda Urlaub macht

Ich begutachte die Anlage im Vorbeilaufen. Zu gern würde ich einkehren, etwas Essen und Trinken, aber es ist halb sechs und vor mir liegt schon wieder einsames Feld. Da möchte ich ungern allein im Dunkeln lang laufen. Außerdem wartet meine Vermieterin sicher auf mich. So habe ich leider nicht in Erfahrung bringen können, was es mit dem Gnom auf sich hat, der eine frappierende Ähnlichkeit zu Master Yoda aufwies und aus einem Fenster zu mir herunter schaute.Master Yoda am Fenster des Wüstenhofs am Rheinsteig Vielleicht wollte Yoda auch mal raus und macht hier Urlaub?

Ich laufe an der rosafarbene Säule, die dem Dichterfürst zu Ehren in den 1920er Jahren errichtet wurde und um die sich ein Rosenzweig rankt.img_7932 Dann biege ich rechts ab in Richtung Vallendar. Es ist Gott sei Dank nicht mehr weit. Mein Feldweg entlässt mich nach knapp 15 Minuten. Ich stehe vor Treppenstufen. Statt dem Rheinsteig nach rechts zu folgen, navigiere ich mit Hilfe von Google Maps geradeaus über die Treppen in das Wohngebiet, in dem sich meine heutige Unterkunft befindet.

Ich klingle an der Haustür. Schnell mache ich mich an meinen Schuhen zu schaffen. ich möchte das adrette Haus nicht mit dem Westerwalder Matsch besudeln. Eine nette Dame öffnet mir die Tür. „Da ist ja die Wanderin“, werde ich begrüßt. Wir müssen einmal um das Haus rum, um zu meiner Unterkunft zu kommen.

Ich stiefle mit offenen Schnürsenkeln hinter ihr her. Es geht steil bergab, und sie warnt mich vor, dass es glitschig sei und dass das Licht aktuell nicht funktioniere. Ich solle bitte gut aufpassen, wenn ich hier später lang gehe. Dann zeigt sie mir mein Zuhause für die nächsten 12 Stunden.

Besichtigungstour

Es ist tatsächlich eine komplette Wohnung. Ich schäle mich am Eingang aus meinen Schuhen und lasse mir alles zeigen. Das Schlafzimmer hat Panoramafenster, und mein Blick geht über Baumkronen hinweg ins Tal. Auf gleicher Höhe wurde ein Teich angelegt. Mir bleibt bei der Idylle glatt der Mund offen stehen. Es gibt außerdem noch eine kleine Küche und ein Bad.

Das andere Zimmer wird gerade neu gemacht. Ihr Mann soll endlich mal seinen ganzen Arbeitskram hierher entsorgen. Er sei jetzt in Rente und brauche seine 100 Aktenordner nun wirklich nicht mehr griffbereit im Erdgeschoss. Sie zeigt mir auch dieses Zimmer, das mit einer Treppe in die Wohnung nach oben verbunden ist. Ich müsse mir keine Gedanken machen, sie würden auf keinen Fall unangekündigt nach unten kommen. Das ist wahrlich meine kleinste Sorge.

In der Küche hat sie mir Tee und Kaffee hingestellt. Sie dachte sich, dass ich morgen früh vielleicht etwas Heißes trinken wolle. Milch hat sie mir auch hingestellt und Zucker. Ich könnte sie knutschen! Wo ich denn später etwas zu Essen bekäme, frage ich. Mein Magen hat sich schon ein paar Mal sehr deutlich zu Wort gemeldet. Sie empfiehlt den Wüstenhof, der sei am nächsten. Ins Dorf liefe ich noch einmal weitere 20 Minuten von hier.

Ich bin enttäuscht. In der Dunkelheit zum Wüstenhof laufen, reizt mich nicht so wirklich, auch wenn sie mir versichert, dass dort viele Leute mit ihrem Hund spazieren gehen würden. 20 Minuten ins Dorf latschen (und anschließend noch mal zurück), kickt mich aber irgendwie auch nicht.

Somewhere over the rainbow

Ich verabschiede mich von der netten Frau und springe unter die Dusche. Ich wasche erst mich, dann meine Klamotten. Das ist immer ein Zirkus. Gut, dass ich da inzwischen Übung habe und die Sachen zur Vorwäsche einfach immer direkt mit unter die Dusche nehme, wo ich alles mit meinen Füßen durchwalke. Heute bildet sich in der Dusche eine schöne Schlammbrühe. Kein Wunder bei dem Matsch.

Als alles erledigt ist, werde ich mit einem fantastischen Ausblick aus meinem Fenster belohnt. img_7934Die Sonne ist wieder durchgekommen, und über dem Wald zeichnet sich ein Regenbogen ab. Der zweite heute, und diesmal habe ich alle Zeit, ihn ausgiebig zu bewundern. Ich schnappe mir meine Zigaretten und rauche in den letzten Sonnenstrahlen.

