Caminho Portugues #8: Von O Porriño nach Arcade

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Tag 8 auf dem portugiesischen Jakobsweg von O Porriño nach Arcade: Singing in the rain und Carbonara e una Coca Cola bilden den musikalischen Rahmen eines Tages, in dem ungnädige Kartoffeln, geschenkte Rosen und überraschende Wiedersehen eine Rolle spielen und ich erkennen muss, dass Männer stundenlang in Supermärkten abtauchen können (10. Mai 2017, 22 Kilometer)

Obwohl wir vor zehn im Bett waren, schlafen wir bis sieben. Offensichtlich hatten wir Nachholbedarf. Kaum wach, brechen wir auf. Bloß nicht länger als nötig bei Motzes und den zehn Verboten bleiben – nachher machen wir noch irgend etwas falsch!

Das Wetter ist über Nacht umgeschlagen. Galizien begrüßt uns standesgemäß mit Regen, und ich scheine die einzige zu sein, die sich darüber freut. Meine Begleiter Spanien und Australien halten mich einmal mehr für überdurchschnittlich bekloppt, aber damit kann ich leben. Hauptsache, die Hitze ist Geschichte.

Die ungnädige Kartoffel

Beschwingt starte ich mit Regenjacke in den Tag. Ich freue mich, dass ich meine beiden Begleiter weitere 24 Stunden um mich haben werde. Da ist für ausreichend Unterhaltung gesorgt.

Die erste Lachsalve erwartet mich gleich zum Frühstück. In der Tradition der letzten Tage gehen wir natürlich zu erst frühstücken. Ein Bäcker mit angeschlossenem Café findet sich wenige Meter hinter der Herberge. Toni will wissen, worauf ich Lust hätte. Ich seufze etwas von Omelette mit Tomaten und Käse, was unser katalanischer Anführer zu seiner leichtesten Übung erklärt.

Nach einem kurzen Schwätzchen mit der Verkäuferin fragt er also artig, ob sie uns ein Bocadillo mit Tomaten einreiben und darauf eine Tortilla Francesa mit Käse zubereiten könne. Sie nickt, und unser kleines Trio reibt sich schon voller Vorfreude die Bäuche. Was sind wir doch für Glückspilze.

Fünf Minuten später erwachen wir jäh aus unseren Omelette-Fantasien. Vor uns stehen drei Bocadillos, auf denen sich eine schnöde Tortilla Española befindet, also die klassische Variante mit einer Menge Kartoffeln und ein wenig Ei, die es so in jedem Supermarkt zu kaufen gibt. Meine Enttäuschung ist riesig, und Toni beschwert sich umgehend, doch die Dame zuckt nur mit den Achseln. Sie habe nichts anderes. Also widmen wir uns ungnädig unserem Kartoffel-Ei-Desaster. Was ein echter Pilger ist, meckert nicht. Immerhin ist der Kaffee gut.

Willst du diese Rose haben?

Wenig später verlassen wir mit leichter Unbefriedigung O Porrino. Irgendwie ist uns dieser Ort mit Blick auf das Essen nicht gerade wohlgesonnen, denken wir in Erinnerung an unseren gestrigen Restaurantbesuch. Nichts wie weg hier.

Konditionell habe ich heute eindeutig Oberwasser. Das Wetter bekommt mir, auch wenn das ständige Spiel Regenjacke an, Regenjacke aus etwas anstrengt. Auf dem Weg durch ein kleines Dorf bricht Toni eine Rose von einem Strauch im Vorgarten ab und überreicht sie mir mit großer Geste und angedeutetem Kniefall. Fluchs wandert das hübsche Ding in meine Haare.

Einmal wie die Bachelorette fühlen – heute gab es eine Rose für mich.

Es dauert nur wenige Schritte, da gießt es urplötzlich wie aus Eimern, so dass wir uns in eine Bushaltestelle flüchten. Eine halbe Stunde sitzen wir rauchend in unserem Unterschlupf und werden ungeahnt zur Dorfattraktion. Die Anwohner, die an uns vorbeilaufen, haben sichtlich Spaß. Als Dankeschön für unser Entertainment gibt es ein schönes Gruppenbild.

