Tag 10 auf dem portugiesischen Jakobsweg: Abschied ist ein Arschloch, ich feiere meinen 50., erlebe die lustige Welt der Tiere, verweigere einen Kuss und gehe mit purer Willenskraft ins Kloster Herbon für ein Oscar-reifes Selfie und eine Bekreuzigung (12. Mai 2017, 31 Kilometer)
Unser Matratzenlager hat sämtliche Erwartungen erfüllt. Ich habe fantastisch geschlafen. Es ist herrlich, wenn man sich keine Gedanken machen muss, eventuell jemanden zu wecken oder von jemandem durch Hin- und Hergedrehe wachgehalten zu werden. Da wir erst um eins im Bett waren, dauert es (mal wieder) entsprechend lange, bis wir so weit sind.
Abschied ist ein Arschloch
Als ich mit Toni, Hugh und Krystina in den Raum gehe, in dem wir gestern Abend so nett beisammensaßen, um zu Frühstücken, müssen wir leider einsehen, dass uns nur noch die allerletzten Reste bleiben. Unsere Mitpilger waren offensichtlich früher auf und haben es sich bereits gut gehen lassen. Ich ergattere gerade noch eine halbe Tasse Kaffee und ein paar Kekse.
Um neun sind wir unterwegs. Über uns türmen sich schwarze Wolken. Das passt ganz hervorragend zu meiner Stimmung, denn wir müssen Abschied nehmen. Hughs letztes Stündlein mit uns hat geschlagen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, ohne den sympathischen Australier weiterzulaufen. Wir waren so ein gutes Team, und so bin ich heilfroh, dass Krystina bei uns ist. Das tröstet mich ein wenig. Schon nach anderthalb Kilometern ist es soweit. Wir machen ein letztes Foto und nehmen uns fest in den Arm. Ich verdrücke tatsächlich ein paar Tränchen. Unauffällig, versteht sich. Was sollen die Leute denken.
Ich gehe vorerst alleine weiter. Ich brauche gerade mal ein paar Minuten und versuche, mich dazu zu bringen, den Schwerpunkt auf das Positive zu setzen. Statt zu jammern, dass Hugh weg ist, sollte ich mich freuen, dass er so lange da war. Aber Abschiede und ich sind einfach kein gutes Team. Ich tue mich damit jedes Mal wirklich schwer.
Mein inneres Jammern wird nach zwanzig Minuten jäh unterbrochen, als ich an einem mehr als zutreffenden Schild vorbeilaufe. Manchmal spricht der Camino mit einem. Heute schreit er mich geradezu an, und ja, er hat Recht.
Ein pfennigfuchsender, falscher Fünfziger
Wir laufen auf Feld- und Wirtschaftswegen, immer mit der Befürchtung, dass uns jeden Moment ein Schauer erwischt. Doch wir haben vorerst Glück.
Unter unseren Kapuzen hätten wir sonst eventuell gar nicht bemerkt, dass wir an einem ganz besonderen Markierungsstein vorbeikommen. Es ist der Stein, der uns verrät, dass es bis Santiago nur noch 49,995 Kilometer sind. Wieso man sich die Mühe macht, so sehr ins Detail zu gehen, statt den Stein einfach ein paar Millimeter nach rechts zu versetzen und 50 draufzuschreiben, ist mir schleierhaft. Da nimmt es wohl jemand ganz genau.
Wir nehmen uns Zeit für ein kleines Fotoshooting. Diese Markierung hat auf dem vergleichsweise kurzen Weg die gleiche Symbolkraft, wie der 100-Kilometer-Stein auf dem Camino Frances.
Eine weitere Stunde später entdecke ich aus dem Augenwinkel an der Straße ein Haus, in der eine Bar ist. Auch wenn wir nur noch wenige Kilometer von Caldas de Reis entfernt sind, muss ich jetzt meinen Kaffee trinken. Ich warte kurz auf die anderen. Ich finde es völlig prima, alleine zu laufen, aber ich sage in der Regel schon Bescheid, wenn ich abbiege. Toni kommt als Erster. Café con leche, super Idee, much better hier als in der Stadt. Tina hingegen will weitergehen. Sie ist die Langsame von uns Dreien. Aktuell brauche sie keine Pause, sondern gehe schon mal vor, dann wären wir alle gleichzeitig in der Stadt. Sie würde einfach im ersten Café auf uns warten.
