Tag 11 auf dem Rheinsteig beginnt und endet auf wackeligen Beinen. Zwischendrin serviert er mir verlassene Partystätten, kalte Pasta, gute Gesellschaft und lässt mich kurz von einem Ende als Wasserleiche (alb)träumen. (11. Oktober 2017, 26 km)
Nach einer Nacht, in der ich wie ein Stein geschlafen habe, gehe ich mit (für einen Stein untypischen) wackeligen Beinen zum Frühstück hinunter in den Gastraum. Der gestrige Marathon fordert seinen Tribut, und ich hoffe, dass sich das Zittern in den Beinen gleich legt.
Die besten Frühstückstipps
Im Frühstücksraum erwartet mich ein tip-top Buffet, mit allem was dazu gehört und zudem ein bestens gelaunter Wirt, der sich gleich mal zu mir setzt. Er will nicht nur wissen, ob ich ein Ei möchte, sondern auch noch gleich alles über meine heutigen Pläne in Erfahrung bringt.
Ich erzähle, dass ich bis nach Assmanshausen gehen möchte, aber ein wenig Respekt habe, schon wieder eine so weite Strecke zu laufen. Der Mann ist natürlich ausgewiesener Experte und kennt die Rheinsteigabschnitte in der näheren Umgebung wie seine Westentasche. So serviert er mir zum Frühstücksei noch eine kleine Umleitung bzw. Abkürzung, die mir eine Schleife von ca. 3,5 km ersparen wird.
Ich müsse nur am Bahnhof von Kaub vorbeilaufen und dann von dort über den Zubringer zurück auf den Rheinsteig, statt dort einzusteigen, wo ich gestern aufgehört hätte. Wo wir gerade die Strecke besprechen, erkundige ich mich auch gleich noch nach der tatsächlichen Schwierigkeit der Stelle, die ich gestern umlaufen habe und erfrage auch gleich potenzielle Übernachtungsmöglichkeiten in Assmanshausen. Die Stelle, so sagt er mir, fährt sein Bruder mit dem Mountainbike runter (ist also wohl nur halb so schlimm) und in Assmanshausen gäbe es eine Menge Unterkünfte.
Er persönliche könne das Hotel „Zwei Mohren“ empfehlen, das sei allerdings einen Tick teurer. Es gäbe jedoch auch Übernachtungen im Pensions-Stil, und ich könne außerdem im Gasthof Schuster mal schauen. Ich entscheide, einfach vor Ort spontan zu entscheiden. Diesmal scheint es ja zumindest ausreichend Unterkünfte zu geben.
Wehrhafte Burg im Rhein
Ich esse so viel ich kann (was wie immer um diese Uhrzeit nicht allzu viel ist) und werde (mal wieder) explizit auf die bereit liegenden Pergamentpapiertütchen hingewiesen, damit ich mir auch bloß etwas einpacken kann. Ich muss jetzt immer schmunzeln, wenn mir jemand ein „Lunchpaket“ umsonst anbietet. Und dann geht es auch schon los.
Ich laufe zum Rhein hinab und werfe einen Blick auf das Blücher-Denkmal. Von dort sehe ich auch wieder die tolle Festung Pfalzgrafenstein, wie sie inmitten des Rheins in der Sonne strahlt. Ja, ihr lest richtig, es ist tatsächlich endlich mal gutes Wetter. Die Festung, die neben der Marksburg in Braubach die einzige am Mittelrhein ist, die nie zerstört wurde, verhalf General Blücher zum Sieg gegen die Franzosen, lese ich.
Der Empfehlung folgend gehe ich am Bahnhof vorbei und treffe dahinter alsbald auf die gelben Markierungen, die die Zubringerwege kennzeichnen. Der Weg schlängelt sich mit Blick auf den Rhein aufwärts, hoch in den Wald.
Ich laufe das Zittern aus meinen Beinen langsam raus und hoffe, dass sie mir auch die heutige Etappe noch verzeihen. Ich ertappe mich dabei, dass ich das Kapitel Rheinsteig so langsam abschließen möchte und so schnell wie möglich nach Wiesbaden will. Die allabendliche Einsamkeit geht mir zunehmend auf den Keks. Nach einer knappen Stunden finde ich eine Bank mit Blick auf die Burg und Kaub und richte mich dort fürs Erste häuslich ein.
