Stormarnweg Etappe 6: Von Reinfeld nach Lübeck

Finale auf Etappe 6 des Stormarnwegs von Reinfeld nach Lübeck geht mit dem Karpfen durch Nachbars Garten und hat trotz drohender Wolken ausnahmsweise keinen einzigen Regentropfen im Angebot, sodass ich unter einem geteilten Himmel nach einer letzten Schlammschlacht mein Happy End am Kanal und mein Finisher Foto am Holstentor bekomme (11. Juli 2020, 20 km)

Die Entscheidung, diese letzte Etappe auf besseres Wetter zu verschieben, erweist sich als goldrichtig. Nicht nur, dass der Weg bei Sonne bedeutend schöner aussieht, ich entkomme so auch den Regenschauern, die zeitgleich auf Hamburg runterprasseln. Und keine Sorge: dramatische Wolken gibt es natürlich auch trotzdem wieder. Schließlich sprechen wir vom Stormarnweg – der hat ja auch seinen Ruf zu verteidigen.

What a difference a day makes

Wie es sich für ein Finale gehört, lasse ich mich heute nicht stressen. Nachdem sich mir der Herrenteich vorgestern nur in tristem Grau präsentiert hat, gebe ich ihm eine zweite Chance und kehre bei nun strahlendem Sonnenschein dorthin zurück.

Bereits wenige Schritte vom Bahnhof entfernt, leuchtet es mir grün und blau entgegen. Der Neuhofer Teich kämpft um meine Aufmerksamkeit, die ich ihm nur zu gerne schenke. Man sollte gar nicht meinen, dass die Regionalzug fußläufig zu erreichen ist, so idyllisch schaut es um mich herum aus.

Neuhofer Teich Reinfeld, Stormarnweg Etappe 6
Still ruht der See, in diesem Falle der Neuhofer Teich

Da ich es am Freitag mit Emily nicht ins am Herrenteich gelegene Café Mocca geschafft habe, hole ich auch das jetzt nach. Direkt am Wasser gibt es ausreichend Sitzplätze, und so genieße ich wenig später einen Kaffee in der Sonne mit meiner Freundin am Ohr. In Hamburg schütte es, erzählt sie, was man sich hier gerade wirklich nicht vorstellen kann.

Terrasse des Café Mocca in Reinfeld mit Blick auf den Herrenteich
So lässt es sich doch aushalten! Kaffee mit Ausblick am Herrenteich

Ich nehme mir alle Zeit der Welt und genieße das herrliche Wetter. Schon beeindruckend, wie anders alles wirkt, wenn die Sonne scheint. „What a difference a day makes“, summt es in meinem Kopf.

Herrenteich Reinfeld, Stormarnweg Etappe 6 nach Lübeck
Grandiose Kulisse am Samstagmorgen

Nachdem ich mich mit der netten Kellnerin noch kurz über Urlauben in der näheren Umgebung ausgetauscht habe (sie radelt, ich erzähle vom Stormarnweg), schultere ich den Tagesrucksack (ein wirklich angenehmer Begleiteffekt des heutigen Ausflugs) und mache mich um halb eins endlich auf den Weg. 20 Kilometer trennen mich von Lübeck.

Mit dem Karpfen durch Nachbars Garten

Das erste Stückchen raus aus Reinfeld hat, nachdem ich am Rathaus und am Neuhofer Teich vorbei bin, außer einer wirklich beeindruckend hässlichen Karpfenstatue wenig im Angebot.

Symbol der Stadt Reinfeld: der Karpfen, Stormarnweg Etappe 6 nach Lübeck
Eine Stadt, ein Karpfen

Auf dem Bürgersteig trabe ich in Richtung des Gewerbegebiets, wo ich etwas ratlos die zahlreichen Ampeln mustere. Die Wegführung ist nicht ganz eindeutig. Es zeigt sich, dass der kleine Trampelpfad meine Bestimmung ist. Schon bald führt er mich durch beziehungsweise hinter Nachbars Garten.

Stormarnweg Etappe 6 von Reinfeld nach Lübeck
Ein Wiesenweg hinter den letzten Häusern Reinfelds bringt mich über kurz oder lang nach Lübeck

Hier ist es so herrlich grün und still, dass ich mich glatt noch mal kurz auf eine Bank setze und mein erstes Brot verzehre. Das Frühstück in der Bahn habe ich aufgrund der Maskenpflicht verschieben müssen.

Fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn

Alsbald geht es weiter auf Asphalt, der von beiden Seiten begrünt wird und den ich mir mit genau einem Fahrradfahrer teilen muss. Sonst treffe ich niemanden.

Auf dem Weg nach Lübeck, Stormarnweg Etappe 6
Sieht ein bisschen aus wie der krumme Lauf eines Gewehrs

So blau und strahlend der Himmel vor mir ist, so bedenklich zieht es sich auf der anderen Seite bereits wieder zu. Die grauen Wolken leuchten über dem Mais in schönstem Kontrast.

Dramatische Wolkenkulisse hinter Reinfeld, Stormarnweg Etappe 6 nach Lübeck
Stormarnweg at its best. Dramatische Wolken sind auch heute im Preis inbegriffen

Der Regenradar weiß mich zu beruhigen. Trotz dichter Wolken habe ich angeblich nichts zu befürchten. Es wird an uns vorbeiziehen, wenn auch nur knapp, so die Prognose.

In sicherer Entfernung quälen sich Autofahrer, die vermutlich in Richtung Ostsee unterwegs sind, eingepfercht zwischen LKWs, über die Autobahn. Sie sehen aus wie eine Perlenkette. Unser Tempo ist übrigens in etwa das gleiche.

Perlenkette aus LKW und PKW, Gott sei Dank ohne AKW

Durch eine Unterführung komme ich nach Groß Wesenberg. Die ersten fünf Kilometer bis Lübeck sind geschafft. Inzwischen pfeift der Wind so heftig, dass ich in eine Bushaltestelle vor einem alten Gutshaus flüchte und kurz abwarte, wie das Wetter sich entwickelt. Es ist ganz schön dunkel – kein Wunder, bei dem grauen Koloss über mir, der an die Säule eines Orkans erinnert.

Blick aus der schützenden Bushaltestelle. Ob das wirklich vorbeizieht?

Der geteilte Himmel

Als nichts Dramatisches geschieht, schlüpfe ich in meine Windjacke und marschiere weiter. Auf Groß Wesenberg folgt logischerweise Klein Wesenberg. Der Weg bleibt bürgersteigig.

Kirche Klein Wesenberg, Stormarnweg Etappe 6 nach Lübeck
Die Kirche von Klein Wesenberg ist schon asu der Ferne gut sichtbar und wurde auf einem alten Thingplatz errichtet.

Schon von Weitem sieht man die Kirche des Ortes, die auf einem Hügel thront und auf Gläubige wartet. Als ich näher herankomme, überquere ich einmal mehr die Trave. Der Blick ist kurios, denn ich stehe unter einem geteilten Himmel: zur einen Seite leuchtet es blau, zur anderen trostlos und grau.

Stormarnweg nach Lübeck, Traveblick Klein Wesenberg
Die Trave: zur Rechten wolkig und grau,
Stormarnweg nach Lübeck, Traveblick Klein Wesenberg
zur Linken sonnig und blau.

Der erhöht gelegene Platz, an dem seit dem zwölften Jahrhundert eine Kirche steht, hat noch ein deutlich älteres, kulturelles Erbe im Gepäck. Einst war hier ein germanischer Thingplatz. Man vermutet, dass dies der Grund ist, warum eine so große Kirche in diesem doch sehr kleinen Dorf errichtet wurde.

Am Fuße des Hügels biege ich links ab. Eine blau-gelbe Steinsammlung mit Muscheln und Steinen unterstreicht, auf welchem Weg ich mich befinde. Hallo, Jakobsweg. Im Gemeindehaus auf der anderen Straßenseite finden Pilger übrigens eine Unterkunft.

Jakobswegsmarkierung in Klein Wesenberg
Altvertraute Symbole: Muscheln und Pfeile weisen den Weg – nur nicht den meinen

Das kleine Tor zur Kirche steht offen, und so werfe ich einen kurzen Blick auf den Friedhof, wo ich erneut von der Himmelsteilung beeindruckt bin. Das Gotteshaus steht eindeutig auf der Sonnenseite des Lebens.