Unsere Bar, die eher wie ein Wohnzimmer aussieht, wird von einer alten Dame geführt. Sie zeigt mir stolz ihr Gästebuch und bittet mich, etwas auf Deutsch hineinzuschreiben. Das mache ich natürlich gern. Ihr Kaffee haucht mir wieder mehr Energie ein und so bin ich bereit, es erneut mit dem Camino aufzunehmen.
Spanisches Tacka-Tacka
Toni und ich laufen auf José-Luiz auf. Das ist einer der „drei Ärzte“ aus dem Emergency Room in Viano do Castelo. Er ist inzwischen allein unterwegs. Seine beiden Freunde sind ausgestiegen, aber das scheint ihn nicht weiter zu stören. Er war ja ein paar Tage mit Tina unterwegs, als sie über Vigo den Küstenweg lief. Ich erinnere mich, dass sie meinte, es sei etwas anstrengend gewesen, weil er nur Spanisch spreche, sie aber nicht.
Heute kann ich mich nur zu gut in ihr Erlebnis hineinversetzen, denn mein katalanischer Companero scheint sehr erfreut, endlich mal wieder in seiner Muttersprache sprechen zu können. Ich versuche, dem Gespräch der beiden mit meinen Latein und Spanisch-Bröckchen zu folgen, muss aber schnell feststellen, dass mir das nicht gelingt. Das harte Tacka-Tacka-Tacka ist mir viel zu anstrengend.
Stattdessen unterhalte ich mich ein paar Takte mit drei Eseln auf einer Wiese. Die verstehen mich. Auf diese Weise bringe ich außerdem genug Abstand zwischen mich und das redselige Duo, um nicht mehr die ganze Zeit die Geräusche ihres Gesprächs hören zu müssen. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen, die beiden stritten sich in einem fort.
Kopflos den Spaniern hinterher
Gedankenverloren trotte ich vor mich hin. Heute ist ein guter Tag für Musik. Das graue Wetter, meine immer noch leicht gedrückte Stimmung, da kann man mal wieder die Traveling Wilburys anmachen. Während ich mich von der Musik mitreißen lasse, wandern meine Gedanken zu Hugh und unserem Spiel, in jeder Situation das jeweils passende Lied anzusingen. Das ging damals mit den Regenliedern los und wurde bis zum Schluss kultiviert. Jetzt gerade wäre ein passender Moment für „I’m walking“.
Gerade noch so nehme ich wahr, dass Toni und José-Luiz abgebogen sind. Da habe ich ja noch mal Glück gehabt, denke ich und folge ihnen stumpf. Nicht, dass es mir wie in Pontevedra ergeht, und ich plötzlich ohne Reisegruppe dastehe.
Vor einem Haus bleiben die beiden stehen und umarmen sich. Dann geht José-Luiz hinein und Toni wendet sich mir zu. Ob ich wisse, wo der Camino sei? Er habe nur seinen älteren Landsmann in der Herberge absetzen wollen. Nach einigem Hin und Her haben wir ihn wieder gefunden und setzen den Weg fort.
Erst zehn Minuten später fällt mir voll Schreck auf, dass wir Tina vergessen haben. Sie wollte im ersten Café von Caldas de Reis auf uns warten. Wir gehen ein Stück zurück, geben aber schnell auf. Durch unseren Abstecher zur Unterkunft ist es gut möglich, dass sie bereits weitergelaufen ist. Ich habe dummerweise kein Internet-Guthaben mehr und lediglich ihren Facebook-Kontakt, aber keine Nummer. Toni wiederum hat kein Facebook. Von Caldas de Reis sehe ich fast nichts. Dabei ist das Städtchen berühmt für seine Thermalquelle.
Die lustige Welt der Tiere
Ich habe Toni von der Unterkunft im Kloster von Herbón erzählt, in die ich heute so gerne möchte, auch wenn das bedeutet, dass wir mindestens 30 Kilometer machen müssen. Ich hatte auf dem Frances letztes Jahr so schöne Erlebnisse in Klöstern, dass ich, wann immer es möglich ist, versuche, dort unterzukommen. Meinem Spanier gefällt die Idee, zumal es bedeutet, dass er endlich mal wieder länger laufen kann. Gemeinsam knöpfen wir uns die nächsten Kilometer vor, die durch das Nichts führen.