Verlassene Partymeile im Zwergenstaat Flaschenhals
Ich laufe weiter durch den Wald und erreiche wenig später die „Partymeile“ des „Freistaates Flaschenhals“ – eine ziemlich verlassene Partymeile, um genau zu sein. Die Hütten und Stände lassen darauf schließen, dass hier, an der Grenze zwischen Rheinland-Pfalz und Hessen, zumindest temporär Gastronomie genossen werden darf, wenn auch nicht heute. Was genau es mit dem Freistaat auf sich hat, bringe ich nicht in Erfahrung, aber immerhin trage ich mich in das ausliegende, „goldene Buch“ (grüne Kladde wäre treffender) ein. Für Interessierte kommt hier die Geschichte hinter der Staatsgründung.
Zehn Minuten später liegt der Wald hinter mir. Ich gönne mir noch einmal eine tolle Aussicht und mache den kleinen Abstecher zur Wirbellay, einem Felsen, der als Aussichtspunkt bekannt ist.
Außer mir ist niemand da und so klettere ich auf das recht flache Schiefer-Podest und genieße den Rheinblick. Auf der gegenüber liegenden Seite liegt Bacharach und auch dieser Ort hat – natürlich – eine Burg (Stahleck) in petto, die oberhalb der Siedlung thront.
Es ist echt Wahnsinn, was sich hier an Schlössern und Burgen sammelt. Kein Wunder, dass Horden von amerikanischen und asiatischen Touristen jährlich auf dem Rhein lang schippern und nicht wissen, was sie zuerst fotografieren sollen. Während ich so nach Bacharach hinüber schaue, singt die Jukebox in meinem Kopf „Yes, Sir, I can boogie.“ Ja, das Damen-Duo hieß so ähnlich…
Ich verlasse meinen Spähplatz etwas widerwillig, zu schön war es in den Sonnenstrahlen. Aber wie wir wissen, laufen sich 27 Kilometer nicht von selbst. Außerdem steuert gerade eine vierköpfige Familie auf mich bzw. meinen Aussichtspunkt zu.
Kalte Pasta für das Burgfräulein
Mein Weg führt heute endlich wieder durch Weinberge, und ich laufe, immer mal wieder von Sonnenstrahlen begleitet, in einem Bogen an einer kleinen Kapelle, die leider zu hat, auf Lorch zu.
Es wird niemanden verwundern, wenn ich verrate, dass mich auch hier, und diesmal direkt am Weg, zur Abwechslung eine Burgruine erwartet. Gleich neben ihr ist ein Picknick-Tisch, von dem gerade zwei Erzieherinnen und ca. acht Kinder aufbrechen.
Ich studiere die Tafel, die mich schon einmal auf das „alpine Teilstück“ vorbereitet, das vor mir liegt, wenn ich auf direktem Wege nach Kaub will. Wie immer gibt es aber auch hier eine weniger fordernde Umleitung.
Die Erzieherinnen sehen mir zu und nehmen mir die Entscheidung ab. Es sei stellenweise steil, aber sie seien hier vorhin mit den Kids hoch gekommen, und das sei gut gegangen. Runter sei zwar meist gemeiner als hoch, aber es sei alles bestens mit Seilen gesichert.
Erst mal pausiere ich. Es ist kurz nach zwölf, und ich trage in meinem Rucksack schließlich noch kalte Bandnudeln mit Pfifferlingen durch die Gegend. Wieso nicht das Angenehme (essen) mit dem Nützlichen (Gewicht reduzieren) verbinden.
Ich mache es mir also auf der Bank gemütlich und ziehe mir die kalten Nudeln rein. An dieser Stelle sei gesagt, dass ich, auch wenn ich eigentlich ein absoluter kalte-Pasta-Fan bin, Pfifferlinge nur bedingt empfehlen kann. Aber egal, Hauptsache satt und kein Essen weggeworfen.
Kinderspiel
Mit neuem Kohlenhydratevorrat knöpfe ich mir die alpine Kletterstelle vor. Was die Kids schaffen, wird mir ja wohl auch gelingen. Sie ist tatsächlich gut machbar, auch wenn es wie immer leichter wäre, wenn ich keine Stöcke dabei hätte. Ich klemme sie mir unter den Arm, greife mir das Seil und bin wenig später in Lorch.