Get together in der Bushaltestelle. Draußen Regen, drinnen Strahlen

Singing in the rain und seine Freunde

Als der Regen weniger wird, setzen wir unseren Weg fort. Hugh und ich erfinden ein neues Spiel, die lustige Umstände-Karaoke. Es gilt während der nächsten Stunde, zur Situation passende Songs auszugraben und dem anderen vorzusingen. Von Singing in the rain über Raindrops keep falling on my head bis I can’t stand the rain ist alles dabei und die Zeit vergeht wie von selbst.

Zu meiner großen Freude führt uns der Camino heute durch eine Menge Nadelwald. Ich liebe es, über Pfade zu laufen, die von Tannennadeln gepuffert sind. Mit diesen Airbags an den Füßen läuft es sich so unglaublich beschwingt. dass einem auch schon mal die Stöcke wegfliegen.

Hoch die Hände, Wochenende. Hugh in seiner Lieblingspose

Das Stück, auf dem wir gerade unterwegs sind, ist zur Abwechslung mit gelben Holzpfeilen markiert, über denen Muscheln angebracht sind. Auf jeder steht ein Name. Ich muss sehr lachen, als ich an einem Exemplar vorbeigehe, auf dem der Name Nico prangt. So heißt genau jener Kollege, der mir zu Beginn meiner Reise verbal erfolgreich in den Hintern getreten hat, damit ich das Nörgeln einstelle.

Ich mache ein Foto und weise daraufhin, dass ich ihm zu Ehren kreativ geworden bin. So viel Zeit muss sein.

Basteleinlage für meinen Kollegen – behaupte ich zumindest

Thema des Tages: Veränderung

Maria weiß auch nicht weiter

Die Gespräche im Wald werden ernster. Irgendwie dreht sich heute bei jedem von uns alles um das Thema Lebensveränderung und der Frage, was als nächstes kommt. Toni braucht nach zwei Jahren endlich mal wieder einen Job und will weg aus Barcelona, hat aber das Henne-Ei-Problem. Das Risiko, erst irgendwohin zu gehen und dort einen Job zu suchen, scheint kompliziert, einen Job zu finden und dann zu gehen, ist nahezu unmöglich.

Hugh will wegen seines nervigen Direktors an eine andere Schule und eigentlich will er auch weg aus Melbourne, aber jetzt, wo er die Brasilianerin kennengelernt hat und die beiden ihr künftiges Leben miteinander verbringen wollen, muss er an einem Ort arbeiten, an dem sie weiterstudieren kann.

Und ich? Ich weiß, dass ich in Hamburg bleiben will. Was den Job anbelangt, so spüre ich jetzt, wo ich mehr Abstand habe, dass es dringend an der Zeit ist, etwas anderes zu machen. Mein Chef kostet mich Kraft, und die Aufgaben fordern mich nicht mehr wirklich. Aber ich habe keine Ahnung, was ich dann tun soll. Ich arbeite in einer sehr spezifischen Branche und mein erworbenes Wissen ist alles andere als generalistisch. Zur Konkurrenz zu gehen, reizt mich nicht.

Aber finde ich etwas anderes, das ähnlich gut bezahlt ist, wenn ich meine Kompetenz aufgebe? Wie viel brauche ich eigentlich wirklich, um zu leben? Und was kann ich überhaupt? Mit solchen Überlegungen kann man schnell mal zwei Stunden verbringen.

Mitgehangen, mitgefangen

Um halb eins erreichen wir Redondela. Toni schnappt sich den erstbesten Spanier und textet ihn standesgemäß zu. Ich weiß nicht, was er bespricht. Fragt er, ob das hier Redondela ist? Wo man essen könne? Wo die Herberge ist? Ob es good peoples gibt? Er braucht offensichtlich spätestens alle zwei Stunden ein Gespräch mit hilflosen Passanten.