Es ist so ab vom Schuss, dass die Schafe direkt am Weg grasen.
Die nächsten Kilometer bleibt es grün. Wir laufen auf recht steinigen Wegen durch ein Tal. Nach wie vor regnet es nicht.
Es folgt Wald, dann eine Landstraße, wo wir die Französin Jolande und ihre Freundin treffen. Ich weiß immer noch nicht, wie die andere Dame heißt.
Kurz vor dem Ort treffe ich zu meiner großen Begeisterung noch ein Hängebauchschwein in einem Garten. Anders als die Esel versteht es nicht, was ich von ihm will, und frisst einfach weiter durch den Rasen. Es würde mich nicht wundern, wenn es eine kleine Furche hinter sich herzieht, so konzentriert, wie es seine Schnauze in den Boden drückt.
Nach zwei Stunden bin ich in O Cruceiro, wo ich in einer Bar endlich zwei große Ks erledigen kann: nein, es hat nichts mit Kas zu tun (wenn, dann mit Kas wegbringen), denn hier gibt es ein Klo, und Kippen kann ich ebenfalls erwerben. Als ich mich ins WLAN einlogge, erreicht mich, wie vermutet, eine Nachricht von Tina. Die Nachricht ist eine Stunde alt. Sie wundert sich, wo wir bleiben. Ich antworte ihr beschämt, dass wir schon fünf Kilometer weiter sind und bis nach Herbón wollen. Ich kann nur hoffen, dass sie sich inzwischen auf den Weg gemacht hat.
Noch ein Kuss, dann ist Schluss
Weitere zwanzig Minuten kommt auch Toni an und lässt sich auf die Bank neben mir sinken. Gemütlich hängen wir ab und rauchen einträchtig. Völlig unvermittelt versucht er mich plötzlich zu küssen. Ich werde von der Situation so dermaßen überrascht, dass ich vielleicht etwas ablehnender reagiere, als ich wollte. Wo kam das denn jetzt auf einmal her? Ich entschuldige mich und erkläre ihm, dass wir Freunde seien und das für mich das Wichtigste sei. Der Spanier tut zwar, als sei alles ein Scherz und absolut unproblematisch, aber von diesem Moment an ist unser Verhältnis angespannt, was mir wirklich sehr leid tut.
Wir sind gerade an der hübschen Kapelle Santa Marina de Carracedo vorbei, als Toni auffällt, dass er sein Handy in der Bar hat liegen lassen. Ich warte mit unseren beiden Rucksäcken am Feldweg, während er so schnell zurückläuft, wie er kann. Schwein gehabt, das Handy war noch da und so kann es wenig später weitergehen.
Um halb vier sind wir in einem Vorort von Valga, wo ein Anwohner recht kreativ das Thema Pilgern an die Wand geworfen hat.
21 Kilometer liegen hinter uns. Ich könnte auch gut hier bleiben. Aber wie immer, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, gibt es davon kein Abkommen, auch wenn ich zwischendurch fluche.
Mein Freund der Baum
Toni pusht mich weiter, so gut es geht, doch in San Miguel, gerade mal drei Kilometer später, muss ich erneut pausieren. Mein Kreislauf macht nicht mehr mit. Kein Wunder, überlege ich. Ich hatte heute nur das sehr überschaubare Frühstück, ein Schälchen Tapas und einen Apfel. Der spanische Gentleman gibt mir noch einen Apfel dazu. Ein Notfall-Müsliriegel aus den Tiefen meines Rucksacks tut sein Übriges. Während ich mich kurz erhole, entschuldigt sich Toni für den Kuss. Das sei eine dumme Idee gewesen. Ich sage, alles sei okay, und meine es auch so.
Lachend schaue ich zu, wie Toni wenig später aufspringt und auf einen Anwohner einredet. Wie sich herausstellt, hat er sich nach einer Abkürzung nach Herbón erkundigt. Der genannte Weg ist mit dem identisch, den mein schlaues Buch vorschlägt. Aber so ergab sich endlich mal wieder die Gelegenheit für ein Gespräch.
Vor uns liegen noch anderthalb Stunden, und obwohl wir den ganzen Tag über wirklich Glück hatten, wird mir zunehmend klar, dass jede Glückssträhne irgendwann einmal zu Ende geht.