Was soll ich sagen. Der Ort ist mir wumpe. Ich laufe durch eine Unterführung an einem traurigen Rinnsal vorbei. Ich habe überhaupt keine Lust, mir das Dörfchen anzuschauen und gehe zügig weiter.
Der Rheinsteig führt vorbei an der Kirche St. Martin, die laut Tourenplaner für ihren Schnitzaltar und ihre Orgel berühmt ist. Leider kann ich keinen Blick hinein werfen. Die Kirche ist geschlossen, was ich wirklich bedaure.
So verlasse ich den Ort und bin kurz darauf wieder zwischen Rebstöcken. Der Herbst ist da, und der Farbenreichtum beeindruckt mich. Ein terrassierter Wingert liegt vor mir und leuchtet in allen Farben. Der Rheinsteig geht mittenhindurch.
Ich bewundere die vielen Schattierungen in grün und gelb, orange, rot und braun. Es sieht aus wie ein Gemälde. Doch wie so häufig geben die Fotos nicht mal annähernd wieder, was sich mir dargeboten hat.
Ich laufe auf einer kleinen Glückswolke mit einem fetten Grinsen durch diese wundervolle Gegend. Irgendwie geht bei mir innerlich immer die Sonne auf, wenn ich zwischen Rebstöcken hindurchlaufe. Wahrscheinlich ist das ein innerer Gruß meiner Leber an die Trauben und ihre Wiedergeburt als Riesling und Co.
Treffen sich zwei
Kurz darauf erreicht mich ein realer Gruß. Mir kommt ein Mann entgegen, genau wie ich mit einem großen Rucksack ausgerüstet. Er möchte wissen, wo ich gestartet sei und wo es noch hingehe.
Hans kommt aus dem Schwarzwald und ist mit seinem VW Bus, in dem er auch übernachtet, für ein paar Tage am Rheinsteig unterwegs. Er will gar nicht glauben, dass ich den ganzen Weg von Bonn aus gemacht habe.
Der Gute ist selbst erst seit kurzem auf Tour, moniert aber bereits jetzt, dass es keine Einkehrmöglichkeiten direkt am Weg gebe und dass man abends so wenige Leute treffe. Er bedauert, dass wir in unterschiedlichen Richtungen unterwegs seien, sonst hätten wir heute Abend gemeinsam etwas trinken können. Also vorausgesetzt ich hätte das überhaupt gewollt.
Ich pflichte ihm bei, dass Gesellschaft auf dem Rheinsteig tatsächlich etwas kurz kommt und ich gerne den Abend mit ihm verbracht hätte. Wir verabschieden uns und jeder geht seiner Wege.
Orientalisches Baggerszenario
Ich laufe oberhalb eines Campingplatzes mit dem wohlklingenden Namen „Suleika“ auf einem Panoramaweg, lese ich. Das Panorama wird jedoch ein wenig von der Tatsache getrübt, dass auf der gegenüberliegenden Seite riesige Bagger irgendetwas abbauen und eine Kraterlandschaft zurücklassen. Nur wenige Meter rechts von der abgetragenen Wand gibt es wiederum eine hübsche Burg zu bewundern, was sonst. Schließlich sind wir im Rheintal.
Ich gehe weiter, durch Wildgatter hindurch, deren Mechanik mich schon das ein oder andere Mal zum Verzweifeln gebracht hat. Inzwischen komme ich störungsfrei durch.
Auf dem Rastplatz
Als mein Weg plötzlich einen Bogen macht, bin ich überrascht, dass mich eine „Rast-Strecke“ erwartet. Anders kann ich die Bänke und kleinen, hockerartigen Gebilde, die wie Perlen an einer Kette aufgereiht sind, nicht beschreiben. Sie laden förmlich ein, die hiesige Aussicht zu genießen.
Ich erwische die letzte freie Bank und komme mit der Drei-Generationen-Wanderkombi neben mir ins Gespräch. Hier sind Großvater, Vater und Sohn auf Männertour. Wir teilen uns Schokolade und Nüsse und unterhalten uns über die Strecke. Großvater schwärmt von der Routenplanung auf seiner App und zeigt mir, wie gut das selbst ohne Empfang klappt. Sicherheitshalber hat er aber auch noch alles im ausgedruckten Zustand dabei.