Wieder drinnen greife ich mir mein Handy und mache mich auf die Suche nach einem Restaurant. Als ich auf der Seite der örtlichen Pizzeria bin, sticht mir das Wort „Lieferservice“ ins Auge. Dass ich da nicht von selbst drauf gekommen bin! In einer Mischung aus Mindestbestellwerterfüllung und gastronomischem Größenwahn bestelle ich mir eine Pizza UND Nudeln.

Das ist mein kleiner Versuch, dem, was ich heute verbrannt habe, etwas entgegen zu setzen. Ich sehe meine Gastgeberin im Garten und warne sie vor, dass es sein kann, dass der Pizzamann oben klingelt. Ich habe am Telefon zwar versucht, den Weg zu meiner Eingangstür zu beschreiben, aber es war schon schwierig genug, der Dame zu vermitteln, dass ich zwar hier wohne, mein Name aber nicht auf der Klingel steht.

Schlafen, warten, essen

Anschließend kümmere ich mich um eine Schlafgelegenheit in Oberlahnstein. Bei den Preisen schlackern mir einmal mehr die Ohren. Ich buche ein Hotel für 60€ (das ist noch eins der günstigeren), das auf den Bildern ganz passabel aussieht und versuche, mich nicht zu ärgern. Wie sagt Papa immer? „Es trifft ja keinen Armen.“ Eine Unterkunft brauche ich nun mal und wenn das die hiesigen Kurse sind, dann ist das wohl so.

Während ich auf mein Essen warte, klingelt mein Handy. Es ist mein Bekannter aus Jobtagen, der mit mir in Traben-Trarbach seinen Abend verbracht hat. Er will wissen, wie es mir geht und feiert mich, vor allem, weil ich nicht wie er damals, den Bogen durch den Westerwald ausgelassen und mit der Bahn abgekürzt habe. Er gibt mir noch einen Ausblick, was mich die nächsten Tage erwartet und wird nicht müde, von den Weintresoren zu schwärmen, die kommen werden.

Als wir auflegen, höre ich draußen Stimmen und ja, durch die Dämmerung stapfen der Pizzabote in Begleitung meiner Gastgeberin, die ihm den Weg weist. Ich freue mich wie ein Schneekönig, dass es endlich etwas zu Essen gibt, aber das Schicksal legt mich noch mal rein. Es soll noch 20 Minuten dauern, bis ich endlich ran darf, denn ich habe es mit einem SEHR kommunikativen Pizzafahrer zu tun.

Laberflash in der Küche

Er trägt netterweise die Sachen bis in die Küche. Als ich ihm das Geld in die Hand drücken will, eröffnet er das Gespräch. Ob ich alleine hier sei? Er habe gedacht, das Essen sei für zwei, aber da sei ja offensichtlich niemand sonst. Ich überlege kurz, ob es dumm von mir ist, das zuzugeben und ob ich lieber so tun sollte, als ob mein muskelbepackter und sehr eifersüchtiger Kampfsportler-Freund im Nachbarzimmer ist, entscheide mich aber dagegen.

Ja, genau, ich sei allein hier, und die Pizza wäre schon als Frühstück für morgen eingeplant, und außerdem fiele ich bald um vor Hunger. Zur Unterstreichung meiner Worte, lächle ich der Packung selig zu, aus der es verheißungsvoll duftet. Er ignoriert mich. So einfach komme ich nicht ans Ziel. Was es denn mit der Reise auf sich habe und wo ich herkomme und wieso ich das alleine mache. Geduldig beantworte ich seine Fragen, während sich meine Frage ausschließlich darum dreht, wie lange das Essen wohl in seiner Verpackung warm bleibt.

Und dann legt er richtig los. Wie ein volles Wasserbecken, aus dem man den Stöpsel zieht. Er hält mir einen 15 minütigen Vortrag zu seiner Vita. Danach weiß ich Bescheid. Weiß dass er mal als Außendienstler im Bankenbereich gearbeitet hat, dass er ein Burnout hatte, dass er von seinem Chef gemobbt wurde, dass die Finanzbranche menschenunwürdig ist, dass er Pizza ausfährt, um weiter unter Leuten zu sein und, und, und. Ich beschränke mich zunehmend auf knappe Ahs und Ohs und einen immer unbeteiligteren Gesichtsausdruck.

Ich breche ein Herz

Das kann doch echt nicht wahr sein. Da steht der Typ in der Küche und labert mich dicht. Als ich gar nicht mehr reagiere, erbarmt er sich endlich und holt sein Portemonnaie raus. „Das war ein tolles Gespräch. Ich habe mich lange nicht mehr so gut unterhalten.“ Was dem einen ein Gespräch ist, ist dem anderen ein Monolog, denke ich.

Ich bringe ihn noch raus, um ihm mit der Handytaschenlampe den Weg zu weisen. Gerade will ich mich umdrehen und endlich zu meinem Essen gehen, als er mich fragt, ob er mich am nächsten Tage auf einen Kaffee einladen könne. Ich sei so eine tolle Frau, und er würde sich nach Gesellschaft sehnen.