Kirche Klein Wesenberg
Die Kriche hat sich für die Sonnenseite des Lebens entschieden

Von Vorort zu Vorort

Die nächsten anderthalb Stunden geht es nun durch üppige Felder in Richtung der Vororte Lübecks.

Felder kurz vor Reecke, Stormarnweg Etappe 6
Auf dem Weg nach Reeke…
…geben sich die Felder die Klinke in die Hand.

Schneller als gedacht, begrüßt mich das erste Schild der Hansestadt. Vor mir liegen zwar noch locker zehn Kilometer, aber mein Fuß steht bereits auf dem Territorium der Hanse- und Universitätsstadt Lübeck.

Ups, schon da? Ach nee, ein genauerer Blick zeigt, dass es doch nur Reecke ist

Auf dem Dorfplatz des Ortsteils Reecke erklärt mir ein Schild, dass ich keineswegs nur auf dem Stormarnweg und der Via Baltica gehe, sondern auch noch auf dem Hanseatenweg. Dieses Wegprojekt soll in der Tradition der Hanse zur Völkerverständigung beitragen.

Momentan verbindet es nur Hamburg und Stettin, doch mittelfristig soll der Hanseatenweg über Belgien und die Niederlande durch Reecke, Polen, Litauen und Lettland nach Estland führen. Das ist mal ein amtliches Projekt.

Wegmarkierung Hanseatenweg in Reecke, Stormarnweg Etappe 6 nach Lübeck
Wander- oder Radprojekt der längeren Art. Mittelfristig soll der Hanseatenweg richtig international werden.

Die letzte Schlammschlacht vor Lübeck

Hinter Reecke geht es erst erneut durch Felder, dann zurück in Richtung Trave, wo ein hübscher Mischwald auf mich wartet. Eine Vielzahl von Nacktschnecken hat sich auf dem Boden zu einem kleinen Sit-In verabredet. Ich muss wirklich aufpassen, wo ich meine Schuhe hinsetze, um nicht auf die kleinen Glitscher zu treten.

Waldstück entlang der Trave unterhalb von Hamberge, Stormarnweg Etappe 6 nach Lübeck
Zur Abwechslung geht es im Wald ein paar Schritte steil nach oben

Glitschig wird es kurz darauf dennoch. Der gestrige Regen hat beachtliche Spuren hinterlassen, und die Stelle, an der ich stehe, scheint prädestiniert für Matsch zu sein, denn wohlweislich wurden Bretter ausgelegt, auf denen ich vorsichtig über die Unwegbarkeit balanciere. Völlig unbeschadet gehe ich dankenswerterweise aus meiner letzten Schlammschlacht auf dem Stormarnweg hervor.

Meine letzte Schlammschlacht fällt Gott sei Dank nicht ins Wasser

Für gute anderthalb Kilometer bleibt mir der hübsche, hügelige Wald erhalten. Die Sonne scheint neckisch durch die Blätter, und die Zeit vergeht wie im Flug, während ich alte Bäume und imposantes Wurzelwerk begutachte.

Wegmarkierung Stormarnweg im Wald bei Hamberge, Etappe 6 nach Lübeck
Meine liebgewonnene Wegmarkierung.
Wer wohl unter diesen Wurzeln wohnt?

Bevor es dann noch einmal richtig schön wird, gilt es, zweieinhalb spannungsarme Kilometer rund um Moisling hinter mich zu bringen. Der Stormarnweg verläuft wenig pittoresk auf der Hauptstraße durch den Ort. Passenderweise baut sich eine triste Wolkenlandschaft über den Häusern auf. Es bleibt aber trocken, und als ich entlang der Bahngleise den Weg auf einem Grünstreifen fortsetze, kommt die Sonne wieder zum Vorschein.

Happy End am Elbe-Lübeck-Kanal

Auch wenn ich auf der Karte gesehen habe, dass das letzte Stück des Stormarnwegs am Wasser entlang führt, ahne ich nicht, wie herrlich diese fünf Kilometer sein werden. Dabei ist der Auftakt wirklich alles andere als reizend. Ich bewege mich durch eine Städtebausünde, die von mehreren, in die Jahre gekommenen Hochhäusern dominiert wird, vor denen sich Wohnsiedlungen mit den immer gleichen Häusern erstrecken.