Toni bei seiner Lieblingsbeschäftigung: Unterhaltungen mit fremden Leuten anstoßen

Redondela gefällt uns allen nicht besonders. Es ist laut und dreckig, fast schon wie eine Kleinstadt, auch wenn der Ort nur 7.500 Einwohner zählt. Zudem ist es noch früh, und die hiesige Herberge wirkt wie eine Massenunterkunft und zieht uns wenig an. Zeit, weiterzugehen.

Mir kann es gar nicht schnell genug gehen. Der Verkehr nervt, und ich will sofort weiter. Doch die Rechnung habe ich ohne meine Jungs gemacht. Die möchten erst einmal in Ruhe etwas essen. Eine schlechte-Laune-Welle fegt über mich hinweg, in meinem Bauch formiert sich ein völlig überzogener, noch dazu recht unerklärlichen Wutball.

Ich könne ja schon mal vorgehen, schlage ich vor. Mein Vorstoß wird abgelehnt. Das käme gar nicht in die Tüte, so lange, bis sie gegessen hätten, würde ich wohl gerade noch warten können, finden die beiden. Bockig setze ich mich und bestelle mir demonstrativ lediglich einen Kaffee, während die beiden Burger essen. Eigentlich habe ich spätestens beim Anblick des Fastfoods ebenfalls Hunger, aber eher würde ich mir die Zunge abbeißen, als das zuzugeben.

Die schlechte Laune verzieht sich Gott sei Dank genauso schnell, wie sie gekommen ist, und die Jungs haben ein Einsehen und beeilen sich mit dem Essen, damit wir den Ort schnellst möglich verlassen können.

Ist das Kunst oder kann das weg?

Wir streunen noch ein Weilchen durch bebautes Gebiet, dann dürfen wir wieder in einen Mischwald abtauchen, der zu überraschen weiß. Unter meiner gegen den ständigen Nieselregen tief in die Stirn gezogenen Kappe erspähe ich zwei rote Sessel, die nur auf müde Wanderer zu warten scheinen.

Pausenplatz Rote Sessel Caminho Portugues von O Porriño nach Arcade
Eindeutige Markierung: herkommen, hinsetzen, weiterlaufen.

Die Markierung neben den Stühlen ist mein persönliches Highlight. Sie sieht klar vor, dass man kurz Platz nimmt, bevor man weitergeht. Wäre nicht alles so nass, ich hätte mich ganz bestimmt hier niedergelassen.

Nur fünf Minuten erwartet uns eine beeindruckende Sammlung unterschiedlichster Jakobsmuscheln in einem großen Rahmen. Die meisten sind beschrieben: mit Namen, guten Wünschen und Ortsangaben.

Rahmen voller Jakobsmuscheln auf dem Weg nach Arcade
Wer keinen Schlaf findet, kann hier statt Schafen Jakobsmuscheln zählen. Es sind locker über 500, wenn ihr mich fragt.

Keiner von uns hat eine Muschel übrig, die man aufhängen könnte. Wir möchten unsere Erkennungszeichen gern weiter am Rucksack lassen, danken aber den vielen Pilgern, die dieses Kunststück möglich gemacht haben.

Während wir weiterlaufen, flankiert üppig blühender Ginster unseren Camino, dessen Duft mich immer an Honig erinnert. Pilgern im Frühjahr hat schon so seine Vorteile.

Gute Laune garantiert – mit Hugh über Stock und Stein.

Zwischen den Bäumen und Sträuchern bietet sich ein spektakulärer Blick auf einen großen See (strenggenommen handelt es sich um einen Meeresarm), an dessen Ufer man Arcade bereits liegen sehen kann. Das Ziel kommt näher.

Blick auf Arcade vom Camino Portugues
Graue Melange aus Wasser und Wolken. Unser Ziel für heute, Arcade

Das Gleiche gilt für das große Ziel unserer Reise. Denn auch Santiago ist nun nur noch 75 Kilometer entfernt. Das sind drei bis vier Tagesetappen. Wirklich unglaublich, wie schnell das wieder geht.