Der Enkel, der vermutlich irgendwas zwischen zehn und dreizehn ist, staunt nicht schlecht, als er hört, wie lange ich schon laufe. Sie wünschen mir alles Gute und schwärmen mir vor, wie schön der Abschnitt sei, der mich morgen erwarte. Das scheint tatsächlich jedermanns Lieblingsetappe zu sein.
Auf den Spuren des Teufels
Ich mache mich an das letzte Stück der heutigen Etappe. Vor mir liegen noch knapp acht Kilometer, wenn ich richtig gerechnet habe. Durch den Wald geht es vorbei an einem ziemlich trostlosen Weiher, auf dem eine absolut unambitionierte Ente schwimmt. Weiher und Viehzeug passen wirklich hervorragend zusammen, denke ich mir.
Als nächstes steuere ich die Teufelskadrich an. Was höllisch klingt, entpuppt sich als recht harmlos. Es geht zwar mal wieder ganz gut hoch, aber im Vergleich zu gestern ist das Kindergarten. Auch hier habe ich wieder einen tollen Blick auf eine Burg auf der gegenüberliegenden Seite. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber es muss sich um Burg Reichenstein handeln. Die Größe des Geländes ist auf jeden Fall beeindruckend.
Die Teufelskadrich zeigt sich mir dann wenig später. Es handelt sich um eine beeindruckende Gesteinsformation. In sämtlichen Grautönen lacht mich der zackige Felsen an, und man kann sich sehr gut vorstellen, dass hier auch mal das ein oder andere Stück abbricht bzw. man sieht es, wenn man mal nach rechts die Böschung hinunter schaut, die von größeren und kleineren Brocken durchzogen ist.
Ich laufe bergab und will gerade nach links abbiegen, als mich Absperrband hindert. Ich hatte bereits in einem Forum gelesen, dass eine Wanderin Anfang September gleich mehrfach von Hornissen gestochen wurde. Ihr Nest befindet sich gleich hier.
Die Polizei hat den Bereich rund um den Baum, in dem sich das Hornissenheim befindet, gesperrt. Dummerweise recht akribisch. Ich traue mich nicht, diese Absperrung zu ignorieren. Da kommt echt die Deutsche in mir durch. Gib mir eine rote Ampel oder Absperrband und ich bleibe stehen.
Hornissenumweg
Statt einfach daran vorbei bzw. drunter durch zu laufen, entscheide ich mich, dass ich das Stück mit den Hornissen einfach auf eigene Faust großräumig umgehe. Es wäre ja gelacht, wenn ich nicht einfach einen Bogen um den Tatort machen könnte. Ich gehe also noch ein bisschen geradeaus und versuche dann mein Glück beim Rechtsabbiegen.
Ja, vergiss es. Ich stehe mitten im Wald. Der Boden ist matschig und überall stehen dichte Sträucher und Bäume. Drei Versuche, mir einen Weg hindurch zu bahnen, scheitern. Ich gebe auf. Da sich mir die Umleitung auch nicht so wirklich erschließt, weiche ich auf die Markierungen mit dem Weinglas aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich damit nicht ebenfalls nach Assmanshausen komme.
Mein Weg schwingt sich nach oben in den Wald, und ich staune über die vielen umgefallenen Bäume, die hier liegen. Es müssen schlimme Stürme gewütet haben, weil einige wirklich riesige Exemplare komplett entwurzelt wurden. Der recht langweilige, breite Weg führt mich weiter und weiter durch den Wald. Ich schlängele mich mit ihm weiter, bis er in einen asphaltierten Wirtschaftsweg übergeht. Zwischen Feldern und Weinstöcken vorbei, führt er mich zum Staats-Weingut.
Hier kommt Google Maps wieder zum Einsatz. Ich gebe die Höllenbergstraße ein, in der Hoffnung dort wieder auf den Rheinsteig zu treffen. Die rote Linie arbeitet einen Weg entlang eines kleinen Flüsschens aus. Das klingt doch pittoresk.
Ich berappe meinen letzten Rest Energie und folge Google. Der Weg wird immer mehr zum Trampelpfad, bis er zwischen Sträuchern verschwindet. Mit dem letzten verbliebenen Hauch Abenteuer, der in mir steckt, vertraue ich meinem Führer. Ich schlage mich durch die Büsche und gelange an den kleinen Bach. Das Pfädchen daneben ist kaum auszumachen. Innerhalb kürzester Zeit bin ich vom Erdboden verschluckt im absoluten Nirgendwo.