Etwas versteckt werde ich über eine Wiese einen kleinen Abhang hinunter geleitet und kann meinen Augen kaum trauen, als ich unten bin. Aus dem Nichts habe ich eines der schönsten Stücke des gesamten Weges erreicht. Vor mir fließt das Wasser gemächlich den Elbe-Lübeck-Kanal entlang. Ein schmaler Weg für Fußgänger und Radfahrer schlängelt in Wassernähe am Ufer vorbei. Ich bin sprachlos.

Blick auf den Elbe-Lübeck-Kanal, Stormarnweg Etappe 6
Das konnte ja nun wirklich keiner ahnen. Plötzlich bin im Naherholungsgebiet.

An der großen Brücke hinter mir steht eine Dame mit Skizzenblock und zeichnet. Ob es hier nicht traumhaft sei, will sie lächelnd von mir wissen, als sie meinen begeisterten Blick beobachtet. Schnell sind wir im Gespräch. Sie wohne nicht weit von hier und komme täglich hierher. Es sähe immer anders aus, aber immer schön, verrät sie.

Wie die meisten Begegnungen der letzten Tage fragt auch sie erstaunt nach meinem Ziel. Vom Stormarnweg hat sie noch nie gehört, obwohl sie schon so lange hier lebt. Ich zeige ihr die versteckte Markierung am Hang, die mir den Weg von Reinbek bis nach Lübeck gewiesen hat.

Das sei ja wie eine Schnitzeljagd, meint sie, die auf solche Wegweiser bisher nie geachtet hat. Da werde sie künftig einmal genauer hinschauen. Das Abenteuer läge ja offensichtlich direkt vor der Haustür.

Auf dem Weg nach Lübeck. Stormarnweg Etappe 6, Elbe-Lübeck-Kanal
Kleines Paradies am Elbe-Lübeck-Kanal in Richtung Hansestadt.

Im Schneckentempo in Richtung Marzipanstadt

Den Wegabschnitt entlang des Elbe-Lübeck-Kanals lege ich im Schneckentempo zurück. Immer wieder genieße ich die herrlichen Ausblicke und fotografiere mir die Finger wund. Man stelle sich vor, ich wäre hier bei strömendem Regen vorbeigekommen! Da kann die Dame hundertmal sagen, dass es hier immer schön sei.

Ich bin äußerst dankbar, dass ich den sonnigen Tag erwischt habe. Das hier ist ein Abschluss nach Maß. Mal laufe ich mit direktem Blick aufs Wasser, dann wieder entzieht sich der Kanal meinen Blicken, weil er hinter mannshohen Pflanzen verschwindet. Es ist ein Träumchen.

Vom Wasser kaum noch etwas zu sehen, so hoch wachsen die hübschen Disteln

Der Stormarnweg führt über eine kleine Brücke. Unter ihr vereinen sich Trave und Elbe-Lübeck-Kanal. Ich setze mich auf die Treppenstufen, die ans Ufer führen und beobachte einen Vater, der auf der anderen Seite mit zwei kleinen Jungs angelt. Zeit für meine Brote.

Trave und Elbe-Lübeck-Kanal fließen ineinander. Stormarnweg Etappe 6
Die Angler gegenüber haben zwar beim Fischen kein Glück, dafür aber einen tollen Ausblick

An diesem herrlichen Ort sitze ich bestimmt eine halbe Stunde in der Nachmittagssonne und zögere das Ankommen hinaus, während ich die immer neuen Muster des Wassers auf mich wirken lasse.

Ich könnte hier ewig sitzen

Als ich schließlich weitergehe, bleibt es naturnah. Der Weg überquert nun den alten Trave-Arm Lachswehr, wo eine Horde Enten gesammelt Anlauf nimmt, um gemeinsam „Hühner auf der Stange“ zu spielen.

Hühner auf der Stange

Ein umgestürzter Baum räkelt sich elegant im Wasser, und ein Admiral wirft sich für mich auf einer violetten Blüte beim Sonnenbaden in Pose.