Das Babyschildkrötenmassaker

Als wir den Abstieg zum Wasser geschafft haben, gönnen wir uns noch eine letzte Raucherpause in einer Parkbucht. Hugh ist vorbildlich wie immer und hebt seinen Zigarettenstummel im Anschluss auf, um ihn später wegzuwerfen. Toni und ich hingegen treten unsere Stummel recht achtlos aus und wollen dann weitergehen. Der Australier hebt sie zu unserer Verwunderung demonstrativ auf, sein Blick spricht Bände. Das ist nicht das erste Mal heute. Toni und ich vergessen uns nur irgendwie immer wieder.

„You are killing baby turtles“, stellt Hugh vorwurfsvoll fest. Toni, hat keine Ahnung, was Turtles sind, und ich frage mich, wo hier bitte kleine Schildkröten sein könnten und was unser Aussie genau von uns will. Der hält uns daraufhin einen ungefragten Vortrag, der sich gewaschen hat. Wir wären Umweltverschmutzer. Das Gift unserer Kippen würde über das Grundwasser in den Ozean gelangen und die kleinen Schildkröten töten. So ernst das Thema ist und so Recht unser Biolehrer hat, so sehr muss ich über die Vorstellung von Schildkröten in unserer Hemisphäre schmunzeln.

Hugh räumt ein, dass er an seiner Metapher mit Blick auf die ortsansässige Fauna noch feilen kann, weicht aber von seiner Botschaft nicht ab. Toni und ich müssen unser großes Indianer-Ehrenwort abgeben, künftig unsere Ziesen ordentlich zu entsorgen.

An dieser Stelle sei gesagt, dass die Ansprache auf fruchtbaren Boden gefallen ist, oder dass ich mich offensichtlich wirklich vor einem von mir angerichteten Babyschildkrötenmassaker fürchte, denn seitdem trage ich auf Wanderungen immer einen kleinen Taschenaschenbecher mit mir herum.

Weihnachtskrippen und kühle Blondinen

Die letzten Kilometer sind schnell erledigt und bis auf einen kuriosen Peregrino-Schrein, der sich optisch irgendwo zwischen Comic und Weihnachtskrippe bewegt, erleben wir nicht mehr allzu viel.

Kleiner Pilgerschrein auf dem Weg nach Arcade, Gott sei Dank ohne Babyschildkröten

Nach einem kleinen Anstieg erreichen wir unsere Herberge, die in einem leuchtend roten Haus untergebracht ist. Gleich nebenan befindet sich ein Hotel mit so verlockender Terrasse, dass Hugh und ich direkt nach dem Einchecken dort einchecken.

Toni kann gar nicht so schnell gucken, wie Australien und Deutschland vor einem Bier sitzen. Er schüttelt bei so viel Klischee nur den Kopf und geht duschen, während Hugh und ich uns die Körperpflege für später aufheben und erst mal das kühle Blonde genießen. Es steht 1:1 – nur Spanien liegt hinten.

Am Nachbartisch sitzt eine Gruppe lärmender Niederländer, und ich kann es mir nicht verkneifen, kurz mit ihnen zu plaudern. Wie sich herausstellt, sind sie aus Nord Limburg und als Gruppe auf dem Jakobsweg unterwegs. Heute gönnen sie sich mal eine richtige Unterkunft und sind im Hotel abgestiegen. Gut für uns, sonst wäre die Herberge mit Sicherheit completto gewesen.

Nach dem Duschen räkle ich mich entspannt auf den inzwischen trockenen Plastikliegestühle in der Sonne und quatsche mit drei Deutschen, während Hugh neben mir liest. Toni kommt raus, um seine Schäfchen zu versammeln. Er habe die Küche inspiziert. Sie sei gut genug ausgestattet, damit er heute Abend vor Ort seine legendären Spaghetti Carbonara zaubern könne, teilt er mit. Vorher müssten wir aber einkaufen. Hugh und ich trotten gehorsam hinter ihm her und hinab nach Arcade.

Der längste Einkauf der Welt

Was einfach klingt, entpuppt sich als immense, zeitliche Herausforderung. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viel Zeit in einem Supermarkt verbracht. Nach den vielen Tagen in Tante Emma Läden scheinen meine beiden Boys überfordert von der Vielfalt, die dieser riesige Laden bietet. Immer, wenn ich glaube, wir seien endlich so weit und könnten zur Kasse gehen, fällt einem der beiden noch etwas ein, dass unbedingt gekauft werden müsse. Ein Sack Flöhe hütet sich definitiv leichter.