Ich gebe zu, ich habe oft genug gemeckert, dass es mir an Gesellschaft fehle, aber dabei hatte ich ein anderes Szenario im Kopf. Keinen wortgewaltigen Burnout-Patienten, der sich mal alles von der Seele reden will. Und so lehne ich dankend ab. Ich sei am nächsten Tag über alle Berge. „Kein Problem“, sagt er, dann reise er mir einfach hinterher. Ich schlage aus. Er hält dagegen.

Erst als ich meinen angeblichen Freund aus Hamburg, der sehr eifersüchtig sei, aus dem Hut zaubere, ist endlich Ruhe. „Wer nicht will, der hat schon“, höre ich ihn murmeln, und dann trennen sich unsere Wege endlich.

Kalorienkoma

Wieder drinnen mache ich mich gierig über meine inzwischen lauwarmen Tortellini alla Panna her und schaue Dance, Dance, Dance. Auf der Hälfte der Nudeln angekommen, schwenke ich noch auf die Sardellen-Pizza um. 10 Minuten später muss ich aufgeben. Mir ist latent schlecht. War wohl doch ein bisschen sehr optimistisch, gleich zwei Gerichte zu bestellen. Pappsatt schaue ich liegend den tanzenden C-Promis zu und schlafe noch vor der Punktevergabe ein.

Morgen komme ich auf meiner 23 km-Tour durch Koblenz und bin dann auf der Hälfte meines Rheinsteig-Abenteuers angelangt. Komische Vorstellung, dass ich vor 2,5 Wochen schon einmal in Koblenz war, als ich in Stolzenfels den Mosel-Camino begann. Diese Wanderung liegt gefühlt eine Ewigkeit zurück. Da war es noch sommerlich, während sich mir der Rheinsteig hauptsächlich herbstlich-grau präsentiert.

Für morgen ist aber wenigstens trockenes Wetter gemeldet, das ist ja auch schon mal was wert. Außerdem werden ab jetzt die vielen Burgen meinen Weg säumen, die ich früher immer aus dem Zugfenster bewundert habe. Wer mehr über die Etappen des Rheinsteigs lesen möchte und sich nicht nur auf meine Berichte verlassen möchte, dem sei der Blog von Aurora ans Herz gelegt, die sich den Rheinsteig in einzelnen Tagesetappen erobert hat und mit viel Power und Begeisterung (und manchmal sicher weniger Gemecker als ich) ihre Streck gemacht hat.

Zeitreise

Vorwärts: Bist du gespannt, an welchen Schlössern mein Weg vorbeigeht? Dann komm mit mir von Vallendar nach Oberlahnstein und werde Zeuge wie ich fast abbreche, aber dank eines Wunders nicht nur weitermache, sondern auch noch die belgischen Sinatras kennenlerne.

Rückwärts: Hast du verpasst, wie ich gestern im Westerwald zwar nicht Beate von Schwiegertochter Gesucht fand, dafür aber Super Mario? Dann geh mit mir Leutesdorf nach Rengsdorf und sei dabei, wenn ich vom Rollator frühstücke, Bäume umarme und alles in Sauce Hollandaise ertränke.

Hast du den Anfang verpasst und möchtest die ganze Wanderung nachlesen? Dann geht es hier entlang zu Etappe eins von Bonn nach Königswinter.

Kommentare und Ergänzungen

Warst du selbst auf dem Rheinsteig unterwegs? Hast du vielleicht sogar meine heutige Etappe ausprobiert? Was hat dir gefallen, was eher nicht so und gibt es noch etwas zu ergänzen?

Ich freue mich wie immer über deinen Kommentar.

5 Gedanken zu „VI (Rheinsteig) – Von Rengsdorf nach Vallendar&8220;

  1. Hallo, du Liebe!
    Dass du mich extra erwähnst! Wie nett ist das denn? Danke schön!!

    Der Pizzabote war ja echt mal ein nerviges Unikum. Muss ich mir merken für meine geplante Mehrtagestour auf dem König-Ludwig-Weg: Pizza immer direkt an der Tür bezahlen 🙂

    Bis wohin bist du beim Rheinsteig eigentlich gekommen? Bis Wiesbaden?
    Hast du Pläne für 2018?

    LG
    Aurora

    1. Das verrate ich doch an dieser Stelle noch nicht 😉
      Und ja, 2018 steht einiges auf dem Plan: Hildegard von Bingen Weg (April), Malerweg (Sommer) und ggf noch der Mullerthaltrail (Herbst). Mal schauen.
      Und ja, man lernt nie aus 😎

    1. Danke dir 🙂 Die Tour war zwischenzeitlich ganz schön fordernd, aber dennoch sehr schön.
      Und was 2018 anbelangt, sind die Touren alle zwischen 6 und 10 Tagen. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, nichts unter 300 zu machen, aber dann entgeht einem so viel 😉

Und was sagst Du?