Lachswehr, alter Travearm, Stormarnweg Etappe 6
Wunderschönes Farbspiel in Pastell am Lachswehr, einem alten Travearm
Kurz Stillhalten beim Sonnenbaden

Gelungene Integration in die deutsche Spießigkeit

Zu meiner Linken erstreckt sich derweil über fast zwei Kilometer eine gigantische Schrebergärtenanlage, deren Parzellen schon bessere Zeiten gesehen haben. An vielen Stellen wuchert es vor sich hin, die Grundstücke wirken ungepflegt. Da helfen auch die idyllisch klingenden Straßennamen, die von Jasmin- über Apfel- und Haselnuss- bis Sperlingweg reichen, nicht aus der Misere.

Ich bin einigermaßen verwundert. Die Lage der Anlage direkt am Wasser ist einmalig. Zusammen mit der sonst doch eher erschreckend akkuraten Geisteshaltung deutscher Kleingärtner kann ich mir nicht erklären, wieso die Welt hier, von wenigen Ausnahmen abgesehen, so in Unordnung ist.

Doch eine Parzelle reißt es förmlich wieder raus. Über dem Häuschen, das stilecht mit blauer Plane abgedeckt ist, flattert eine überdimensional große türkische Fahne im Wind. Das rot leuchtende Stück Stoff ist mindestens fünf Meter lang und zweieinhalb Meter breit. Hier trifft deutsche Spießigkeit auf türkische Heimatgefühle. Ein besseres Bild gelungener Integration kann ich mir kaum vorstellen.

Leider gibt das Bild die Dimension der Fahne nicht einmal annähernd wieder. Das Ding ist mindestens 2,5×5 Meter

Und noch jemand hat im Schrebergarten ein neues Zuhause gefunden: E.T., der Außerirdische, der so gerne nach Hause telefoniert, hat ebenfalls seine Zelte bzw. sein Häuschen am Trave-Ufer aufgeschlagen.

Schluss mit nach Hause telefonieren – E.T. ist sesshaft geworden

Ankunft in Lübeck: Moin, oder Hände hoch

Zu meiner Rechten wird es derweil zunehmend städtisch. Ein großes Silo und verschiedene Backsteingebäude machen unmissverständlich klar, dass ich meinem Ziel immer näher komme.

Zwischen wildem Rhabarber deutet sich urbaneres Umfeld an

Auf meinem Stormarnwander- und inzwischen auch Radweg passiere ich das, was die Lübecker vermutlich ihren Yachthafen nennen, bevor ich wenige Meter weiter am Motorboot Club vor der großen Brücke abbiege.

Stormarnweg, Etappe 6, kurz vor dem Ziel
Der Lübecker „Yachthafen“

Über besagte Brücke geht es auf die andere Uferseite. Hier ist Schluss mit der Idylle des Landlebens aus den letzten Tagen. Ein Graffiti heißt mich eher unwillig willkommen. Moin und jetzt Hände hoch, aber schnell!

Herzliche Begrüßung in Lübeck

Vorbei an den Wallanlagen nähere ich mich dem Stadtzentrum. Menschen mit Einkaufstüten machen dies unmissverständlich klar. Der Blick, der sich hier auf die Altstadt bietet, ist wie gemacht als Postkartenmotiv, zumal ich heute ja auch wirklich Postkartenwetter habe.

Diese Stückchen wird übrigens Malerwinkel genannt. Da lag ich mit meinen Postkartengefühlen ja gar nicht mal so sehr daneben.

Lübeck, Malerwinkel, Stormarnweg Etappe 6
Postkartenidylle im Malerwinkel mit Blick auf die Altstadt und den Dom

Von der gemalten geht es nun weiter zur bildenden Kunst. In einem Vorgarten warten drei Figuren, die vom Kopf abwärts eher kloßförmig daherkommen, während eine Hand nach ihnen greift. Ich weiß nicht, was der Künstler uns damit sagen wollte, aber für mich ist dies die Familie ohne Unterleib.

Bildende Kunst: Die Familie ohne Unterleib

Wenig später, an der Kunsttankstelle, setzt sich das Motiv fort. Zumindest eine der leichtbekleideten Schaufensterpuppen verfügt über keinerlei Gebein, scheint aber dennoch in ein angeregtes Gespräch vertieft.