Karriere als Wasserleiche?
Der Weg wirkt, als sei ihn seit Jahrzehnten niemand mehr gelaufen, und ich muss zugeben, dass ich mich ein klein wenig grusele. Um mich herum ist nur Wald, und es kommt mir nicht so vor, als seien auch nur irgendwo in Reichweite Menschen. Meine blühende Phantasie gibt Gas und ich stelle mir vor, wie man eines Tages meine vermoderten Knochen finden wird. Also so in ca. 20 Jahren. Wenn das nächste Mal jemand hier vorbeikommt, weil er Google Maps befragt at.
Der Pfad macht eine kleine Biegung, und ich laufe an etwas vorbei, was gegebenenfalls früher einmal eine Mühle war. Mit Sicherheit lässt sich das heute nicht mehr sagen. Ich klettere über ein paar Steine und wechsle auf die andere Uferseite. Ich bin mir ziemlich sicher, dass gleich der Punkt kommt, an dem es nicht mehr weitergeht und ich in einer Sackgasse oder vor einem Knusperhäuschen lande.
Aber – Trommelwirbel – nichts dergleichen. So wie er mich inhaliert hat, gibt der kleine Wald mich frei, und ich stehe in besiedeltem Gebiet. Gott sei Dank. Assmanshausen, hallo. Die größere Straße, der ich nun folge, erweist sich als besagte Höllenbergstraße. Na also. Von hier an geht es bergab. Die Anwohner hier haben mit Sicherheit stramme Waden.
Als ich an einem größeren Parkplatz vorbeikomme, auf dem lauter Kleinstransporter mit polnischen oder bulgarischen Kennzeichen stehen, muss ich an meine mittägliche Begegnung Hans denken. Der hat hier vermutlich ebenfalls geparkt, als er in seinem Auto übernachtet hat.
Der Zahn der Zeit
Endlich bin ich im Ort, wo es mich in Richtung Rhein treibt. Meiner Logik zufolge sind am Fluss wegen der Aussicht am ehesten Unterkünfte zu finden. Was ich beim ersten Durchmarsch sehe, enttäuscht mich. Assmannshausen wirkt, als habe es die besten Zeiten längst hinter sich ab.
Von den Fachwerkhäusern blättert die Farbe ab. Viele Ladenlokale sind geschlossen und zu vermieten. Irgendwie macht es mich geradezu melancholisch. Was der Mosel touristisch gelungen ist, scheint dem Rhein nicht so geglückt zu sein. Das Hotel Krone, vermutlich lange erste Adresse am Platz, ist heftig in die Jahre gekommen, auch wenn der Glanz vergangener Zeiten noch zu erahnen ist.
Am Rhein angekommen lasse ich mich auf eine Bank sinken. Ich bin müde und würde jetzt zu gern direkt aus den Klamotten raus und unter die Dusche. Auch wenn ich die Strecke heute nicht als sonderlich anstrengend empfunden habe, bin ich platt. Das liegt vermutlich hauptsächlich an gestern. Und auch heute bin ich wieder mindestens 26 Kilometer gelaufen, denn ich war acht Stunden unterwegs. Es duscht sich nur schlecht ohne Unterkunft.
Hans im Glück
Ich bin gerade mitten in der Recherche, als auf einmal jemand neben mir stehen bleibt: „Das gibt es doch nicht, da ist sie ja!“ Vor mir steht Hans. Was für eine Überraschung. Er erzählt mir, dass er Lorch nicht sonderlich ansprechend fand. Darum sei er mit dem Zug nach Assmanshausen zu seinem Vierrad zurückgefahren, in dem er schließlich umsonst nächtigen könne.
Ein bisschen habe er außerdem darauf gehofft, mir noch einmal über den Weg zu laufen, damit wir das vorhin angesprochene abendliche Etappen-Durchquatschen in die Tat umsetzen könnten. Ich erkläre mich sofort bereit, mit ihm zu Abend zu essen. Gesellschaft ist wirklich mal eine schöne Abwechslung nach meiner abendlichen Einsiedelei.