Die Wolken über unserem Kopf sind fast so dunkel wie der Teer zu unseren Füßen. Wir sind gerade in einem bewaldeten Stück neben einem Fluss, der den wohlklingenden Namen Ulla trägt, als die Schleusen aufgehen und der Regen nach unten schießt. Ich hechte unter einen Baum und versuche, mich so eng wie möglich an den Stamm zu drücken.
Es hat keinen Sinn, auf das Ende des Regens zu warten, und so laufen wir weiter, als es nicht mehr ganz so heftig plätschert. Der Weg führt nun an einer hohen Mauer vorbei (später werden wir exakt auf der anderen Seite stehen, denn dies ist bereits die Klostermauer). Nach einem weiteren Kilometer, der noch mal schön bergauf führt, haben wir es geschafft. Vor uns liegt das Franziskanerkloster.
Im Paradies
Völlig überraschend werden wir von einer Dame empfangen. Damit hatte ich in einem Mönchskloster nicht unbedingt gerechnet. Später erzählt uns Begonia, dass sie selbst als Pilgerin hier war. Sie hat den Ort als sehr besonders erfahren und etwas erlebt, das sie bis heute nicht in Worte fassen kann bzw. will. Darauf hat sie die Mönche gefragt, ob sie bleiben darf. Es hat sie einiges an Überzeugungsarbeit gekostet, aber nun ist sie da und kümmert sich zusammen mit einem anderen Hospitalero um die Pilger.
Als ich mir die Wanderschuhe ausziehe, möchte ich ein Loblied singen. Es gibt einfach nichts besseres, als nach so einem Tag aus den Tretern zu dürfen. Die nette Dame bringt uns in unsere Zimmer. Bisher sind nur fünf Pilger hier und so dürfen wir alle eine Kabine, die aus zwei Betten besteht und mit einem Vorhang vom Flur abgetrennt ist, allein belegen. Welch Luxus.
Unsere Gastgeberin ist derweil mit Stempeln beschäftigt. Sie hat nicht nur zwei hübsche Exemplare für uns, sie fragt uns auch noch, ob wir einen Orangen- oder Zitronenbaum möchten. Ich möchte eine saure Zitrone zwischen vielen süßen Apfelsinen, denn das ist für mich eine perfekte Analogie auf das Leben.
Ich schnappe mir das Handy und schreibe Tina, dass sie unbedingt herkommen soll. Sie ist schon in einer Herberge und ruht sich aus. Als sie ausgerechnet das komische Paar von gestern Abend, das mit niemandem spricht, entdeckt hat, hat sie es als ein Zeichen genommen, weiterzugehen, auch wenn das noch mal acht Kilometer für sie bedeuten. Begonia, die nette Dame mahnt zur Eile. Um sechs gehe die Führung über das Gelände los und duschen wolle ich doch sicher auch noch?
Rauchen, ein himmlisches Laster
Ein freundlicher Mönch in Jeans und Weste holt uns ab. Ich bin baff. Wo ist die Kutte? Er macht sich mit uns auf den Weg über das Gelände.
Erzählt über das Kloster, über die vier Brüder, die hier mit ihm leben, zeigt uns seine Kirche, in der in einer Stunde die Messe sein wird und berichtet über die Schwierigkeit, Nachwuchs zu finden. Mönch werden sei leider einfach nicht mehr angesagt, dabei sei es ein so tolles Leben hier.
Dann nimmt er uns mit in den Garten. Ich bewundere ein riesige Palme, die so gar nicht hierher zu passen scheint.
Er erzählt uns lachend, dass es vor Ort einige Pflanzen gäbe, die hier nicht heimisch seien, weil das Kloster durch seine Lage ein besonderes Klima habe. Generell hätten die Franziskaner von ihren Missionarsreisen viele Pflanzen nach Europa gebracht, die es hier vorher nicht gab, etwa die Oliven oder auch Avocados.