Nun, da Toni seine Carbonara machen wird, hat Hugh beschlossen, sich morgen mit Frühstück und Rührei zu revanchieren. Wir geraten in eine hitzige Diskussion, wie man nun selbiges zubereite. Ich bin der festen Überzeugung, dass es dazu Milch brauche. Hugh schaut mich an, als hätte ich gesagt, wir bräuchten noch eine Prise Strychnin. Was ich denn mit der Milch wolle? In ein gutes Rührei gehöre nun wahrlich keine Milch. Aber Zwiebeln und Tomaten. Und ehe ich mich versehe, ist der Australier Down Under, bzw. irgendwo in der Tiefe der Gemüsetheke verschwunden.

Toni kommt derweil mit breitem Grinsen von der Frischetheke wieder. Er habe etwas „much special“ erhalten. Die Dame (natürlich ein „good wife“) habe ihm ein Geschenk gegeben und ihm eine Köstlichkeit zum Dessert geschenkt, bei der es sich um eine lokale Especialidad handel. Das gäbe es nur hier. Ich hinterfrage es nicht weiter, sondern nicke appatisch. Nach einer Dreiviertelstunde in diesem klimatisierten Konsumtempel möchte ich eigentlich nur noch raus.

Ob ich die Zutaten für den Salat besorgt habe, fragt Toni. Ich mache ein fragendes Gesicht. Von einem Salat höre ich zum ersten Mal. Carbonara ohne Salat sei ja keine vollständige Mahlzeit, klärt mich der spanische Paul Bocuse auf. Also flitze ich noch mal schnell zum Frischgemüse. Eine Viertelstunde später sind endlich alle Zutaten im Wagen, inklusive der Äpfel für den Salat. Was die anbelangt, war Toni kompromisslos. Und wie ich schon sagte, stelle ich selbst keine Fragen mehr.

Am Weinregal entdecke ich meinen absoluten Lieblingsrotwein Siglo und packe zwei Flaschen ein. Diesen Rioja habe ich das letzte Mal vor einem Jahr auf den Felsen von Finisterre getrunken. Kurz wandern meine Gedanken zu Schweden Ben. Ihm verdanke ich die Entdeckung dieses Weines und einige weitere Erkenntnisse. Wie es ihm wohl inzwischen gehen mag?

Bevor ich zu nachdenklich werden kann, schieben mich die Jungs zur Kasse. Toni schüttelt den ungläubig den Kopf, als er die beiden Weinflaschen entdeckt. Wir seien zwei Leute! Der Katalane rührt Alkohol nicht mehr an. Ich vermute, es gab Zeiten, wo er deutlich zu viel davon hatte. Hugh und ich erklären, dass man nie wisse, wer noch alles komme und das zwei Flaschen demnach das Mindeste seien, was man für einen Carbonara-Abend benötige.

An der Kasse dann lauter Protest, vor allem von Hughs Seite, als ich die gesamten Einkäufe bezahle. Ich kürze die Diskussion ab: Toni koche heute Abend, Hugh morgen früh; da sei es nur fair, dass ich bezahle, wenn ich schon nichts sonst beizutragen hätte. Dann ist es endlich vollbracht. Der längste Einkauf der Welt ist hiermit offiziell beendet.

Carbonara e una Coca Cola

Zurück in der Herberge ist die Rollenverteilung schnell geklärt. Toni übernimmt das Kommando, Hugh und ich befolgen seine Anweisungen, flankiert von unserem ersten Glas Wein. Der Australier zeigt eine beeindruckende Performance beim Hacken der Kräuter. Er erzählt, dass seine Mutter Kochen unterrichte und er sich einiges abschauen konnte. Ich putze derweil den Salat. Da kann man aus Tonis Sicht nicht allzu viel falsch machen.

Zwei Profis am Werk. Hughs gehackte Kräuter bestehen Tonis kritischen Test.