Da Hans kein Handy hat, machen wir es wie früher. Wir verabreden uns einfach zu einer festen Uhrzeit in einem konkreten Restaurant. Der Schwarzwälder ist an einem Exemplar mit Wintergarten vorbeigelaufen. Es ist in der Nähe der Kirche. Wir werden uns dort um sieben treffen.
Eine Stunde und kein Bett weiter
Ich recherchiere weiter Unterkünfte und freue mich, als ich auf die Pension Johanna am Rhein, nur wenige Meter außerhalb von St. Goarshausen, stoße. Sie hat super Kritiken bekommen. Ich schenke mir den Anruf und gehe auf direktem Wege hin. Vor Ort sieht die Lage leider nicht so gut aus. Ich sehe ein Schild, demzufolge alles belegt sei, ein paar Meter weiter hängt eins, das Zimmer verspricht. So schnell lasse ich mich nicht abschrecken und entscheide, nachzufragen.
Als ich das Gartentor öffne, kommen zwei Leute aus dem Gebäude: es sind meine englischen Bekannten von Vorgestern. Ich freue mich, die beiden zu sehen. Ich habe mich schon gefragt, bis wohin sie gegangen sind. Gesehen habe ich sie zwar nicht, aber ab und an waren ihre Einträge in Gästebüchern. Leider haben die beiden das letzte Zimmer in der Pension bekommen und ich muss mich auf die Suche nach etwas anderem machen.
Es kostet mich eine geschlagene Stunde, in der ich kreuz und quer durch den Ort laufe, der von einer Bahnschiene durchzogen ist. Geschlagene drei Mal stehe ich vor heruntergelassener Schranke und muss warten. Es zehrt an meinen Nerven. Wer hätte ahnen können, dass sich das Unterfangen Unterkunft zu einem Krimi gestaltet?
Sämtliche Hotels sind entweder voll, bieten kein Frühstück oder kosten 75€ und mehr. Die Dame an der Rezeption des Wellnesshotels hat schließlich Mitleid. Sie sieht ein, dass ich weder Spa noch Sauna brauche und greift daher kurz entschlossen zum Hörer und ruft im Hotel „Zwei Mohren“ an. Mit der Dame dort handelt sie einen Wanderinnentarif aus. So lande ich tatsächlich knapp unter 60 Euro.
Bei den Zwei Mohren
Nachdem ich mich bei ihr für die Mühe bedankt habe, mache mich ein letztes Mal an die Durchquerung des Ortes. Dass ich nun ausgerechnet in dem Hotel lande, das mir bereits heute Morgen angekündigt wurde! Das hätte ich wahrlich einfacher haben können.
Im Zwei Mohren nimmt mich eine nette, ältere Dame in Empfang: „Sie sind sicher meine Wanderin.“ Dann führt sie mich aufs Zimmer. Obwohl ich mich die ganze Zeit heimlich umsehe, begegnet mir weder ein noch zwei Mohren. Dabei habe ich vor meinem inneren Auge die ganze Zeit das Sarotti-Maskottchen über die Flure huschen sehen.
Ich muss mich ranhalten. Inzwischen ist es zwanzig vor sieben. Mit einer Verspätung von 15 Minuten finde ich Hans wie verabredete an der Bar unseres Restaurants. Er nimmt mein schlechtes Timing entspannt. Er wäre so oder so hierher gegangen.
Mit den Busfahrern in der Bingo-Bar
Wir verbringen einen netten Abend zusammen, reden über das Wandern, das Leben und den Gnadenhof, den Hans nebenbei betreibt. Gestört wird der Abend nur von den Schreien aus zahlreichen, englischen Mündern. Eine riesige Gruppe Engländer sitzt im angrenzenden Gastraum und führt als Teil der geführten Busreise erst ein Kneipenquiz durch und spielt anschließend lautstark Bingo. Moderiert wird das ganze vom Busfahrer und seiner Frau. Kuriose Veranstaltung.
Am Ende des Abends lässt sich Hans nicht davon abbringen, mich einzuladen. Nicht mal den Wein darf ich bezahlen. Er beendet jegliche Diskussion mit dem Recht des Älteren und der Feststellung, dass man gute Gesellschaft selten genug finde. Papp satt und ein wenig angeschickert mache ich mich auf den Rückweg ins Hotel, wo ich todmüde einschlafe.