Die nächste Station ist das Gewächshaus, wo es für jeden von uns eine himmlisch süße Erdbeere gibt. Wir, das sind neben Toni und mir noch ein junger Italiener namens Sokrates, der auf dem Weg ins portugiesische Fatima ist, sowie Joachim und sein Sohn Tomas, die ursprünglich aus Polen kommen, nun aber in NRW zuhause sind. Der Mönch spricht übrigens nur Spanisch, das Toni auf Englisch übersetzt. Ich wiederum übersetze Tonis Englisch auf Deutsch. So können wir alle mehr oder weniger folgen.
Als sich der Mönch beim Verlassen des Gewächshauses eine anzündet, schaue ich schon wieder verdutzt. Er lacht und bietet mir eine an, und ich sage entschuldigend, ich hätte nicht erwartet, dass Mönche rauchen. Alle Franziskaner würden rauchen, erklärt er mir. Das sei nämlich das einzige Laster, das erlaubt sei. Ich grinse und erkläre ihm augenzwinkernd, dass ich dann offensichtlich ebenfalls ein himmlisches Laster habe.
Eins Oscar-reifes Selfie
Die letzte Station der Tour ist ein kleiner Laden. Kurz befürchte ich, dass die Tour zur Kaffeefahrt wird und jetzt die Heizdecken präsentiert werden, aber ich täusche mich mal wieder. Stattdessen überreicht der nette Mönch jedem von uns ein hölzernes Franziskuskreuz, dass ich fortan auf all meinen Wanderungen tragen werde.
Wir machen noch ein kleines Gruppenbild, dass es fast mit dem legendären Bild von der Oscarverleihung aufnehmen kann.
Dann gehen wir zurück in die Küche. Und wer steht da? Tina. Sie ist völlig erschöpft, weint fast vor Müdigkeit, aber strahlt gleichzeitig, weil sie an diesem tollen Ort mit den liebevollen Hospitaleros gelandet ist.
Bevor es zu Essen gibt, gehen wir alle zum Gottesdienst in die Klosterkirche. Ich bin in den Klöstern immer wieder fasziniert von der Vorstellung, dass dort jeden Tag mehrere Gottesdienste stattfinden, obwohl die Reihen in der Kirche fast immer leer sind. Allein schon deswegen gehe ich heute gern hin. Die fünf Mönche sitzen oben, wir sechs Peregrinos unten. Alle sind wir bewegt. Das Vater Unser erklingt in fünf Sprachen: spanisch, deutsch, polnisch, tschechisch und italienisch.
Mein bewegendster Moment hat jedoch nicht mit den Mönchen zu tun. Er wird mir von meiner Mitpilgerin geschenkt. Ich werde das Bild nie vergessen, wie Tina sich demütig tief auf den kalten Boden kniet und betet. Diese Frömmigkeit bei einer so jungen Frau, verschafft mir eine Gänsehaut.
Feierabend
Als wir um halb neun zum Essen wieder in der Küche sind, ist mein Akku leer. Ich kann den Unterhaltungen schon gar nicht mehr folgen, so müde bin ich. Begonia hat ganz hervorragend gezaubert. Selbst Tina mit ihren vielen Allergien, kann alles essen. In der lustigen Runde um mich herum versinke ich in müdes Schweigen.
Es wird diskutiert, wohin es morgen gehe. Die einen wollen es gemütlich angehen lassen und 14 Kilometer bis Teo laufen, andere wollen in 27 Kilometern nach Santiago. Nur Sokrates will weg. Fatima liegt in die entgegengesetzte Richtung. Um halb elf liegen wir alle in unseren „Einzelzimmern“. Ich schlafe sofort ein. Wohin ich laufe, kann ich auch morgen entscheiden. Ankommen werde ich so oder so. Aber jetzt muss ich mich ausruhen.
Kommentare und Feedback
Was war die Unterkunft, die dich auf deinem Weg am meisten beeindruckt hat? Und woran lag es, dass dieser Ort für dich besonders war? Warst du vielleicht sogar im Kloster in Herbón und bist dieses Stück des Caminho Portugues selbst gelaufen? Was hast du dort erlebt? Gibt es sonst etwas, das du mir sagen möchtest? Ich freue mich wie immer sehr über deine Nachricht.
Zeitreise
Vorwärts: Jetzt möchtest du endlich zur legendären Kathedrale? Na dann komm doch mit mir von Herbón nach Santiago. Es gibt doppelte Regenbogen, doppelte Strecke, doppelte Freude und ausgerechnet Walter weist den Weg.