Es dauert nicht lange, bis es wirklich ganz hervorragend duftet. Schnell ist der Tisch gedeckt. Toni erspäht Inga, das litauische Mädchen aus Emergency Room, an dessen Blasenbehandlung er erfolgreich mitgewirkt hat, und lädt sie ein, mit uns zu essen.

Eines der besten Essen auf dem ganzen Camino. Carbonara mit Apfel-Salat

Andere Peregrinos schauen bewundernd auf unser Abendessen. Die drei Deutschen, die ebenfalls am Tisch sitzen und ihre Instant-Nudeln verspeisen, rufen mir zu, dass ich ein wahrer Glückspilz sei. Inzwischen haben wir auch noch für Musik gesorgt und unser Tisch wird im Laufe des Abends immer voller.

Wie gut, dass wir noch das magische Dessert haben. Toni packt seine Beute aus. Es handelt sich um eine gelierte Masse in einem hellen Braunton, die süßlich riecht. Toni kann mir nicht sagen, was es ist. Die good wife an der Frischetheke hat empfohlen, es zusammen mit Käse zu essen. In meinem Reiseführer finde ich den Hinweis auf eine galicische Spezialität, Quittengelee, und löse das Rätsel für alle.

Audrey (sehr vorteilhafte Perspektive), Toni Jolandes Freundin, Jolande und Hugh

Wir nehmen Musik, Wein und Zigaretten mit nach draußen auf die Veranda. Zwei Französinnen haben sich zu uns gesellt und freuen sich, als wir ihnen ein Glas anbieten. Hugh und ich grinsen – also doch alles richtig gemacht. Zwei Flaschen Wein sind nie zu viel.

Im Hintergrund singt Manu Chao Clandestino. Bei der Textzeile „Marihuana Illegal“ fängt Jolande an zu lachen. Sie kiffe ab und zu, erklärt sie uns und habe dieses Lied genutzt, um ihre Kinder ordnungsgemäß aufzuklären. Überhaupt tragen die beiden Frauen immens zu unserer Erheiterung bei.

Ich liebe es, wenn sich nach Tagen wie heute unterschiedlichste Menschen um einen Tisch versammeln und gemeinsam essen, trinken und über das Leben philosophieren. Das ist wohl einer der Gründe, wieso ich vom Camino einfach nicht loskomme. Wo erlebt man schon eine solche Dichte an good peoples?

Digitales Wiedersehen

Die Französin erzählt uns von ihrem ersten Weg. Der habe sie so sehr begeistert, dass sie nun, ein Jahr später, ihre Freundin eingepackt habe, um erneut zu pilgern. Sie ist genau wie ich letztes Jahr den Frances gelaufen. Was machen wir für große Augen, als wir feststellen, dass wir nicht nur zur gleichen Zeit unterwegs waren, sondern tatsächlich am gleichen Tag angekommen sind. Wir sind uns in der ganzen Zeit nie begegnet. Das ist schon verrückt.

Jolande klickt sich durch die Fotos auf ihrem Handy und zeigt mir stolz ihr Ankunftsbild. Eine Gruppe von sicher 15 Leuten posiert vor der Kathedrale. Das sei ihre Gruppe gewesen. Ich ziehe die Gesichter größer und kann es nicht fassen: in der Gruppe entdecke ich ein bekanntes Gesicht. Ich erkenne eine großgewachsenen Niederländer. Kati und ich hatten ihn und seinen Freund mehrere Tage in Folge immer wieder überholt und uns von ihnen überholen lassen. Wir nannten die beiden damals Hase und Igel. In der Herberge in Belorado kamen wir auf der Treppe vor dem Abendessen mit ihnen ins Gespräch. Der eine war aus Limburg und der andere also ein Freund von Jolande. Im Windschatten dieser beiden Niederländer war übrigens am gleichen Abend Wim, ohne den ich es ein paar Tage später niemals durch den Matsch nach Burgos geschafft hätte. Die Welt ist wirklich ein Nest.