Kunsttankstelle Lübeck
In Lübeck ist Abhängen angesagt, zumindest an der Kunsttankstelle

Und dann sehe ich auch schon das Wahrzeichen aller Wahrzeichen. Vor mir erhebt sich das Holstentor, die Salzspeicher im Rücken. Es ist ein seltener, untouristischer Anblick, denn von hier ahnt man nicht, wie viele, mit Fotoapparat und Handy bewaffnete Menschen sich auf dem Vorplatz tummeln.

Hostentor Lübeck, Seitenansischt. Etappenziel des Stormarnwegs
Seitenansicht auf das Wahrzeichen der Marzipanstadt

Finisher Foto samt rasanter Stadbesichtigung

Natürlich lasse ich es mir nicht nehmen, das prägnante Stadttor auch von der Vorderseite zu bewundern, wenn ich schon mal da bin. Das Pärchen vor mir erklärt sich netterweise bereit, mein Finisher Foto zu schießen.

Der innere Jubel, am Ziel zu sein, bleibt aus, auch wenn ich mich freue, es geschafft zu haben. Das sah an den ersten beiden Tagen meiner Wanderung wahrlich noch nicht unbedingt so aus.

Beweisbild mit blauem Himmel. Da hat sich das Warten doch gelohnt.

Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass ich entweder den Zug in einer halben oder alternativ erst in anderthalb Stunden nehmen kann. Auch wenn die Terrassen im Sonnenschein verlockend wirken, entscheide ich mich dagegen, länger zu bleiben. So langsam wird es kühl, und ich kann ja jederzeit hierher zurückkommen. Nur zum Rathaus möchte ich noch schnell.

Der Blick auf die Trave von der Holstenbrücke aus ist fantastisch. Schon wieder so ein hübsches Postkartenmotiv. Ich kann mich nicht entscheiden, ob mir der Blick auf den Fluss mit seinen weißen Gebäude am Ufer oder doch die unverputzten Salzspeicher, die wie Hexenhäuschen ausschauen, besser gefallen.

Lübeck Blick auf die Trave und die Salzspeicher von der Hostenbrücke
Die weißen, stattlichen Gebäude haben geradezu etwas Mediterranes
Salzspeicher Lübeck
Lauter kleine Hexenhäuschen, nur dass es hier eher salzig als süß ist

Ich flitze die Einkaufsstraße hinauf und bin dankbar um meinen Tagesrucksack, der mich etwas behänder und wendiger an den samstäglichen Shopping Kings und Queens vorbeimanövrieren lässt, sodass ich nach fünf Minuten Spießroutenlauf auf dem Marktplatz mit seinem prägnanten Rathaus stehe.

Rathaus Lübeck
Der Renaissance-Teil des Rathauses vor der gotischen Schildwand, im Hintergrund links die Marienkirche.

Ich war erst zweimal hier, beide Male im Winter, wenn auf dem Platz der bekannte Weihnachtsmarkt zu begeistern vermag. Die Kulisse ist auch diesmal spektakulär.

Verschiedene Baustile haben ihre Spuren am Rathaus hinterlassen. Hinter der weißen Renaissance-Laube erhebt sich die frühgotische Schildwand, in der man rechts, hinter dem dritten weißen Giebel, einen kleinen, romanischen Teil ausmachen kann. Zu weit nach links sollte man allerdings besser nicht schauen, denn hier steht eine neuzeitliche Bausünde.

Über Eck präsentiert sich das prägnante Lange Haus und rechts davon das Neue Gemach, in dem inzwischen der weltbekannte Marzipanhersteller Niederegger sein Café betreibt. Alle Fassaden sind mit bunten Wappen und Schildern verziert, von denen ich leider nicht weiß, was sie symbolisieren.

Lübecker Rathaus: Langes Haus und Neues Gemach
Langes Haus und Neues Gemach wissen mit bunten Verzierungen zu begeistern

Für meine kleine Touritour investiere ich ganze zehn Minuten, dann sprinte ich schon wieder in Richtung Bahnhof. Mit etwas Verspätung realisiere ich, dass Busbahnhof und Bahnhof zwei verschiedenerlei Dinge sind und schaffe es auf den letzten Drücker in den bereitstehenden Zug nach Hamburg. Das Abenteuer Stormarnweg ist schlagartig vorbei, ein weiteres Wanderkapitel schließt sich.