Rückwärts: Wunderst du dich, dass wir so spät im Bett waren? Dann komm doch noch mal mit von Arcade nach Portela und sei dabei, wenn es Katzenfutter in der Wüste gibt, besuche mit mir Square-Dance-Mary und Don Pulpo, und bezeuge eine weitreichende Entscheidung.
Zurück auf Los: Willst du das Abenteuer von Anfang an verfolgen? Dann folge mir hier nach Porto.
Audrey Du bist großartig …. lg Marie
Ich freu mich sehr, dass du mir wie angekündigt ab jetzt virtuell folgst, auch wenn du natürlich in der Realität noch besser bist! Bis bald, meine liebe Camiga
Liebe Audrey
im letzten Jahr, genauer gesagt gestern vor einem Jahr am 8. Juni 18, durften wir auch im Kloster Herbón übernachten. Der lustige Mönch, der dann beim Pilgersegen eine sehr intensive Atmosphäre erzeugen konnte, ist mir in guter Erinnerung. Dieser Ort war für mich auch besonders, weil dort der Ursprung der ach so guten Pimientos de Padrón liegen. Ein Mönch hatte diese vor einigen hundert Jahren aus Südamerika importiert und hier so gezüchtet, dass sie mild geworden sind. Alle Felder rund um das Kloster sind mit diesen Pflanzen voll.
An deinem Bericht hat mir das Verabschieden, resp. die Schwierigkeiten damit, beeindruckt. Ich kenne das auch gut. Ich würde am liebsten jeden Menschen, den ich gerne bekommen habe, ständig mit dabei haben…. aber das geht ja bekanntlich nicht. So machen mich Abschiede nach intensiven Begegnungen oft sehr traurig und melancholisch. Natürlich weiss der Kopf, dass es das Faktum anzunehmen gilt. Aber das Herz reagiert anders.
Auf dem Jakobsweg, resp. als Hospitalero in Belorado, habe ich ein bisschen gelernt, dass es sich lohnt, einen Abschied bewusst zu nehmen. Damit bekommt die Geschichte wie einen Abschluss resp. einen Punkt statt …. oder ein ; . das habe ich auch in der Arbeit im Spital geübt.
Aber wie gesagt, ich bin noch kein Meister im Abschied nehmen. Ob ich das je werde, weiss ich nicht. Sicher ist aber, dass die damit verbundene Trauer sein darf und eben auch Tränen. Aber auch diese wollen sich bei mir nicht unbedingt zeigen, obwohl sie jeweils zuvorderst sind.
Ich wünsche dir einen guten Abschied vom Jakobsweg auf dem Camino del Norte und gute Heimkehr
Josef
Lieber Josef,
du hast immer wieder eine so wundervolle Art, Dinge zu beschreiben und zu benennen. Ich weiß allerdings nicht, ob ich hinter intensive Begegnungen einen Punkt setzen möchte. Mir wäre ein Doppelpunkt am liebsten – dafür, dass da noch was kommen wird. Aber natürlich kann man nicht alle Menschen Wiedersehen. Von Portugues habe ich bisher niemanden wiedergetroffen. Vom Frances schon. Und auch vom Norte. Es macht die Sache natürlich umso leichter, wenn die Kontakte aus dem Dach-Raum sind 😊
Pimientos al Padron sind mein absoluter Favorit. Ich hatte keine Ahnung, dass sie aus Herbón kommen 💚 Wieder was gelernt – Danke dir
Liebe Audrey,
nach meinem Urlaub,in der Kaukasus-Region, wo ich übrigens einige alte Klöster besuchte, habe ich deine letzten Beiträge ganz schnell nachgelesen und stelle fest, dass ich beim Abschied nehmen nach einer schönen gemeinsamen Zeit nicht der einzige bin,der sich damit schwer tut.
Wie ich mitbekommen habe geht dein Abenteuer „Küstenweg“ dieser Tage ins (vorläufige) Finale. Bis dahin: Alles Gute!
Bernhard
Nun sind es nur noch 27 km bis Santiago. Bin gespannt, was der nächste Tag bringt.
Gruß, Aurora
Gott sei Dank geht es danach noch weiter bis Finisterre. Das konnte ich beim ersten Mal nur mit dem Bus machen. Diesmal aber zu Fuß – und das wird noch mal richtig schön 😊