Auch wenn ich Hase und Igel nie mehr gesehen habe, war zumindest der eine der beiden die ganze Zeit in meiner unmittelbaren Nähe, genau wie auch Jolande. Schon verrückt. Die Französin findet die Geschichte so unglaublich, dass sie ein Foto von mir macht und es an ihren Weggefährten nach Holland schickt. Vielleicht erinnert der sich ja ebenfalls an mich.

Alles hat ein Ende

Als der Wein ausgetrunken ist, machen wir uns auf den Weg ins Bett. Zum ersten Mal in diesem Jahr schlafe ich im oberen Stockbett. Unter mir liegt Toni, und ich habe auf diese Weise einen guten Blick auf Hugh. Ich kann schon verstehen, dass sich die Brasilianerin in ihn verliebt hat. Er ist ein super Typ.

Morgen trennen sich die Wege unseres Trios vermutlich. Hugh muss deutlich weiter gehen als an den letzten Tagen, wenn er Freitag in Santiago sein will. Von dort fliegt er nach Paris, um noch ein bisschen europäisches Sightseeing zu machen. Auch Toni will endlich mal wieder mehr als 30 km laufen. Ich habe keine Lust, so weit zu pilgern. Momentan komme ich prima klar, da möchte ich den Körper nicht schon wieder aus dem Gleichgewicht bringen. Die Vorstellung, meine zauberhaften Begleiter so schnell wieder zu verlieren, schmeckt mir gar nicht, aber der Camino wäre nicht der Camino, wenn nicht auch das für irgendetwas gut sein wird. Es kommt ja sowieso grundsätzlich anders, als man denkt und jeder Abschied ist die Begrüßung einer neuen Person.

 

Kommentare und Feedback

Wie verpflegst du dich, wenn du unterwegs bist? Gehst du essen oder kochst du selbst? Und wenn du selbst kochst, was sind deine bevorzugten Gerichte in den kleinen Küchen? Bist du dieses Stück des Caminho Portugues selbst gelaufen? Was hast du dort erlebt? Ich freue mich wie immer sehr über deine Nachricht.

Zeitreise

Vorwärts: Jetzt fragst du dich, welche neue Person bei mir aufschlagen wird? Dann geh mit mir von Arcade nach Portela und genieße Katzenfutter in der Wüste, besuche Square-Dance-Mary und Don Pulpo und bezeuge die Erfindung des Egoshooters „Kill the Peregrino“.

Rückwärts: Hast du dich gefragt, wer oder was Motzes und die zehn Verbote sind? Dann komm doch noch mal mit von Valença nach O Porriño und gehe mit mir über die Brücke der verlorenen Stunde, lerne endlich much better English und sei Henne im Korb.

Zurück auf Los: Willst du das Abenteuer von Anfang an verfolgen? Dann folge mir hier nach Porto.

Ich muss das weitersagen

2 Gedanken zu „Caminho Portugues #8: Von O Porriño nach Arcade&8220;

  1. Oh wie schön, es ist Sonntag und wieder eine wunderschöne Geschichte vom Camino.Freue mich jeden Sonntag drauf! Herzlichen Dank.
    Bin den Camino im Oktober gelaufen, wir haben meist das Pilgermenü gewählt, am liebsten Lachs.
    Und wenn wir dich mal gekocht haben, hat das Einkaufen ewig gedauert und war sogar teurer als essen zu gehen, dabei haben wir nur Rührei und,Salat gemacht.Grins! Aber so einiges fällt dann nich zusätzlich in den Wagen.
    Ja und gedauert hat es ewig, meiner Laune war das nicht zuträglich, deshalb sind wir dann doch schnell wieder zum Einkehren übergegangen.Das war bei 2 Wochen kein Thema, aber wenn man länger unterwegs ist, könnte es auch eintönig werden.

    Im Herbst geht es wieder auf den camino portuges, diesmal die Küstenvariante.
    Ja, es hat definitiv einen Suchtfaktor! Ich liebe diese Form von Urlaub.

    Und jetzt freu ich mich schon auf nächsten Sonntag, danke!!

    Herzliche Grüße aus Köln nach Hamburg,

    Michaela

Und was sagst Du?