Morgen geht es an Rüdesheim vorbei nach Johannisberg, und ich finde in dem Kaff online keine Unterkunft. Kann sein, dass ich zum Schlafen nach Östrich-Winkel muss. Für übermorgen in Schlangenbad habe ich schon ein Zimmer reserviert. Nach der heutigen Erfahrung gehe ich an den verbleibenden Tagen kein Risiko mehr ein.
Ich schreibe noch ein bisschen Tagebuch (hänge ordentlich hinterher) und falle dann ins Bett. Morgen will ich bis fünf Kilometer vor Rüdesheim nach Assmanshausen. Mal schauen, ob das hinhaut.
Zeitreise
Vorwärts: Du willst wissen, ob ich morgen denn nun wirklich die schönste Etappe von allen vor mir habe? Dann geh mit mir von Assmanshausen nach Oestrich-Winkel zu Tag der großen Ambitionen, wo ein Adliger sich einen Park mit inklusive Zauberhütte und Mittelalter-Burg baut, eine überdimensionale Statue dem deutschen Reich Schutz verspricht und und zwei Frauen zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Männerdomänen aufmischen.
Rückwärts: Hast du meinen Beitrag zum gestrigen Tage verpasst? Dann weißt du ja gar nicht, dass dass, was weniger als 30 Sekunden auf dem Boden liegt, noch gut ist! Komm doch noch mal mit mir von Wellmich nach Kaub und spiele Katz und Maus mit Burgen, baggere die Loreley an und genieße Wein to-go.
Hast du den Anfang verpasst und möchtest die ganze Wanderung nachlesen? Dann geht es hier entlang zu Etappe eins von Bonn nach Königswinter.
Kommentare und Ergänzungen
Wie verhältst du dich, wenn Abschnitte des Weges gesperrt sind? Gehst du einfach trotzdem so wie urspünglich geplant oder geht es dir wie mir und du befolgst brav den Hinweis? Warst du selbst auf dem Rheinsteig unterwegs? Was hat dir an der Etappe gefallen, was eher nicht so, und gibt es noch etwas zu ergänzen?
Ich freue mich wie immer über deinen Kommentar.
Hast du es also endlich auch „geschafft“, etwas vom Weg abzukürzen 🙂 :-)? Das macht dich ja gleich noch sympathischer!
Übrigens, an diese Kapelle vor Lorch kann ich mich kein Stück erinnern! Bei Jörg war sie ja auch auf einem der Fotos in seinem Blogbeitrag zu sehen. Normalerweise fotografiere ich so etwas immer. Was hab ich da nur gemacht?? Umgangen habe ich sie bestimmt nicht, denn laut Karte gibt es keinen anderen Weg…
Zum Thema Gewicht reduzieren durch essen: Meine Freundin sagt immer, sie spüre es sofort, dass der Rucksack leichter sei, wenn sie ein belegtes Brötchen, 2 Cocktailtomaten und ein Stück Gurke verspeist habe. Ich fühle mich nach dem Essen immer schwerer. Fakt ist aber das, dass das Gewicht einfach nur umverteilt wurde. Oder etwa nicht? Muss immer lachen, wenn ich daran denke.
Noch was: Woher wissen Jörg und du, dass es „die“ Teufelskadrich heißt? In meinem Wanderbuch hieß es immer „der“, aber ich würde das in meinen Beitrag gern korrigieren, wenn es falsch ist.
Hi Aurora,
ich arbeite mich mal von unten nach oben 🙂
Ob es der, die oder das Teufelskadrich heißen muss, weiß ich tatsächlich nicht. Ich habe den Artikel absolut intuitiv gemacht und wenn ich es richtig sehe, haben Jörg und ich es falsch gemacht. Hier kann man die Sage nachlesen und da heißt es klar „der Kadrich“: http://ebental.de/?Geschichte_vom_Ebentaler_Hof:Der_Teufelskadrich
Was Gewichtverlagerung anbelangt, hast du natürlich Recht. Ich persönlich finde aber wie deine Freundin, dass Essen, sobald es im Bauch angekommen ist, sich deutlich leichter anfühlt, als wenn es sich auf dem Rücken befindet..
Und die Kapelle erinnere ich tatsächlich noch sehr gut, da man sie schon vorher liegen sah. Sie liegt aber einen Ticken abseits des Weges, vielleicht ist sie dir deshalb durchgerutscht?