Fazit Stormarnweg

Ich hatte, ehrlich gesagt, keine Ahnung, was mich vor den Toren Hamburgs erwarten würde, als ich recht spontan entschied, den Stormarnweg zu laufen. Anfangs konnte ich mir noch nicht mal seinen Namen merken und nannte ihn immer wieder Stromann.

Ich habe meine Corona-bedingte Entscheidung für diesen Weg zu keinem Zeitpunkt bereut. Die vielen wunderschönen, naturbelassenen Waldstücke haben mich ebenso erfreut wie die unendliche Weite, die man zwischen den Feldern verspürt und auch die zahlreichen, schlossähnlichen Gutshäuser haben mich immer wieder staunen lassen.

Das Wetter war mit Sicherheit ausbaufähig, aber selbst das bereue ich nicht wirklich, denn so hatte ich immer wieder beeindruckende Wolkengebilde zu bewundern. Dass die Gegend auch bei Sonnenschein einen großen Reiz ausüben kann, ist spätestens nach dem heutigen Tag Gewissheit.

Einigen Orten werde ich sicherlich noch einmal einen Besuch abstatten, zumal die Anreise aus Hamburg schnell gemacht ist. Den Großensee würde ich gern bei gutem Wetter erleben, Reinbeck möchte ich mir in Kombination mit dem verpassten Bergedorfer Schloss noch einmal anschauen und das Brenner Moor zwischen Nütschau und Bad Oldesloe werde ich ganz bestimmt noch einmal durchlaufen.

Die Wegmarkierung des Stormarnweges war insgesamt sehr zufriedenstellend, auch wenn es an einzelnen Passagen mehr als hilfreich war, mit dem GPS-Track ein Backup auf dem Handy zu haben. Abzüge in der B-Note gibt es nur für die Wegbeschaffenheit. Das gilt sowohl für den doch recht hohen Anteil an Asphalt als auch für die ausgesprochene Flachheit. Letzteres lässt sich wohl nicht vermeiden, wenn man ihm hohen Norden unterwegs ist, doch musste ich feststellen, dass es für meine Gelenke deutlich anstrengender ist, ausnahmslos flach zu laufen. Die Belastung ist eben sehr einseitig. Aber das ist Klagen auf hohem Niveau.

Denjenigen von euch, die im Hamburger Umland wohnen, kann ich den Kreis Stormarn als Radel- oder Wanderspot heftig ans Herz legen. Und für diejenigen, die sich einmal ans Weitwandern herantasten wollen, ist der Stormarnweg eine absolute Empfehlung, da die Etappenorte fast alle problemlos mit Öffis zu erreichen sind. Sollte es also nicht so laufen, ist man schnell wieder daheim.

Kommentare und Feedback

Ich würde mich sehr freuen, wenn ich den ein oder anderen inspirieren kann, den Landstrich zwischen Hamburg und Lübeck genauer zu erkunden – sei es als zusammenhängende Weitwanderung oder in Einzeletappen. Lasst mich dann sehr gern in den Kommentaren wissen, was ihr erlebt habt, wie es euch gefallen hat und was vielleicht nicht unbedingt empfehlenswert war (Stichwort Etappe 3: Ahrensburg – Bargteheide).

 

Verfolgungswahn

Wie auch bei den Vorgänger-Etappen gibt es die heutige zum Nachwandern bei Komoot. Die Zeitangaben sind wie immer reine Laufzeit ohne jegliche Pausen.

Zeitreise

Rückwärts: Wenn du die vorangegangenen Etappen verpasst hast, dann kannst du dir natürlich noch einmal gern das gesamte Abenteuer der Reihe nach durchlesen und kommst hier zum Startpunkt, als ich die grandiose Idee hatte, eine eigene Etappe ab Hamburg zu planen.

12 Gedanken zu „Stormarnweg Etappe 6: Von Reinfeld nach Lübeck&8220;

  1. Moin Audrey, und wieder eine schöne Beschreibung. Das Silo in Lübeck ist übrigens eines der letzten wunderbaren Gasometer in Deutschland. Danke für Deine Etappenbeschreibungen. Viele Grüße Jan

  2. Vielen Dank für die schönen Beschreibungen des Stormanwegs, Audrey – ein schönes Beispiel, dass sich das Wandern vor der Haustür durchaus lohnt und man darüber auch interessant etwas schreiben kann! 🙂
    Das Wandern in so flachen Etappen über mehrere Tage sind auch wir kaum gewohnt und da bin ich ja mal gespannt, wie es mit unserem Deutschlandweg ab dem Harz und dem Trotten auf der Ebene weitergeht! 🙂

    Herzliche Grüße

    Steffi

    1. Hey Steffi,
      ich hoffe, der Stormarnweg schafft es bei eurer Deutschlanddurchquerung unter eure Füße und im Bestfall bekommen wir uns dann ja auch mal zu Gesicht, wenn es schon nicht klappt, während ich an eurer Haustier vorbeilaufe.

      Viel Spaß auf dem Rennsteig und bis bald
      Audrey

  3. Tja, das war’s schon wieder. Jeden falls gratuliere ich dir nicht nur zum erfolgreichen Abschluss der Tour, sondern auch zur Entscheidung, den einen oder anderen Tag zu warten, bis es wieder passt. Weitwandern muss man nicht immer puritanisch auffassen, denn was hilft es, wenn man den Weg in einem und markierungsgetreu durchläuft, dafür aber nur wenig oder nichts sieht. Ich kann mir nicht vorstellen, damit glücklich und zufrieden zu sein. Ob sich das die Thru-hiker auch eingestehen? Alles Gute für deine nächsten Projekte und danke nochmals fürs Mitnehmen in den Norden Deutschlands.
    LG
    Bernhard

    1. Ja, so schnell geht es vorbei. Wobei ich zugeben muss, dass ich ganz froh bin, jetzt erst mal nicht mehr schreiben „zu müssen“. Diese 7 Wochenenden in Folge haben doch wieder einiges an Zeit gefressen. Aber Spaß gemacht hat es auch, zumal ja immer so nette Kommentare auf mich gewartet haben.

      Du hast völlig Recht – wenn man die Möglichkeit hat, dann ist es manchmal ganz clever zu springen oder zu schieben. In der Regel bin ich aber schon jemand, der gerne jeden Meter läuft. Sollte es aber auf meiner nächsten Wanderung mit Ansage derart regnen, wie an Tag 5, würde ich es auch diesmal so handhaben, dass ich mir die Tour dann schenke. Und kleine Abkürzungen sind auch erlaubt. Man läuft ja in der Regel sowieso genug Umwege, weil man irgendwo eine Markierung übersehen hat 😉

      Nachdem du jetzt den Norden erkundet hast, geht es in den Südwesten. Ich bin gespannt, was mich erwartet und werde sicher zeitnah auf Facebook Kurzberichte machen. Die ausführlichen Beiträge auf dem Blog werden sicherlich auch irgendwann kommen. Aber dann vermutlich nicht mehr brav an jedem Sonntag 🙂 Sonst wäre ich 16 Wochen in Folge beschäftigt.

      Liebe Grüße
      Audrey

  4. vielen dank fürs mitkommen dürfen
    ich beneide dich immer wieder um deine wortgewaltigkeit
    wenn ich anfange, meine wanderungen zu beschreiben, kommt mir das so unrichtig vor, dass ich immer wieder aufgebe.
    bleib wie du bist, liebe audrey.

  5. Liebe Audrey,
    eeeeeendlich habe ich es einmal geschafft, deine Beiträge zum Stormanweg zu lesen. Wie immer: sehr unterhaltsam und mit schönen Bildern bestückt.
    Ich habe gerade mal geguckt. Als du die letzte Etappe gelaufen bist, habe ich gerade ein paar schöne, sonnige Tage am Steinguder Meer verbracht.
    Jetzt ist es auch schön sonnig hier in Bonn, perfekter Brückentag. Man könnte so schön rausgehen und wandern – ja, wenn. Ich muss leider ganz viel Schreibtischarbeit erledigen und die Füße lassen eine längere Wanderung nicht mehr zu.
    Mach es gut!

Und was sagst Du?